Spardiktat der Troika
Die boshafte Hilfe an Griechenland

Die Geschichte der Troika und Griechenland ist die von einer falschen Dosis an einem kranken Patienten. Den Rat holt man sich vom Giftmischer.

merkel samaras

Foto: Αντώνης Σαμαράς Πρωθυπουργός της Ελλάδας / flickr.com / CC-BY-SA-2.0

Von Heinz Sauren

Hilfe kann ein Segen sein, wenn der Helfende darauf eingeht, was der Hilfesuchende braucht. Eigentlich ganz einfach, weil der Hilfesuchende zumeist sagt, was er benötigt. Für gewöhnlich weiß er recht gut, woran es ihm fehlt. Hilfe kann aber auch boshaft sein, wenn aus der überheblichen Sicht des Helfers dem Hilfesuchenden jene Hilfe angeboten wird, die der Helfende für richtig hält.

Das ist begründet in der grundsätzlichen Sicht auf Hilfe. Während der Hilfesuchende seine Not lindern möchte, sieht der Helfer die Hilfe meist strategischer. Der Hilfesuchende braucht ganz pragmatisch Hilfe, um aktuell etwas zu ändern. Der Helfende sieht sich zumeist berufen, langfristig die Situation zu ändern, um zukünftig nicht mehr in die missliche Situation zu kommen, um Hilfe gebeten zu werden. So ist es auch Griechenland geschehen. Die Hilfe die Europa Griechenland bot, war von ideologischer Bevormundung getragen und zeigte sich in ihren Folgen als boshaft für das griechische Volk.

Europa hatte einen Plan. Griechenland sollte geholfen werden – und zwar entsprechend den in Europa zur Religion erklärten Regeln der Finanzmärkte, also exakt nach den Gesetzmäßigkeiten des Finanzsystems, das die Griechen erst zu Hilfesuchenden machte. Es konnte nicht gut gehen, die Heiler zur Rate zu ziehen, die zuvor schon die falsche Dosis verabreichten. Dies ist eine Lehre, die ganz Europa aus dem griechischen Desaster ziehen sollte. Denn es vertraut seine Probleme den gleichen zwielichtigen Heilern an.

Versprochen wurde die klassische Win-Win Situation, die wohl populärste Täuschung kapitalistischer Finanzgesetzmäßigkeit. Europa, als auch die Griechen selbst, sollten von der Sanierung Griechenlands profitieren. Doch die Griechen profitierten nicht. Und auch die andere europäischen Staaten mussten schnell erkennen, das sie nicht die Gewinner sein würden. In einer kapitalistischen Finanzordnung kann niemand gewinnen, wenn ein anderer nicht verliert. Und viele Verlierer sind die Sicherheit des Gewinners.

An der Griechenlandhilfe waren nicht zwei, sondern drei Akteure beteiligt. Der wirtschaftlich Stärkste waren die Großbanken und Investmentfonds. Sie spielten das politische Europa und Griechenland gegeneinander aus und strichen riesige Gewinne ein, die das griechische Volk unter größten Entbehrungen bezahlen und die europäischen Steuerzahler besichern sollten.

Die Griechen seien selbst schuld, so ist der allgemeine Tenor. Doch wie kam es eigentlich zu diesem Finanzchaos in Griechenland? Sowohl von der Wirtschaftsleistung als auch strukturell war Griechenland kein ebenbürtiger Partner im Europa der wirtschaftlichen Mittelmächte, als es dem Euroraum beitrat. Es erfüllte schlicht nicht die Voraussetzungen.

Es wird heute bei der Suche nach den Schuldigen gerne vergessen zu erwähnen, das Griechenland sich nicht den Beitritt zum Euro erzwang. Die politische Führung Europas holte die Griechen in den Euroraum. Wissend um die wirtschaftliche Lage Griechenlands und vermessen genug, an die eigene wirtschaftliche Omnipotenz zu glauben. Weil man die maximale Ausweitung der gemeinsamen Währung anstrebte, wurde das Risiko bereitwillig eingegangen. Damit schuf man innerhalb eines finanziell stark gesicherten Raumes ein wirtschaftliches Gefälle, an dessen unterem Ende man Griechenland sich selbst überließ.

