Janukowitschs Sieg

Von David Noack

Nun ist es soweit – sechs Jahre nach dem orangenen Umsturz gegen die Präsidentschaftswahlen 2004 hat Viktor Janukowitsch die Präsidentschaftswahlen ein weiteres Mal gewonnen. Seine Konkurrentin Julia Timoschenko zeigt sich erneut als schlechte Verliererin und zweifelt die Rechtmäßigkeit der Auszählung an – im Gegensatz zu internationalen Beobachtern, die keine Unregelmäßigkeiten außer ein paar nackten Frauen entdecken konnten. Zuletzt war es niveaulos geworden, als Julia Timoschenko militante Putschisten nahe Kiew vermutet hatte – wie sich herausstellte war das eine haltlose Vermutung.

Die Präsidentschaftswahlen 1999 waren noch eindeutig ausgegangen: 56 % erhielt der unabhängige Kandidat Leonid Kuchma. Zweiter wurde Petro Symonenko von der Kommunistischen Partei mit fast 38 %. Den dritten Platz hatte im ersten Wahlgang die sozialdemokratische SPU (Sozialistische Partei) und den vierten Rang erreichte dessen pro-russische Abspaltung die PSPU (Progressive Sozialistische Partei).

Kutschma verfolgte als Präsident eine so genannte poly-vektorielle Außenpolitik. Zugeständnisse und Annäherungen an alle Seiten. So unterschrieb er einen Freundschaftsvertrag mit Moskau, erklärte Russisch zur offiziellen Landessprache, rüttelte nicht am Status Sewastopols und begrüßte die Integration in die GUS. Aber auch an die EU und die USA näherte man sich an – Kutschma entsendete Truppen in den Irak, bekannte sich nominell zur Westintegration und stellte sogar eine NATO-Mitgliedschaft in ferner Zukunft in Aussicht. Freundschaftliche Beziehungen nach China genoss die Ukraine ebenfalls: So verkaufte Kiew Peking einen Flugzeugträger. Die regionale Integration im Gebiet des Schwarzen Meeres wurde darüber hinaus auch vorangetrieben – 2001 gründete die Ukraine die Black Sea Naval Cooperation Task Group (BLACKSEAFOR) gemeinsam mit Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland und der Türkei.

Zu den Parlamentswahlen 2002 tauchte eine neue Bewegung am politischen Horizont der Ukraine auf: Viktor Juschtschenko. Sein Block “Unsere Ukraine” erreichte 23 %, die Kommunisten errangen 20 % und der Block “Vereinigte Ukraine” 11.8 %. Timoschenkos Vereinigung erreichte 7 %, die SPU ebenfalls knapp 7 % und die “Vereinigten Sozialdemokraten” 6 %.

Janukowitsch wurde daraufhin Ministerpräsident – welcher vom Präsidenten nominiert wird. 2004 war es dann soweit: Der Westen wollte unbedingt die Kontrolle über die Ukraine erringen. Deswegen inszenierte man die “Orangene Revolution” – die Ukrainer sollten so oft abstimmen, bis die Westmächte zufrieden mit dem Ergebnis sind.

Peter Scholl-Latour erklärt in seinem Buch “Russland im Zangengriff“, wer die Drahtzieher dieses Umsturzes waren: Madeleine Albright (Ex-US-Außenministerin), John McCain (US-Senator und letzter Präsidentschaftskandidat der Republikaner), George Soros (US-Milliardär), Laurence Eagleburger (Ex-US-Außenminster), Wesley Clark (Ex-NATO-Oberbefehlshaber), James R. Woolsey (Ex-US-Geheimsdienst-Beauftragter), Henry Kissinger (Ex-US-Außenminister und -Sicherheitsberater), James Baker (Ex-US-Außenminister und Vertrauter der Familie Bush) sowie Brent Scowcroft (US-Sicherheitsberater von George Bush sen.).

Zur Durchführung der “orangenen Revolution” finanzierte man seitens des Westens den Druck von Propaganda-Flugblättern und -Broschüren in Millionenauflage, die Indienststellung von Fernseh- und Radio-Sendern, die Zahlung von Handgeldern an unentschlossene Wählergruppen, stellte den Kern einer eingriffsbereiten Miliz auf, stellte 1500 geheizte Zelte zur Verfügungstellung und verteilte kostenlos warme Nahrung während der tage- und nächtelang anhaltenden Proteste bei klirrender Kälte. Außerdem wurde die Veröffentlichung von Bestechungsaffären gegenüber dem amtierenden Staatschef Kutschma durch die USA angedroht und unter CIA-Kontrolle stehende NGOs und andere Organisationen finanziert. Schätzungen gehen von mehreren hundert Millionen US-Dollar aus, darunter 65 Mio US-Dollar vom US State Department an Behörden und Auftragsfirmen.

