Das Europa der Konzerne wächst

Ein Gastkommentar von Roberto De Lapuente

Das Westfalenstadion heißt jetzt Signal Iduna Park und das Frankenstadion easyCredit-Stadion. Mancher Fußballverein hat, um an Geld zu gelangen, den ehrenwerten Namen seiner Spielstätte in die Tonne geworfen. In England gehört der gesamte Spielbetrieb einer Bank, jedenfalls schlägt sich das im Namen der Liga nieder: Barclays Premier League. Was im Fußball bereits seit Jahren Praxis ist, droht nun als allgemeine Maxime eines neuen Europas umgesetzt zu werden.

Griechenland wurde zu Privatisierungen gedrängt – Portugal verkündete nun, es wolle vorauseilend-gehorsam staatliche Beteiligungen auflösen und in private Hand überführen. Auch der Energiesektor wird dann betroffen sein und der große Reibach multinationaler Konzerne scheint sicher. Die Hellenische Republik, wie sich das griechische Staatsgebilde offiziell nennt, könnte dann durchaus, um Geld zu machen, um aber auch den Einfluss der Finanzmafia auf den Staat zu markieren, den “Sponsor” im Namen tragen: EON’s Hellenische Republik oder wer weiß wer da die letzten staatlichen Beteiligungen des griechischen Staates in den Rachen geworfen bekommt.

Was wie ein ausgesprochen mieser Klamauk eines Kabarettisten von Bierzeltformat klingt, ist so abwegig heute nicht mehr. Was wir gerade erleben ist die restliche Zerschlagung staatlicher Einflussnahme und Beteiligung an wirtschaftlichen Fragen. Die Europäische Union macht derzeit klar, dass Staatsgebilde ihr Tafelsilber zu verkaufen haben, damit in private Hände hineingewirtschaftet werden kann. Die Einflussnahme der Lobbyisten in Brüssel ist so gigantisch, dass man fast geneigt ist zu fragen: Warum eigentlich noch Staaten? Wieso modifiziert man die EU nicht so, dass aus dem Staatenbund ein loser Bund multinationaler Konzerne und Konsortien wird? Der Staat als Institution hat abgewirtschaftet, hat man den Eindruck. Die private Handelsgesellschaft, somit juristische Personen, regeln in Zukunft das Weltgeschehen und schreiben globale Geschichte.

Einige Science-Fiction-Stücke haben sich schon vor Jahren damit auseinandergesetzt. Nationen waren darin verschwunden, kolossale Konzerne waren die neuen Wächter des Gemeinwesens, wobei sich das im Wort enthaltene Gemein dort nicht auf Allgemeinheit, sondern auf bodenlose Gemeinheit zurückführen ließ. Auf dem Weg dorthin sind wir. Fortan werden nicht mehr Verfassungen mit – mal mehr, mal weniger – hehren Motiven und Absichten das Zusammenleben organisieren. Grundlage werden Allgemeine Geschäftsbedingungen sein, in denen von Schutz der Schwachen und Armen, von Recht auf Bildung oder Leben, um nur einige Beispiele zu nennen, keine Silbe nachzulesen sein wird. Stattdessen Rentabilität, Effektivität, Kosten-Nutzen-Modelle und allerlei Habgierigkeiten mehr. Der Ausverkauf letzter staatlicher Beteiligungen, um das wirtschaftliche Treiben voll und ganz “dem Privatier” zu übergeben, es lotst uns genau in eine solche moralisch entleerte Zukunft.

