Bundeswehr-Einsatz
„Mit Syrien hat das wenig zu tun“

Die Bundesregierung entsendet Flugzeuge der Bundeswehr in den Syrien-Krieg. Nach Expertenmeinung handelt es sich dabei um blinden Aktionismus. Doch der ist Teil einer Langzeitstrategie

syrien bundeswehr tornado

Bild: projectphoto.ch / flickr / CC BY-NC-SA 2.0

Von Hermann Ploppa

Nun also haben unsere Bundestagsabgeordneten mit überwältigender Mehrheit dem Bundeswehr-Einsatz in Syrien zugestimmt. Solche Tatkraft und Entschlossenheit im Kampf gegen das Böse in Form der Terrorschwadronen des Islamischen Staates beeindruckt. Wir Demokraten lassen uns von bärtigen Sandalen tragenden Kopfjägern nicht einschüchtern. Wir tun was.

Vier deutsche Tornado-Kampfjets sollen die Steinzeitmuslime das Fürchten lehren. Außerdem schützt die Bundeswehr französische Flugzeugträger, und leiht auch Personal für die Hauptquartiere der französischen Einsatzstäbe aus. Wir tun was.

„Jede Luftmacht, die dazu kommt, kompliziert die Situation zusätzlich.“

Peinlich nur, dass gleich zwei erfahrene Spitzenmilitärs im Ruhestand die deutsche Beteiligung für „blinden Aktionismus“ halten. Harald Kujat, früher General der deutschen Luftwaffe, qualifiziert das deutsche Militär-Debüt in Nahost als rein symbolische Geste gegenüber Frankreich. Die Bundeswehr-Aktion sei nicht eingebettet in irgendeine Gesamtstrategie, die es im Übrigen sowieso gar nicht gäbe. Es habe nämlich gar keinen militärischen Sinn, aus großer Flughöhe Ziele auf dem Boden zu bombardieren. Die IS-Kämpfer bewegen sich in Zivilfahrzeugen zum Kampfplatz und wohnen ansonsten inmitten unter Zivilisten. Sie anzugreifen führe also unweigerlich zu so genannten Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung. Luftoperationen hätten also überhaupt keinen Sinn, wenn sie nicht in Zusammenarbeit mit Bodentruppen erfolgen. Und das, so Kujat, träfe nur auf den Einsatz der russischen Luftwaffe in Syrien zu. Die arbeite nämlich mit den Bodentruppen der syrischen Regierung eng zusammen. Und da außer den Russen niemand in Syrien über eine gemeinsame Kommandostruktur verfüge, verderben viele aktionistische Köche den Brei. Und das lässt Kujat zu der Schlussfolgerung gelangen: „Jede Luftmacht, die dazu kommt, kompliziert die Situation zusätzlich.“ Helfen könnten nur politische und humanitäre Lösungen.

Noch schärfer attackiert der sichtlich erschütterte ehemalige Oberstleutnant und NATO-Einsatzplaner Ulrich Scholz in einem Interview der Tagesschau das deutsche militärische Engagement in Syrien. Die Aktion sei „strategisch sinnlos … nur eine Geste gegenüber Frankreich.“ Auch Scholz moniert das Fehlen einer Zusammenarbeit zwischen Bodentruppen und Luftwaffe. Zudem seien die Tornados schlicht und ergreifend vollkommen veraltet: „… das ist Vietnam-Technologie, die wir da haben … Drohnen und F-16, die jetzt vor Ort sind, können das wesentlich besser.“ Da trotteln also jetzt bundesdeutsche Flugsaurier neben oder hinter den zeitgenössischen Kampffliegern herum und werden aus Mitleid auch mal mit einem Auftrag beglückt, damit sie nicht nur dumm im Weg rumstehen?

Dass ranghohe Militärs im Ruhestand das Wort erheben, um offensichtlichen strategischen Unsinn anzuprangern, hat in Deutschland Tradition. Es ist mit Gewissheit davon auszugehen, dass die Veteranen im Namen ihrer aktiven Kameraden innerhalb der Bundeswehr sprechen, die sich aufgrund politischer Loyalität zur Bundesregierung nicht so deutlich äußern dürfen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass es mit dem Berufsethos eines Soldaten nicht zu vereinbaren ist, irgendwelchen offenkundigen Unfug im Ausland zu treiben.

Aber: ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode. Warum fliegen in Syrien lauter Bomber herum und zielen auf die Erdoberfläche, ohne übergreifende Strategie, mit Ausnahme der russischen Luftwaffe? Die Tagesschau zitiert einen Experten der USA-nahen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik [3], einem offiziellen Beratungsinstitut der Bundesregierung, Guido Steinberg, der offen sagt: „Mit Syrien hat das wenig zu tun.“ Vielmehr wolle Bundeskanzlerin Merkel ihren französischen Amtskollegen Francois Hollande den Rücken stärken gegen den Vormarsch der Rechtspopulisten unter Le Pen bei den Wahlen – in Frankreich. Steinberg sagt im Übrigen eine weitere Stärkung der IS durch den deutschen militaristischen Aktionismus voraus.

