Bergkarabach: Krieg oder Lösung?

Von David Noack

 

In letzter Zeit sind die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des Karabach-Konflikts intensiviert worden – doch parallel zu den Anstrengungen für eine Lösung eskaliert der Konflikt auf unterster Ebene.

 

Am 10. Dezember 1991 als die UdSSR bereits kollabierte, erklärten das Autonome Gebiet Bergkarabach und die benachbarte Region Shahumian die Unabhängigkeit. Beide Gebiete waren mehrheitlich von Armeniern besiedelt, lagen aber auf dem Gebiet der Aserbaidschanischen SSR. Bewaffnete Formationen der Armenier auf diesem Gebiet und Freiwillige aus dem armenischen Herzlande sammelten sich auf dem Gebiet Bergkarabachs und die aserbaidschanische Armee griff an. Am 26.11.1991 hatte Baku die Autonomie aufgehoben und einen Energieboykott über Armenien verhängt. Eskalierend kam hinzu, dass bis zuletzt die sowjetische Armee in dem umstrittenen Gebiet Operationen durchgeführt und armenische Zivilisten evakuiert hatte. Größter Gegner der Sowjets in der Operation Ring waren armenische Milizionäre. Es kam zu einem langwierigen und opferreichen Krieg. Die Türkei ergriff in dem Konflikt Partei für Aserbaidschan – 1993 schloss Ankara die Grenzübergänge zu Armenien.[1] Diese sind bis heute zu.[2] Während des Krieges gab es sogar Gerüchte, dass türkische Piloten aserische Hubschrauber und Jets geflogen haben. Ankara erklärte die aserbaidschanische Exklave zu seinem Schutzgebiet und es wurde angekündigt, dass – sollte Armenien Nachitschewan besetzen – der NATO-Staat Türkei in den Krieg direkt eingreifen würde. 1994 endete der armenisch-aserbaidschanische Krieg durch russische Vermittlung. Vertreter Aserbaidschans, Armeniens und Nagorno-Karabachs unterzeichneten einen Waffenstillstand.

Seitdem versucht die bereits 1992 gegründete sogenannte “Minsker Gruppe” – bestehend aus 13 Teilnehmerstaaten – zwischen Eriwan und Baku zu vermitteln. Vositzende der Vermittlungsgruppe sind die Vertreter der USA, Russlands und Frankreichs. Die Türkei und Deutschland sind ebenfalls involviert. Wurde der Waffenstillstand noch mit Vertretern Stepanakerts unterzeichnet – was einer de facto Anerkennung durch Baku gleichkommt – laufen alle Verhandlungen seitdem an den Selbstverwaltungsorganen Bergkarabachs vorbei. Indem die aserbaidschanische Regierung ignoriert, dass es überhaupt etwas in Bergkarabach gibt – Einheimische und Selbstverwaltungsorgane – verhärtet sich der Konflikt zunehmend. Eine diplomatische Lösung schien lange nicht in Sicht zu sein.

Der Konflikt verhärtete sich zunehmend auch in seinen geopolitischen Dimensionen. Aserbaidschan wurde zu einem Spieler mit poly-vektorieller Ausrichtung. Die Beziehungen zu Russland sind gut – mehr aber auch nicht. Stattdessen pflegt Baku sehr gute Beziehungen zu den USA. Armenien darf man gekonnt als pro-russisch bezeichnen. Die in Armenien gelegene russische Militärbasis Gjumri ist Russlands “größter Auslandsstützpunkt” – die russische Präsenz ist vertraglich derzeit bis 2044 abgesichert.[3] Darüber hinaus ist Armenien Mitglied der “pro-russischen Gegen-NATO” – der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit. Mangels offener Grenzen nach Ost und West wurde Armeniens engster Partner – abgesehen von Russland – der südliche Nachbar Iran. Während die eher-pro-westlichen, pro-westlichen und NATO-Nachbarn Armeniens wichtige Infrastrukturprojekte, wie die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline und die Bahnstrecke Kars–Achalkalaki–Tiflis–Baku, unter Umgehung des Landes bauten, intensivierte Armenien seine Beziehungen zu Teheran. So wurde eine iranisch-armenische Pipeline zur Energieversorgung gebaut.[4] Strom, Gas und Öl – alle Energieträger, die Armenien brauch, um zu überleben – bezieht es bisher vom Iran.[5] Auch ein Highway wurde zur Verbindung beider Länder gebaut.