Das mag zu pessimistisch sein. Moralisch entleert wird diese Zukunft wohl nicht sein. Sie wird eine neue Ethik kennen und die Herren, die dann kein Mandat mehr benötigen, weil sie ohnehin über jeden Verdacht erhaben sind – immerhin hat sie irgendwann ein Aufsichtsrat gewählt! -, werden den Menschen, die in deren Reich leben, schon eine funktionale Ethik beibringen. Gut ist der, der Rentables tut!, repetieren dann Schülerscharen. Und Kant, lehren dann Gymnasien, habe immer schon gewusst, dass der kategorische Imperativ unbedingt kategorisch effektiv zu sein habe. Es wird nicht an Moral fehlen. Zweifellos wird auch die Weltgesellschaft multinationaler Konzerne Werte verbreiten. Mit denen, die wir heute noch randständig beobachten und wegbrechen sehen, werden sie allerdings wenig… gar nichts zu tun haben. Man wird dem menschlichen Leben nicht grundsätzliche Unantastbarkeit attestieren wollen, es sei denn, der Mensch ist Kunde, Anleger oder, falls hoch genug qualifiziert, Arbeitnehmer.

Nie war die Europäische Union näher am schon lange gärenden Vorwurf, sie sei eine Union der Konzerne. Das ist sie mit jedem Tag etwas mehr, denn sie macht ihre Mitgliedsstaaten erpressbar, indem sie sich für die Omnipotenz privatisierter Unternehmen ausspricht. Handlungspielräume für den Staat sind damit nichtig. Das Primat der Politik ist somit nicht gänzlich verschwunden, es wird nur in die Wirtschaft delegiert. Dort soll Politik gemacht werden, wenn es nach EU geht. Fortan treffen sich nicht mehr beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, es treffen sich die ungekrönten Könige großer Konzerne, die darüber sprechen werden, wie die europäische Gesellschaft geführt werden müsse.

Das gab es schon, als man Unternehmer in Kommissionen setzte, wenn es um neue Innovationen ging, die erdacht werden sollten. Man denke nur an die Hartz-Kommission, die auch und maßgeblich von Unternehmerhand geleitet wurde. Das war nur die Vorstufe, denn fortan werden in Europa nicht nur Kommissionen unterwandert werden, man wird den Konzernen peu a peu immer mehr politische Macht übertragen und sie damit krönen – nicht wählen, denn Konzerne sind nicht demokratisch, sondern streng diktatorisch strukturiert. Dort wählt man nicht und läßt nicht wählen, dort krönt man und läßt sich krönen. So hat sich das keiner ausgemalt, als es immer hieß, Europa müsse endlich zusammenwachsen.

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7 Kommentare zu "Das Europa der Konzerne wächst"

  1. paulpic sagt:

    Genauso ist es, aber wen überrascht das? Sicherlich niemanden. Und was tut man jetzt? Das weiß keiner. Also macht man weiter wie bisher. Und wie lange wird das gut gehen? Ich fürchte, niemand hat genug Fantasie sich auszumalen, was das Ende dieser Wahnsinnskonstruktion sein wird. Müssen wir es abwarten?

    Ich fürchte ja. Es gibt zwar sehr überzeugende Vorschläge, wie man das Wirtschaftssystem mit einfachen Maßnahmen vom Kopf auf die Füße stellt und den Menschen dienstbar macht, ohne die Konzerne zu verprellen. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass zumindest Kommentatoren zu solchen Artikeln im Internet kaum einen Blick auf das Konzept werfen, geschweige denn es sich genau anschauen. Was soll dann daraus werden?

    So schlagen sich denn alle die Köpfe ein. Jeder weiß es besser, und infolgedessen wird nichts gemacht. So kann die Industrie und die Politik in aller Ruhe weiterwurschteln. Die Kommentatoren fühlen sich großartig, weil es sehr einfach ist, die Missstände anzuprangern, alle Stammtische haben genug zu schimpfen, jeder weiß es besser, aber niemand will die Initiative ergreifen und außerdem könnte man sich auch gar nicht einigen.

    Woran liegt das? Fällt es so schwer, zuzugeben, dass jemand anders eine gute Idee gehabt hat? Oder ist man gar nicht in der Lage zu erkennen, ob eine Idee gut ist? Muss man jede beliebige Idee als Vorwand nehmen, seine Überlegenheit zu zeigen, indem man sie auseinandernimmt, ohne Rücksicht auf Sachlogik und Angemessenheit?