Wenn dem so wäre, wie Guido Steinberg es sagt, müsste man umgehend ein Amtsenthebungsverfahren gegen die jetzige Bundesregierung in die Wege leiten: deutsche Soldaten operieren im Ausland und riskieren Leib und Leben als Wahlkampfhelfer für die Sozialisten in Frankreich? Allerdings leidet Steinbergs Erklärung an einem Mangel an Plausibilität. Keine Bundesregierung hat jemals Soldaten ins Ausland geschickt, um einem befreundeten ausländischen Staatschef kurzfristig aus dessen innenpolitischer Bredouille zu helfen. Vielmehr hat die Steinberg-Hypothese die Funktion einer ideologischen Nebelkerze.

Der Don Quichotte-Ausritt der Bundeswehr in Syrien ist nämlich nur Teil einer langfristigen Militärpräsenz im Nahen und Mittleren Osten.

Das ist mit dem Wort „Syrien-Engagement“ wunderbar verdeckt. Wer sich nämlich das vom Parlament mehrheitlich gebilligte Mandat genau anschaut, stellt folgendes fest: mit dem Mandat sind Bundeswehr-Einsätze nicht nur in Syrien genehmigt worden, sondern in allen Ländern, wo der IS sein Unwesen treibt. Das Mandat stellt folglich den Freibrief für Bundeswehr-Einsätze im Irak, dem östlichen Mittelmeer, dem Roten Meer, dem Persischen Golf und für alle angrenzenden Seegebiete bereit. Einziger Vorbehalt: die betroffenen Staaten müssen einem solchen Einsatz zustimmen.

Die Regierungen vor Ort sind schwach, die Infrastruktur und die Sicherheitsarchitektur sind mürbe, und so werden die betroffenen Regierungen im Bedarfsfalle ihre Genehmigung für die Demontage ihrer nationalen Souveränität gerne erteilen. Oder man schert sich sowieso im Post-9/11-Zeitalter nicht mehr um solche Empfindlichkeiten. Türkische Truppen haben Teile des Irak besetzt ohne die irakische Regierung um Erlaubnis zu fragen. Die Türkei ist Mitglied der NATO. Bislang hat die NATO die Türkei nicht aufgefordert, diese Invasion sofort rückgängig zu machen. Von NATO-Sanktionen gegen die Türkei ganz zu schweigen.

Die Bundeswehr ist jetzt fest im Spinnennetz nahöstlicher Verstrickungen gefangen. Offiziell ist das Mandat nur bis zum 31.12.2016 begrenzt. Das kennt man schon. Wie viele Jahre wurde das Engagement in Afghanistan stets vor dem Fristenende erneuert? Aus diesem Abenteuer wird man so schnell nicht wieder heraus kommen. So viel ist sicher. Die deutschen Steuerzahler beteiligen sich jetzt erst einmal mit 134 Millionen Euro am Syrien-und-Umgebung-Abenteuer. Das dürfte sich allerdings verhalten wie mit dem Kostenvoranschlag für einen Hausneubau: der wird in der Regel nach Vollendung weit überschritten. Und diese 134 Millionen-plus Euros würden so dringend gebraucht, um die Länder und Kommunen in ihrem Krisenmanagement bei der Flüchtlingskatastrophe zu unterstützen.

Kommen wir wieder zu den beiden ehemaligen Spitzenoffizieren der Bundeswehr, General Kujat und Oberstleutnant Scholz zurück. Beide betonen in den genannten Interviews die Gefahr, dass nun auch Deutschland in weit größerem Maße als bisher das Ziel terroristischer Anschläge sein wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach Paris wird nun über kurz oder lang Berlin brennen. Dann wird auch Deutschland zum Hochsicherheitstrakt. So wie es Frankreich jetzt schon ist. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurden in einem Pariser Vorort die Bewohner unter kollektiven Hausarrest gestellt. „Sicherheits“kräfte beherrschen in voller Montur die Straße. Die Menschen sind schockstarr und lassen alles über sich ergehen.

Frankreich wird zu einem Militärstaat umgebaut. Und jeder Terrorakt lässt die sowieso schon lange geplante Aufrüstung unseres westlichen Nachbarlandes weiter anschwellen. Bereits nach dem Attentat auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo im Frühjahr dieses Jahres 2015 ergab sich für die Grande Nation die Gelegenheit, ihre Steuerzahler mit einer monströsen Erhöhung des Wehretats um sage und schreibe vier Milliarden Euro zur Ader zu lassen. Die Massaker in Paris im Herbst desselben Jahres schaffen die atmosphärischen Voraussetzungen, den französischen Bürgern noch einmal eine Milliarde Euro für die Rüstung abzupressen. Geschockt geben die Bürger Frankreichs bereitwillig ihr Geld, ihre zivilen Grundrechte und ihren Anspruch auf sozialen Fortschritt an der Garderobe ab.

