Neues zur Migrantendebatte

Gabriels Forderung für eine härtere Gangart in der Ausländerpolitik ist richtig

Von Sebastian Müller

Man hätte es auch ohne die unsägliche Sarrazin-Polemik erkennen und thematisieren können. Thilo Sarrazin hat zu dem Thema zwar rein garnichts Produktives beigetragen, aber wenn es nun eine sachliche Debatte um die Integrationspolitik an sich geben sollte – ohne kurzsichtig nur Repressionen zu verlangen – ist dies sicherlich zu begrüßen.

Die jüngste Forderung des SPD-Chefs Sigmar Gabriel in Spiegel-Online, Förder- und Integrationsprogramme auszuweiten und Ganztagsschulen auszubauen – das heisst auch mehr zu investieren – ist sicherlich genauso richtig, wie es auch notwendig ist, Sanktionen für jene bereitzuhalten, die sich einer Integration bewusst verweigern oder gar dem deutschen Rechtsstaat unversöhnlich gegenüberstehen. Die Erkenntnis kommt nur reichlich spät, weil sie erst von dem Glauben, Gastarbeiter würden wieder in ihre Heimat zurückkehren, dann von einer naiven Multikulti-Gläubigkeit vedrängt wurde.

Das Wenige, was bisher überhaupt als Integrationspolitik zu bezeichnen war, dürfte für die Mehrzahl der in Deutschland lebenden Menschen ohnehin kaum nachvollziehbar sein. Einerseits müssen voll integrierte, fließend deutsch sprechende Flüchtlinge zum Teil das Land wieder verlassen, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist. Der populärste Treppenwitz dürfte diesbezüglich der einer jungen Migrantin gewesen sein, die vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz für gesellschaftliches Engagement erhielt, aber wenig später das Land verlassen musste. Andererseits scheinen Hassprediger und dauerkriminelle Ausländer Narrenfreiheit zu besitzen. Es war bisher kaum verständlich, wer warum bleiben kann, und wer aus welchen Grund ausgewiesen wird.

Doch unabhängig davon, dass es einer Neujustierung der Integrationspolitik bedarf, müssen Immigranten sowohl mehr gefördert, als auch gefordert werden. Dazu gehört die verbindliche Pflicht, die deutsche Sprache zu beherrschen; desweiteren nicht nur eine kontrollierte Schulpflicht, wie es Gabriel fordert, sondern auch die Pflicht, Kinder in Kitas und Kindergärten anzumelden. Wer sich selbst oder seinen Kindern diese Angebote verweigert, hat dann zu Recht empfindliches Bußgeld (Gabriel) zu zahlen. Wer mehrfach kriminell auffällt, oder sich offen gegen den demokratischen Rechtsstaat stellt, sollte gar auch ausgewiesen werden können. Soweit so gut.

Wenn man aber wirklich die Wurzel des Übels von Parallelgesellschaften, Ghettoisierung, Bildungsferne, Kriminalität und Armut bekämpfen will, dann ist eine frühkindliche Erziehung unumgänglich. Um Integration zu Fördern, bedarf es aber nicht nur die von Gabriel zitierten Ganztagsschulen, sondern auch Gemeinschaftsschulen, wo Migrantenkinder und deutsche Kinder zusammen lernen. Parallelgesellschaften werden nicht durch “Parallelklassen” aufgebrochen. Chancengleichheit durch gemeinsames Lernen und gezielte Förderung ist unumgänglich. Die skandinavischen Länder machen es vor. Daher ist es mitunter umso bedauerlicher, dass die schwarz-grüne Schulreform in Hamburg gescheitert ist. Hier hat die betuchte deutsche Wohlstandsgesellschaft ihren Unwillen zum eigenen Beitrag für erfolgreiche Integration bewiesen. Die gehobene Mittelschicht wünscht ihr eigenes, abgezäuntes Ghetto, damit aber auch nichts der Karriere der eigenen Zöglinge im Wege steht.

Dabei geht es ja keineswegs nur um Immigranten. Auch immer mehr deutsche Kinder aus sozial schwachen Familien werden im deutschen Bildungssystem abgehängt. In Wirklichkeit muss es um eine gesamtdeutsche, soziale Integration und Chancengleichheit gehen.