Ein solches Gefälle unter maximaler Absicherung ist die ideale Spielwiese für Finanzspekulationen, und so zog Griechenland weltweit die Player an. Nur hier ließ sich maximaler Gewinn mit höchstmöglicher Absicherung erzielen. Griechenland war verpflichtet, die europäischen Standards zu halten, verfügte dafür aber nicht über eine ausreichend leistungsfähige Wirtschaft. Hilfeersuchen an Europa wurden mit halbherzigen Programmen beantwortet, die allesamt nicht geeignet waren, die Situation zu verbessern. Es blieb nur der Schritt, über Kredite das zu gewährleisten, was Europa und auch die eigene Bevölkerung forderte – und die Kredite lieferten Großbanken und Investmentfonds. Letztere gaben Kredite auch dann noch, als sie bereits wussten, dass diese nicht zurück gezahlt werden können und verdienten sich eine goldene Nase an den Zinsen.

Da letztlich der gesamte Währungsraum des Euro gezwungen ist, Verluste auszugleichen, sorgten sich die Investoren kaum um Verluste. Wie recht sie mit dieser Annahme hatten, sehen wir heute.

Als die griechische Situation so dramatisch wurde, dass die europäischen Partner um die Kreditwürdigkeit des gesamten Euros fürchten mussten, galt es als erste Politikerpflicht, den Gedanken nicht publik werden zu lassen, dass man der Großfinanz nicht nur schutzlos ausgeliefert ist, sondern auch nicht mehr Herr im eigenen Hause ist. Um das Gerechtigkeitsempfinden des Volkes nicht zu stören, muss Strafe sein. Doch da die dicken Fische zu groß und zu mächtig sind, um sie zu bestrafen, müssen eben die kleinen Fische her.

Dieser – in Relation betrachtet – Kleinkriminelle wurde in Griechenland gefunden. Und die boshafte Hilfe nahm ihren Lauf.

Denn was sonst außer Boshaftigkeit hätten die Griechen erkennen können, als sie zuschauen mussten, wie sie ihre Jugend verloren und 60 Prozent der jungen Griechen in perspektivlose Arbeitslosigkeit entglitten. Oder die Löhne und Renten um 30-40 Prozent gekürzt wurden? War es zu erwarten, dass der Schutz von Großbanken und Investoren, also der Bestandsschutz von Reichtum ewig akzeptiert würde, wenn die Kindersterblichkeit sowie die Selbstmordrate um 45 Prozent nach oben schnellen? Ist es auf Dauer zu akzeptieren, das bis zu 50 Prozent der Griechen erkranken und sterben, weil sie keine Krankenversicherungen mehr haben, um die Gewinne ausländischer Großbanken zu retten? Wir haben das von den Griechen verlangt und sie haben es fünf Jahre ertragen.

Von Politikern ist das Leid des griechischen Volkes gerne verschwiegen worden. Niemand wollte seine politische Karriere mit diesen Grausamkeiten beflecken. Dafür durften wir hören, das es nur eine vorübergehende Phase der Einschränkungen sei, die nun einmal ertragen werden müsste, damit dann alles besser wird. Und dieser gute Weg sei ja bereits deutlich zu erkennen gewesen.

Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Nicht nur, weil die soziale Grausamkeit gegenüber einem gesamten Volk herunter gespielt wird. Sondern auch, weil sie überhaupt möglich ist, in diesem reichen, angeblich so humanitären und demokratischen Europa.

Zumindest solle es in Griechenland, so hörte man noch vor einer Woche, wieder bergauf gehen. Die Hilfe habe geholfen. Nicht einmal diese Aussage lässt sich bestätigen, auch hier ist das Gegenteil der Fall. Als die Griechenlandhilfe begann, befand sich Athen der Definition nach in einer Staatsschuldenkrise, da es mit mehr als 120 % des Bruttoinlandsproduktes verschuldet war. Heute, fünf Jahre europäische Hilfe und Grausamkeiten später, sind die Staatsschulden Griechenlands nicht gesunken. Im Gegenteil, sie stiegen um über 40 Prozent, von zu Beginn 120 Milliarden Euro, auf nunmehr 170 Milliarden.

Wie konnte das geschehen? Griechenland bestimmte doch gar nicht mehr über seine eigenen Ausgaben. Die wurden vom Internationalen Währungsfonds diktiert. Wie konnte das übersehen werden? Griechenland musste doch seine Einnahmen und Ausgaben regelmäßig von der Troika prüfen lassen und stand unter der permanenten Kontrolle der Europäischen Zentralbank. Wie also konnte das griechische Volk Not leiden bei 120 Milliarden Euro Schulden, wenn es 200 Milliarden Euro Hilfszahlungen erhalten hat? Es hätte demnach schon lange schuldenfrei sein müssen.

