Gräueltaten unter der NATO?

Journalistin wirft libyschen Rebellen Kriegsverbrechen vor

Von Sebastian Müller

Massaker, Vergewaltigungen, Verstümmelungen. In Libyen sollen sich nicht nur Gaddafis Truppen, sondern – völlig unbeachtet von der medialen Öffentlichkeit -, auch die Streitkräfte der Rebellen systematischer Kriegsverbrechen schuldig machen. Das behauptet zumindest die US-Journalistin Susan Lindauer, die seit den 90er Jahren Kontakt mit der libyschen Botschaft hat und von 2004 bis Anfang 2009 unter der Regierung Bush von den US-Justizbehörden wegen angeblicher Spionage-Tätigkeiten für die irakische Regierung verfolgt wurde.

Wie Lindauer in einem einschlägigen Bericht schildert, sollen Rebellentruppen in der libyschen Stadt Misrata Frauen und Teenager für den Zweck von Massenvergewaltigungen entführt haben. Danach soll den Frauen zum Teil die Kehle durch- oder die Brüste abgeschnitten worden sein. Lindauer hebt diese Massenvergewaltigungen als eine organisierte militärische Strategie in allen von den Rebellen gehaltenen Städten vor, was Flüchtlinge bestätigt haben sollen. Angeblich werden die Rebellen für jedes entführte Mädchen bezahlt.

Des Weiteren sollen Familien in Misrata, die sich nicht klar zu den Rebellen bekennen, getötet oder in ihren Häusern eingeschweißt und dem Hungertod preisgegeben worden sein, so Joanna Moriarty, die einer weltweiten Faktenuntersuchungs-Delegation angehört. Lindauer wirft der NATO vor, diese Verbrechen in der Hoffnung zu dulden, die Gaddafi-Truppen medienwirksam dafür verantwortlich machen zu können.

Sollten sich diese Berichte offiziell bewahrheiten, dann wäre nicht zuletzt der Vorstoß der deutschen Delegation unter Außenminister Guido Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel, die den Übergangsrat der Rebellen in Bengasi als „legitme Vertretung des libyschen Volkes“ und als „demokratische Kraft“ anerkannten, eine Farce.

So lange die NATO-Regierungen die Gelder liefern, die Sturmgewehre, das militärische Training, Berater, Fahrzeuge und Luftunterstützung, sind sie voll verantwortlich für die Handlungen ihrer Soldaten in der Kriegszone. Die libyschen Rebellen sind auch keine zerlumpte Kampftruppe. Dank der Großzügigkeit der NATO, finanziert von US- und britischen Steuerzahlern, sind sie voll mit Militäruniformen eingedeckt worden, paradieren in Militärfahrzeugen durch die Straßen, damit alle es sehen können.

Die Vorwürfe reichen jedoch weiter. Flüchtlinge sollen ebenso beobachtet haben, wie US -, britische, französische und israelische Soldaten teilnahmslos daneben standen, wenn Zivilisten von Rebellensoldaten angegriffen werden. Lindauer spricht von einem Verlust moralischer Kontrolle seitens der NATO.

Abseits von den schweren Vorwürfen über Massaker der Rebellenarmee scheint es immer offensichtlicher zu werden, dass die zum Teil wahllosen Bombenangriffe der NATO, vor allem auf die Hauptstadt Tripolis, vor allem der Zivilbevölkerung schaden. In Misrata sollen zudem amerikanische Drohnen und britische Kriegsflugzeuge Raketen auf bemannte Fischerboote gefeuert haben.

Lindauer kritisiert die Strategie der NATO letztendlich als wenig Erfolg versprechend und als Versagen der Kriegsanstrengungen, in dessen Ergebnis die Libyer das Vertrauen in „den Westen“ verlieren würden. Allerdings ist der Bericht der Journalistin als Quelle mit Vorsicht zu genießen, da er sich zum einem großen Teil auf Schilderungen seitens dem Gaddafi-Regime loyaler Stammesführer bezieht und keine journalistische Distanz bewahrt.

Gleichsam nahmen auch die Gräueltaten-Vorwürfe gegenüber Gaddafi teils sehr groteske Züge an. Berichte, der Diktator solle Viagra an seine Soldaten verteilt haben und diese zu Vergewaltigen animiert haben, erscheinen nach derzeitigem Kenntnisstand eher als Fälschung. Bei derart undurchsichtiger Nachrichtenlage lautet die eigentliche Erkenntnis wohl: Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst.

Zum Thema:

– Ende eines Herausforderers


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3 Kommentare zu "Gräueltaten unter der NATO?"

  1. Axel Weipert sagt:

    “Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst.” Das trifft sicher den Kern des Problems. Wenn überhaupt, lassen sich Berichte über derartige Kriegsverbrechen meist erst nach dem Ende der Kampfhandlungen aufklären.

    Aber man sollte auch einen anderen Punkt deutlich machen: Die Medien hierzulande haben zwar nicht eindeutig einer deutschen Beteiligung an dem Krieg das Wort geredet, die Rollen – gute Rebellen hier, böser Diktator dort – sind aber klar verteilt. Und gerade hier wären zumindest Zweifel angebracht: Viele Führer der Rebellen waren schließlich jahrzehntelang treue Gefolgsleute Gaddafis. Und für welche politischen Konzepte sie letztlich stehen, geht in der ohnehin mittlerweile knappen Berichterstattung weitestgehend unter. Hier sehe ich großen Bedarf an sachkundiger Recherche.

  2. Nihilist sagt:

    Wenn Zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Selbe – ein Spruch meines Vaters, den ich mir in meiner Kindheit anhören “durfte”.

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