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5 Kommentare zu "Neues zur Migrantendebatte"

  1. Michel sagt:

    Ich muss dir widersprechen.

    Die Wurzel des Übels der mangelnden Integration von Einwanderern ist nicht speziell die Erziehung, sondern die mangelnde soziale Integration. Wie immer geht es im Kern um die soziale Frage.

    Solange es Vollbeschäftigung gab und ungebrochene Erwerbslaufbahnen die Regel waren, gab es kein “Integrationsproblem”.
    Wenn Einwandererkinder den Eindruck haben, von vornherein schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt zu haben, sehen sie auch nicht den Sinn darin, sich in der Schule anzustrengen oder die Regeln unserer Gesellschaft zu respektieren.

    Und Gabriel ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu loben, als er einen unglaubwürdigen Eiertanz vorführt, halte ich auch für unangebracht.

    Da haben die Grünen mal Recht:

    http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/integrationsdebatte-gruene-loben-cdu-minister-und-attackieren-spd-chef;2658598

  2. Aurel sagt:

    Ich stimme Michel zu. Die Integrationsfrage ist eine soziale, keine pädagogische Frage. Schon Bolívar wollte durch die Errichtung von Schulen tugendhafte und patriotische Bürger für die von ihm gegründetetn Staaten heranerziehen. Er scheiterte: der Patriotismus, die selbstlose Aufgabe des eigenen, egoistischen Partikularinteresses zugunsten des nationalen Allgemeineinteresses, Rousseaus volonté générale, hat sich in Lateinamerika bis heute nicht herausgebildet. Die egoistischen Eigeninteressen von Oligarchen, Drogenhändlern, korrupten Beamten und Straßengangs beherrschen bis heute die dortigen Gesellschaften. Jeder Versuch, die Interessen der Allgemeinheit gegen sie durchzusetzen, wie es lateinamerikanische Idealisten immer wieder versuchen, werden von ihnen rücksichtslos unterdrückt oder unterlaufen.

    Die Frage ist: warum ist das so? Hier ist, wie gesagt, Michel zuzustimmen. Der Aristokrat und Großgrundbesitzer Bolívar überging den zweiten Teil der Forderungen Rousseaus, nämlich die sozialen Forderungen. Solange keine ökonomische und soziale Gleichheit aller Staatsbürger, die gleiche Verteilung der Produktionsfaktoren Kapital und Boden gesichert ist, so daß jeder seinen eigenen Acker, seine eigene Werkstatt, seinen eigenen Laden besitzt, werden sich die vom Eigentum ausgeschlossenen proletarischen Klassen nicht mit dem Nationalstaat identifizieren, also nicht integrieren.

    Der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft in ihrer jetzigen Form sind es meiner Meinung nach aber auch nicht wert, erhalten zu bleiben. Sebastian spricht von einem deutschen “Rechtsstaat”. Doch ich verstehe unter Rechtsstaat die Gleichbehandlung aller Bürger vor dem und durch das Gesetz. Dieses ist nicht gegeben. Die Oligarchenmafia, die Deutschland beherrscht, steht über dem Gesetz: ihr prominentester Vertreter Helmuth Kohl läuft immer noch frei herum. Volksverhetzungen gegen die Muslime werden nicht strafrechtlich geahndet, gegen Juden aber mit Unerbittlichkeit. Auch das deutsche Schulsystem halte ich, im Gegensatz zu Sebastian nicht für würdig, Kinder zu erziehen. Die Schulgeschichtsbücher werden von deutsch-israelischen Kommissionen verfaßt, und welches Weltbild dabei vermittelt wird, brauche ich wohl nicht zu sagen.
    Insofern habe ich auch nichts gegen die Hassprediger in den Moscheen. Ich betrachte sie vielmehr als Verbündete im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, das westliche kapitalistische Weltsystem.

  3. “Die Wurzel des Übels der mangelnden Integration von Einwanderern ist nicht speziell die Erziehung, sondern die mangelnde soziale Integration. Wie immer geht es im Kern um die soziale Frage.”

