Slowakei vor Schicksalswahlen

Von David Noack

Morgen sind Parlamentswahlen in der Slowakei – es könnten die wichtigsten für Europa seit Jahren sein. Wieso? Weil der slowakische Premier Robert Fico der “am weitesten links stehende Premier Europas” ist. (jW vom 12.06.2010) Das denkt man bei der Betrachtung seiner Koalitonspartner bestimmt nicht – er koaliert mit einer gaullistisch-christdemokratischen und einer rechtspopulistischen Formation, der HZDS und der SNS.

2006 gab es Druck seitens der europäischen Sozialdemokraten (PES), solch eine Koaliton nicht einzugehen – und lieber mit den neoliberalen Parteien KDH und SDKU zu koalieren. Doch der Linkspopulist Fico wählte die andere Variante: Umsetzung der Wahlziele anstatt political correctness. So gelang es, viele der Wahlkampfforderungen auch im Koalitionsvertrag zu verankern – und es nicht den vielen europäischen Sozialdemokraten gleichzutun und vor der Wahl links zu blinken, um nach der Wahl rechts abzubiegen.

Das neue Kabinett stoß auf Widerstand in Deutschland und Europa: Die PES schloss die SMER aus der Partei und Fraktion aus und das Parlament in Brüssel setzte eine Monitoring Group ein. Alle europäischen Staaten (außer Tschechien – dessen Premier Paroubek war aber schon abgewählt) luden Fico nicht zu einem möglichen Antrittsbesuch ein – ein klarer Affront. Fico – in dessen Büro ein Bild von Che Guevarra hängt – revanchierte sich und zeigte, mit wem er auch kooperieren könnte: Fico nahm an einer Feier zum Jahrestag der Kubanischen Revolution teil. Reisen nach Venezuela und Libyen wurden angekündigt – nur letztere wurde ausgeführt.

Warum war Fico in Europa nun so isoliert? Bestimmt nicht, weil er mit Rechten koalierte – das passiert in Italien z.B. ständig. Nein, weil er dem Neoliberalismus ein Ende setzte! Alle Privatisierungen wurden gestoppt, das private Rentensystem angegriffen, die Rechte von Arbeitern gestärkt, die staatliche Kontrolle von Strom- und Energiepreisen eingeführt, eine staatliche Kontrolle von Lebensmittelpreisen indirekt auch (direkt scheiterte) und sogar Verstaatlichungen durchgeführt.

“Zugleich stellte sich die neue Regierung auch offensiv gegen die privaten Versicherer, indem allen zwangsweise Privatversicherten erlaubt wurde, kostenlos ins staatliche System zurückzukehren. Ministerpräsident Fico wies mehrmals öffentlich auf das hohe Risiko der privaten Pen­sionsvorsorge hin, um für den Ausstieg daraus zu werben. Zwischen Januar und Juni 2008 folgten 103000 Bürger seinem Rat und kehrten in den staatlich kontrollierten Generationenvertrag zurück. Drohungen der privaten Versicherer, man werde diesen Eingriff als geschäftsschädigend in Brüssel verklagen, haben bislang nichts bewirkt. Auch der in der liberalen Presse immer wieder lancierte Vorwurf, der Staat saniere mit diesem »Öffnungs«gesetz seine eigenen maroden Pensionskassen, beeindruckte weder die Regierung noch die Rückkehrer ins staatliche Rentensystem.”

Doch damit nicht genug: “Die Wiedereinführung der Invalidenrente, die Abschaffung der Ambulanzgebühren, die Erhöhung des Kindergeldes, die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Medikamente und Bücher, stabil gehaltene Energiepreise … es ist die Politik der kleinen Schritte, die das Kabinett Fico betreibt. Viel mehr ist im EU-
Umfeld nicht möglich. “Wir planen auch die Senkung der 19prozentigen Mehrwertsteuer für Lebensmittel auf zehn Prozent”, kündigte Robert Zanony vom Pressedienst der Regierung an, “aber die Einhaltung der Maastricht-Kriterien verzögert das Unterfangen.””

An seiner sozialen Politik zeigen sich erneut die Grenzen im europäischen Rahmen – der Sozialstaat steht im Widerspruch zu den Maastricht-Kriterien. Auch wenn die kleineren Koalitionspartner der SMER die EU ablehnen, blieb man aber Mitglied des Vereins. Nichtsdestotrotz geriet die Regierungskoalition ins Visier der deutschen Außenpolitik: In Berlin betreibt man die Abwahl der slowakischen Regierung.

Die neoliberalen Parteien der SDKU, KDH und SMK (die die Slowakei schon von 1998-2006 herunterwirtschafteten) und neuen wirtschaftsliberalen Kräfte SaS und Most-Hid treten nun an, um die Regierung abzulösen. Die derzeit noch herrschende SMER-HZDS-SNS-Koalition hatte sich quasi Ende vergangenen Jahres schon aufgelöst. Die SMER machte daraufhin Avancen gegenüber Most-Hid und die KDH wiederum gegenüber den patriotischen Kräften HZDS und SNS. Bisher haben die oppositionellen Parteien alle ausgeschlossen, mit der SMER zu regieren – aber das wird sich am Samstagabend ändern. Die Spannung steigt!

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