Es lässt sich wirklich nicht mit Dummheit erklären, sondern lässt nur Absicht als Begründung zu. Es gab zu keinem Zeitpunkt den caritativen Geist der Absicht, dem griechischen Volk zu helfen. Ausschließlich der Währung und seiner Finanzinstitutionen galt, ganz dem Dogma monetaristischer Geldwertstabilität, die Hilfe. Und wenn es auch dem griechischen Volk helfen würde, dann allenfalls als positiver Nebeneffekt. So gingen konsequenter Weise von 200 Milliarden Euro Hilfszahlungen 160 Milliarden, – ohne auch nur den Umweg über Griechenland zu nehmen -, direkt an die Großbanken und Investmentfonds.

Den Griechen aber wurde es in die Bilanzen geschrieben, als hätten sie das Geld für staatliche Investitionen genutzt. So schafft man das Unmögliche. Der Effekt war, dass die Belastungen für Griechenland nicht kleiner, sondern größer wurden – und mit ihnen der europäische Sparzwang. Die verbleibenden 40 Milliarden wurden sinnvoll investiert, zumindest aus Sicht des geldgebenden Helfers. Auch hier ging das Geld nicht an die griechische Bevölkerung, deren Sozialsysteme sich in Auflösung befanden, sondern in vorfinanzierte Wirtschafts- und Infrastrukturprojekte, die ausnahmslos durch nichtgriechische Wirtschaftsunternehmen betrieben werden. Ein verstecktes Konjunkturprogramm für die Volkswirtschaften der Geldgeberländer, in den Bilanzen Griechenlands verewigt.

Natürlich gibt es auch in Griechenland Menschen, die sich gerne über Gebühr vom Staat bezuschussen lassen. Aber das was über zu viele Beamte, zu teure Putzfrauen oder sonst noch was alles durch die Presse geistert, sind die sprichwörtlichen Peanuts in Bezug auf die Maschinerie, die den griechischen Staat systematisch ausraubt.

Gerne werden auch die griechischen Reeder in der Vordergrund gerückt, als Beweis für die Inkompetenz des griechischen Staates, weil sie keine Steuern zahlen. Doch im Rest Europas ist das für die Großkonzerne usus, und man lässt sie in ihrer Steuerflucht gewähren. Weil sich der veraltete angebotstheoretische Glaube hält, die Konzerne würden dann die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen.

Die griechische Krankheit ist die Konsequenz des ideologischen Virus in der EU.

Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung vom Original auf dem Freigeist Blog.

Artikelbild: Αντώνης Σαμαράς Πρωθυπουργός της Ελλάδας / flickr.com / CC-BY-SA-2.0

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3 Kommentare zu "Spardiktat der Troika
Die boshafte Hilfe an Griechenland"

  1. rote_pille sagt:

    “In einer kapitalistischen Finanzordnung kann niemand gewinnen, wenn ein anderer nicht verliert”
    dieser irrtum geht auf die marxistische irrlehre der arbeitswerttheorie zurück, wo man “äquivalente tauscht”, also waren/geld die den gleichen wert für beide haben. das ist aber falsch: nehmen wir an A stellt a her und B b. sie können tauschen, weil A einheiten von b höher schätzt als welche von a (von denen er genug hat) und umgekehrt. somit gewinnen bei einem solchen tausch beide, weil sie ihren zielen näher kommen. das ist die auf das mindeste simplifizierte subjektive wertelehre, die ein grundpfeiler der nationalökonomie ist. dank dieses prinzips können im kapitalismus sehr wohl alle gewinnen.
    es ist logisch, dass sie die griechen nicht weitermachen lassen können wie bisher. es ist völlig egal, ob jetzt bevölkerung, gr. wirtschaft oder politik schuld sind, denn die wirtschaft politik geht aus der bevölkerung hervor. wie siehts z..b in der schweiz aus? referendum zu überzogenem mindestlohn und bge abgeschmettert. weil die bevölkerung nicht über ihre verhältnisse leben will. der ideologische virus in europa ist, dass man mehr ausgeben als einnehmen kann.

  2. nakam sagt:

    “nehmen wir an A stellt a her und B b. sie können tauschen, weil A einheiten von b höher schätzt als welche von a (von denen er genug hat) und umgekehrt. somit gewinnen bei einem solchen tausch beide”

    genau in diesem fabulieren verrät sich die liberale ideologie. man mag das gerne annehmen. muss man aber nicht, denn in der realexistierende welt sieht es eben anders aus, weil dies nicht restfrei aufgeht.

    externalitäten wie risiken werden weitergereicht und potenzieren sich

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