    Ich brauchte jedenfalls nicht lange um zu erkennen, dass das Bandbreitenmodell genial ist und unsere Probleme lösen wird. Es ist auch leicht möglich, das gesamte Wirtschaftssysteme mit dem Bandbreitenmodell in kürzester Zeit umzugestalten, ohne dass irgendjemand einer Gehirnwäsche unterzogen oder an Leib und Leben bedroht werden muss. Man muss dazu nur die richtige Partei wählen und an die Macht bringen.

    Es sind doch alle immer so für die Demokratie – das ist die beste Gelegenheit, zu zeigen, dass man begriffen hat, was Demokratie bedeutet, und die Demokratie für fähig hält, unsere Probleme zu lösen. Wer für Demokratie ist, muss sich in Parteien engagieren und die richtige Partei an die Macht bringen. Der Mob auf der Straße, um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen, hat mit Demokratie nichts zu tun.

    Stattdessen werden überall die falschen Parteien an die Macht gebracht und hinterher ist das Geschrei groß. Deshalb lasse ich nicht ab zu predigen, dass das Bandbreitenmodell eingeführt werden muss, und zwar global. Es kann übrigens auch in Griechenland eingeführt werden, aber Deutschland wäre als Anfang besser und einfacher.

    Es ist auch nicht abzusehen, dass die Massen auf der Straße in Griechenland oder in Spanien sich mit solch einem Konzept beschäftigen würden. Die bleiben lieber bei ihrer Wut und Ratlosigkeit. Sie werden die Suppe schon auslöffeln müssen, die man ihnen eingebrockt hat. Und wir auch, wenn wir nichts tun.

    Also: Engagiert Euch als gute Demokraten und sorgt dafür, dass die Verhältnisse sich ändern! Dafür kann man übrigens auch mit journalistischen Mitteln kämpfen. Dann muss man aber ein bisschen anders ansetzen.

    http://bbm-ddp.tumblr.com

    • Eremit sagt:

      Das Modell trägt eine sehr gute Grundidee in sich – je solidarischer, desto fruchtbarer – nur, das ist – leider – den Menschen in ihrer großen Mehrheit nicht vermittelbar – der Neid steht wie ein unüberwindliches Gebirge zwischen den Massen und der Lösung.

      Die Menschen sehen lieber die Chance, sich in das oberste Dezil der existierenden vorarbeiten zu können, sich an anderen vorbeiarbeiten, sie überholen zu können. Die Plutokraten nutzen den Neid als Schmieröl für Ihre Maschinerie, gäbe es keinen Neid, – wäre das Bandbreitenmodell, oder ein Bürgergeldmodell, ja auch ein sozialistisches Modell – oder eine Mischform – leicht zu verwirklichen.

      Manchmal kommt mir der Gedanke vom Spieler, wäre die Welt solidarisch und friedlich, es ginge der Reiz des Spiels verloren, fast so, als könnte man ohne das Leid der anderen seinen eigenen Erfolg nicht mehr genießen.

      Wie im Text angesprochen sind Despotien von Konzernen eine beliebte Utopie in SF-Romanen, was innen oft auch innewohnt ist die extreme Langeweile, die auch die dann Mächtigen befällt, da sie keine Menschen mehr um irgend etwas betrügen können – das einzige was bleibt ist, ihnen auf alle möglichen grausamen Arten das Leben aus den Körpern zu treiben.

      Betrachten wir die letzten 3000 Jahre unserer Zivilisation – global – so gab es da doch tatsächlich Phasen, die diesem “Gipfel” zivilisatorischer Entwicklung schon sehr nahe kamen.

      • Das stimmt nicht so ganz – zwar ist die Idee der Solidarität in Bandbreitenmodell enthalten, aber auch die Nutzung der als gegeben und unveränderlich angesehenen Eigenschaften der Menschen, besser sein zu wollen als ihre Nachbarn.

        Ob dies nur für westliche oder patriarchalische Gesellschaften zutrifft und wirklich eine menschliche Konstante ist, muss uns überhaupt nicht kümmern. Wir sind eine westliche und patriarchalische Gesellschaft, und auf diese trifft das sicherlich zu. Insofern erscheint es nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig, diese Randbedingung in das gesamte System miteinzubeziehen.