Da Kutschma im Rahmen seiner poly-vektoriellen Außenpolitik auch ukrainische Truppen in den Irak gesendet hatte, hatte Juschtschenko den Krimtartaren versprochen, die Soldaten von Euphrat und Tigris zurückzuziehen, sollte er Präsident werden. In der innerukrainischen Dynamik war dies eine wichtige Entscheidung, denn die Krimtartaren sehen sich von der russischen Bevölkerung auf ihrer Heimatinsel demographisch und kulturell bedroht. Und diese russischsprachige Bevölkerung tendiert mit bis zu 70 %er Unterstützung bei der Wahl 2004 zu Janukowitsch. Das Wahlversprechen Juschtschenkos löste er schnell ein. Für die Amerikaner wohl ein notwendiges Übel.

Doch sonst lohnte sich die Investition des Westens vollkommen: Die Ukraine stellte sich als der treueste Vasall von Berlin und Washington überhaupt heraus. Ständige Drohungen und Verwerfungen mit Russland ließen Moskaus Einfluss am Schwarzen Meer schwinden. Der für Russland wichtige Stützpunkt Sewastopol wurde von Präsident Juschtschenko als “destabilisierender Faktor” bezeichnet. Man blockierte russische Waffen auf dem Weg von der Schwarzmeerflotte zu einem Depot, Kiews Justiz warf der Schwarzmeerflotte Steuerbetrug vor und versuchte auch sonst den Russen das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Juschtschenko monierte, dass man als selbst erklärter Feind zu Russland keinen Freundschaftspreis für Gas mehr bekomme, was zu andauernden Schwierigkeiten im bilateralen Verhältnis führte – betroffen waren davon auch verschiedene Balkanländer – und natürlich die arme Bevölkerung der Ukraine. Zwar zog das große ukrainische Kontingent aus dem Irak ab, jedoch zeigte Juschtschenko seine alleinige West-Ausrichtung durch andere Militärmissionen: 8 Offiziere nehmen auch heute noch an der NATO Training Mission in Iraq teil, 11 Militärbeobachter beteiligen sich an der UN Mission im Sudan und zehn Soldaten sind in Afghanistan stationiert. 180 Soldaten blieben auch in der KFOR aktiv. Man bekannte sich ausschließlich zur Westintegration und erklärte die Mitgliedschaft in EU und NATO zum obersten Ziel.

Die multilateralen Manöver See Breeze an der Schwarzmeerküste wurden ebenfalls zum Politikum: Ausländische Militärpräsenz ist in der Ukraine eigentlich verboten, jedoch landeten amerikanische Truppen ohne Parlamentgenehmigung (die nötig ist) 2008 auf der Krim. Protestcamps, Blockaden und Demonstrationen zeugten davon, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Mitgliedschaft in der NATO ablehnen – damals 55 %.

Der Gipfel der Provokation war erreicht, als die Ukraine im Kaukasuskrieg 2008 Georgien mit Waffen und Geheimdienstleuten unterstützte. Doch nicht nur militärisch wollte Juschtschenko die Ukraine zum Musterländle machen – auch ökonomisch. Wirtschaftliche Liberalisierung und die Angst vor einem Etatismus (der im ukrainischen Nachbarland Slowakei übrigens funktioniert) verschärften die Krise in der Ukraine mit einer unvorstellbaren Härte. Das Bruttoinlandsprodukt sank im Jahr 2009 um 14 %. “Noch härter traf es die Industrieproduktion, die in den ersten neun Monaten 2009 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 28,4 Prozent zurückging. Der Export ist zwischen Januar und August auf 50 Prozent und der Import auf 46,2 Prozent des entsprechenden Vorjahresniveaus abgesackt.”

Doch nun wird dürfte sich einiges ändern: Janukowitsch gilt als der moskaufreundliche Kandidat. Er hat bereits angekündigt, das Militär so zu reformieren, dass der blockfreie Status des Landes erhalten bleibt. Als Alliierter Moskaus wird Janukowitsch Gaskonflikte mit Gazprom zu verhindern wissen. Außerdem wird er wohl den Vertrag mit der Schwarzmeerflotte verlängern sowie Abchasien und Südossetien anerkennen, um sich Moskaus Wohlwollen “bei der Subventionierung der ukrainischen Energiewirtschaft zu sichern” – so die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Alles in allem eine Entspannung im Gegensatz zwischen NATO und Russland.

Die soziale Situation in der Ukraine dürfte sich durchaus verbessern. Und wie formulierte es die Kommunistische Partei der Ukraine: Es sei eine Wahl zwischen zwei Übeln gewesen. Doch die KPU rief dazu auf, dem Vertreter des “nationalen Kapitals” – Janukowitsch – den Vorzug vor der Repräsentantin der “Kompradorenbourgeoisie” zu geben. So hat es die Mehrheit der Bevölkerung nun auch getan.

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