Der Iran ist schon länger aktiv in Vermittlungsbemühungen im Karabachproblem.[6] In jüngster Zeit wurden diese Anstrengungen intensiviert, da Teheran fürchtet, im Rahmen einer OSZE-Lösung der Karabachfrage könnten auch US-Soldaten im Nordwesten des Iran Stellung beziehen. Doch auch Moskau wirft sein Gewicht in die Waagschale und verstärkt seine Diplomatie im Südkaukasus.[7] Nach der Lösung der eingefrorenen Konflikte Abchasiens und Südossetiens für Moskau nach seiner Lesart ist man bemüht den dritten großen eingefrorenen Konflikt im Kaukasus zu beenden.

Doch abseits der Verhandlungen wird immer öfter gedroht. So kündigte der aserbaidschanische Präsident Aliyev im Juni diesen Jahres an, die Friedensgespräche zu verlassen.[8] Im August wurden militärische Maßnahmen gegen Nagorno-Karabach von Seiten des Präsidenten Aserbaidschans angekündigt.[9] Bereits vor zwei Jahren hatte der Präsident in Baku Ilham Aliyev verkündet, dass Eriwan – die Hauptstadt Armeniens – eigentlich zu Aserbaidschan gehöre. Alles Schritte, die bestimmt nicht zur Deeskalation beitragen. Und der Verteidigungshaushalt des kleinen Landes am Kaspischen Meer steigt immer weiter – bereits 2006 war er so hoch wie der gesamte armenische Staatshaushalt.[10] Die letzten Jahre kam es zu einer versuchten türkisch-armenischen Annäherung – sie wurde torpediert, da Aserbaidschan zuerst das Bergkarabachproblem gelöst haben wollte. Die Verhandlungen gehen trotzdem weiter und Präsident Erdogan in der Türkei könnte geneigt sein in seiner neuen Außenpolitik Aserbaidschan nicht mehr so viel Gewicht einzuräumen. Russische Militärexperten haben deswegen einen Waffengang Aserbaidschans nicht mehr ausgeschlossen.[11] Ein Krieg ist nicht mehr ausgeschlossen – doch dieser wäre verheerend…

[1] Abkommen mit Armenien: Türkei stellt bereits neue Bedingungen, 11.10.2009, in: tagesanzeiger.ch.
[2] Keetman, Jan: Grenze zu Armenien bleibt geschlossen, 18. April 2009, in: Neues Deutschland.
[3] Medwedew sorgt für Armeniens Sicherheit – „GZT.Ru“, 19.08.2010, in: de.rian.ru.
[4] Pipeline blast halts Iran gas export to Armenia, 12.11.2009, in: tehrantimes.com.
[5] Armenien und Iran bauen Kooperation aus, 18.06.2009, in: dw-world.de.
[6] Ramezanzadeh, Abdollah: Iran’s Role as Mediator in the Nagorno-Karabakh Crisis, in: Coppieters, Bruno: Contested Borders in the Caucasus, Brussel 1996.
[7] Außenminister von Russland, Aserbaidschan und Armenien besprechen Karabach-Regelung, 06.11.2010, in: de.rian.ru.
[8] ALIYEV THREATENS TO QUIT KARABAKH PEACE TALKS, 09.06.2010, in: armtown.com.
[9] Aliyev Again Threatens Military Action, 11.08.2010, in: asbarez.com.
[10] Cheterian, Vicken: Aserbaidschan – Republik einer Dynastie, 10.02.2006, in: Le Monde diplomatique Nr. 7894.
[11] Nagorno-Karabakh, abrufbar hier:  http://www.globalsecurity.org/military/world/war/nagorno-karabakh.htm

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