        Deshalb geht der Autor Jörg Gastmann davon aus, dass die Menschen sich nicht mit dem Basismodell zufrieden geben werden, das ja zunächst überaus attraktiv erscheint: 2000 € für Nichterscheinen. Es wird also nach wie vor ein Bedürfnis bei vielen nach besser bezahlten Stellen und wahrscheinlich auch nach Stellen mit sehr viel besserer Bezahlung und sehr viel mehr Macht und Einfluss geben.

        Das Bandbreitenmodell ist also keine Konstruktion zur Etablierung des Paradieses, zur Schaffung neuer Menschen, sondern lediglich erst einmal ein Wirtschaftsmodell, das die Bedürfnisse der Menschen nach angemessener Existenzsicherung mit den Bedürfnissen der Wirtschaft in Einklang bringt und außerdem auch noch die Bedürfnisse des Staates befriedigt, der ja immer weniger seinen eigentlichen Verpflichtungen nachkommen kann.

        Um es noch einmal geradeheraus zu sagen: Das Bandbreitenmodell kann genauso gut von Parteien des politischen Randspektrums übernommen werden wie von der Deutschen Demokratischen Partei ddp, die liberal und strikt den Menschenrechten verpflichtet ist. Welche Art von Politik man auf der Grundlage des Bandbreitenmodells treibt, hängt von den Parteien und den Wählern ab.

        Im Moment ist es nur die ddp, die das Bandbreitenmodell in ihrem Programm hat. Insofern wählt man mit dem Bandbreitenmodell auch deren politische Werte, zu denen beispielsweise auch die strikte Trennung von Kirche und Staat gehört. Wer das als eine Kröte empfindet und diese Kröte nicht schlucken kann, wird die ddp und das Bandbreitenmodell nicht wählen können.

        Oder andersrum gesagt: Wenn sich eine absolute Mehrheit in unserem Lande für das Bandbreitenmodell finden sollte, werden damit auch automatisch die übrigen Ziele der ddp verwirklicht werden können. Nicht nur die Kirche wird sich dann umschauen, auch die Energiekonzerne und viele andere mehr.

        Freilich gibt es mehr Gewinner als Verlierer, und auch die Verlierer müssen keineswegs jammern, denn auch für sie bietet das Bandbreitenmodell und die ddp viele Vorteile. Wer tatsächlich den Kürzeren zieht, wird sich umorientieren.

        Steuerberater werden beispielsweise völlig überflüssig; zehntausende Steuerberater mitsamt ihren Angestellten werden sich neu orientieren müssen. Aber ist das so schlecht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Beruf einen glücklich machen kann. Und nur darauf kommt es im Leben an.

        Wenn man soweit ist, wird man sich doch fragen: Macht Geld glücklich? Macht Macht glücklich? Macht Sex glücklich? Macht Grausamkeit glücklich? Macht der Neid der anderen glücklich?

      • Eremit sagt:

        …. ich vergaß zu schreiben — ….. , und kommen.

  2. dieblaueneu sagt:

    “. So hat sich das keiner ausgemalt, als es immer hieß, Europa müsse endlich zusammenwachsen.”
    ————————-
    Wer sich interessierte, für den war es von Anfang an klar, welches “Europa” gemeint war.

  3. dieterbohrer sagt:

    Meine Güte, ich komme ja nicht mehr zum schlafen: “Bandbreitenmodell”, bislang nie gehört! Das Thema “Bedingungsloses Grundeinkommen für alle” (Universität Wien et al.) kenne ich und billige ich. Jetzt muss ich also erst einmal dort lesen und mich informieren. Danke

    Und @Werner Popken: “westliche petriarchaische Gesellschaft” sollte man – als Begriff – auch nicht im plausiblen Zusammenhang mit einem entsprechend aufgebauten Text – der modernen funktional differenzierten Gesellschaft nicht mehr überstülpen oder anhängen: denn WENN sie funktional diffenziert ist, dann kann sie nicht mehr archaisch sein. (das nur so nebenbei).

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