    Das habe ich ja auch nie bestritten! Aber soziale Integration bedarf auch der Bildung als wesentlicher Bestandteil der Integration. Ich würde sagen, Bildung und ein soziales Netz schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Bildung ist EIN Weg, nicht aber der einzig notwendige, um aus dem Teufelskreislauf sozialer Desintegration zu entkommen.

    “Solange es Vollbeschäftigung gab und ungebrochene Erwerbslaufbahnen die Regel waren, gab es kein „Integrationsproblem“.”

    Das halte ich für ein Gerücht. Bereits in den 50er, 60er und spätestens 70er Jahren entstanden doch schon die ersten Ghettos mit Gastarbeitern, die kein deutsch sprachen. Die jetzt nachfolgende Generation ist doch auch deswegen mitunter so schlecht integriert, weil es die Eltern auch nicht waren!

    “Insofern habe ich auch nichts gegen die Hassprediger in den Moscheen. Ich betrachte sie vielmehr als Verbündete im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, das westliche kapitalistische Weltsystem.”

    Also Aurel, ich finde, da schießt du ein bisschen weit über das Ziel hinaus. Erstens sehen sie Dich nicht als Verbündeten, ehe du selber zum Islam konvertierst, und zweitens sollte man als aufgeklärter und säkularisierter Mensch gegen jedwede Form von fundamentalistischen Ausprägungen sein! Sie als Verbündete zu sehen ist naiv. In was denn? Weil sie zufällig gegen Israel und gegen die USA wettern? Genauso aber gegen jede Form von Rechtsstaatlicheit im Sinne säkularisierten Rechts. Nein danke! Religiöse Wirrköpfe, ob es die Evangelikalen in den USA oder aber die Salafisten im Islam sind, machen mir Sorgen.

  4. Michel sagt:

    “Das halte ich für ein Gerücht. Bereits in den 50er, 60er und spätestens 70er Jahren entstanden doch schon die ersten Ghettos mit Gastarbeitern, die kein deutsch sprachen.”

    Sicher wurden damals Fehler gemacht, die sich negativ auf die Integration der zweiten und dritten Generation auswirken.
    Aber das war aber damals kein Problem, weil die Gastarbeiter eben integriert waren – ins Arbeitsleben.
    Heute ist es ein Problem, weil oftmals Perspektivlosigkeit herrscht und junge Migranten das Gefühl haben, dass diese Gesellschaft sie nicht will. Jetzt mit härteren Sanktionen zu drohen halte ich für keinen guten Weg.

  5. Jens sagt:

    Es erinnert an Arbeitsmarktdebatten. Es wird zwar ein – relevantes – Thema aufgegriffen, Fordern und Fördern finden Erwähnung, das Problembewußtsein gibt es…, doch merklich ist eine radikale “Meinung” (hier die des Sarrazin Thilos) vorherrschend.
    So mag man an eine wirksame Lösung nicht glauben, wo soll denn all das Geld herkommen? Von den Vermögenden? Bitte, wir sind in Deutschland. Der schwächliche deutsche Staat wird nicht mit den Geldmitteln ausgestattet werden. Da muss man keine Sorge haben. Das gilt für die Bildung und Kinderbetreuung ebenso wie für Integrationskurse als auch Sozialhilfe und weiterhin für Lohnerhöhungen am unteren Ende des Lohnspektrums. Die Polizei wird ebenfalls weiter sparen müssen…

    Vgl auch https://le-bohemien.net/2010/10/02/der-opportunist/
    (es gibt gar nicht genügend Sprachlehrer)

    Meiner Meinung nach gibt es eine augenfällig starke Bringschuldzuweisung in der Integrationsdebatte wie in der Arbeitsmarktpolitik.
    Die Einwanderungsfrage kann also sozial angegangen werden, doch weltanschauliche Diskussionen wie z.B. über Frauenrechte müssen politisch geführt werden, quasi unsere emazipatorischen Erfahrungen aus der Vergangenheit reaktiviert werden. Dass so mancher Einheimischer hier nicht besser ist, o.k., aber das ist keine Einwanderungsfrage;)

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