All das wird uns jetzt auch blühen. Die Bundesrepublik Deutschland und insbesondere die Hauptstadt Berlin sind augenblicklich noch sehr offen und entspannt, verglichen mit den hochgradig kontrollierten und in Sektoren abgeschlossenen öffentlichen Räumen in Frankreich, England oder USA. Wenn wir nun die Köpfe in den Sand stecken und hoffen, dass schon alles gut gehen wird; wenn wir uns nicht sofort ernsthaft auf die Situation vorbereiten, die in Form terroristischer Anschläge als Vergeltung für unsere militärische Einmischung in hoffnungslos verfahrene Kampfsituationen eintreten werden; dann haben wir bereits jetzt unsere Zivilgesellschaft aufgegeben. Für den krebsgeschwürartig wachsenden globalen Militär-Industriellen Komplex ist Deutschland mit seinem Reichtum nämlich ein äußerst interessanter Wachstumsmarkt.

Nach dem grässlichen Massaker in Paris am Freitag, dem 13. November 2015 knallten bei den Rüstungskonzernen die Sektkorken. Am darauffolgenden Montag schossen die Rüstungsaktien an der New Yorker Börse durch die Decke. Die Aktien für Lockheed Martin stiegen um 3,5% im Wert und Northrop Grumman um 4,4%. Natürlich hat auch die Rüstungsindustrie ihre eigenen Analyse-Büros, z.B. die Firma Stifel in Missouri in den USA. Stifel prophezeit für das Jahr 2016 goldene Zeiten für die Rüstungsindustrie: „Wir sehen als wahrscheinlichstes Ergebnis die politische Unterstützung für Verteidigungsausgaben, und dass im Jahre 2016 ein größeres Augenmerk in den Debatten anlässlich der Wahlen auf nationale Sicherheit und Terrorismus gelegt wird, was mit hoher Wahrscheinlichkeit positive Schlagzeilen für Militärkonzerne bringen wird.“

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Anmerkungen

[3] zur SWP: Hermann Ploppa, Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern; Frankfurt 2014. S.92f

Artikelbild: projectphoto.ch / flickr / CC BY-NC-SA 2.0

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2 Kommentare zu "Bundeswehr-Einsatz
„Mit Syrien hat das wenig zu tun“"

  1. Christa sagt:

    Wir tun was ! Dabei spielt keine Rolle, ob die ohnehin schon komplizierte Situation noch verschärft wird. Oder ob Deutschland durch seine militärische Eimischung in das Visier der Terroristen gerät. Deutschland muss schliesslich seinen Beitrag leisten, mögen die Gründe dafür noch so fadenscheinig sein.

    Es wird schon gut gehen. Als Bürger hat man immer mehr den Eindruck, dass in diesem Sinne heute Politik gemacht wird. Über einen Plan B wird erst nachtgedacht, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und selbst dann herrscht Uneinigkeit und Hilflosigkeit vor. Oder wie sonst soll man z.B. die Flüchtlingskrise beurteilen?

    Krisenzeiten offenbaren die Fähigkeiten eines Politikers. Es ist immer das Volk, das darunter leiden muss, wenn ‘die da oben’ ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr wahrnehmen und weitreichende Entscheidungen treffen, die dem eigenen Land und seinen Bürgern schaden.

  2. Vera R sagt:

    >> Wichser – Arschlöcher – Arschgeigen – Verarschte <<

    Sorry wegen der Wortwahl aber anders kann man es doch gar nicht mehr sehen.

    Da sitzen irgendwelche Wichser auf ihren Dollarsäcken,
    wissen vor Kohle nicht wohin damit wollen aber mehr,
    noch mehr, viel mehr und selbst alles ist nicht genug.
    Sie suchen, finden und motivieren irgenwelche Arschlöcher.

    Arschlöcher die sich und andere in die Luft sprengen.
    Komischerweise wird nur das normale Volk "besprengt",
    das sich wie eine Schafherde hin und her treiben lässt.

    Echter Terrorismus ist doch anders! Man denke nur mal an die RAF.

    Also alles Volksverarschung! Und natürlich werden auch die
    armen spermagestauten Idioten verarscht, die sich für 72 Jungfrauen in
    die Luft sprengen.

    Last but not least, unsere Arschgeigen die das ganze Spiel
    entweder nicht checken oder es aus irgendeinem Grund mitspielen
    und sich über ihre eigene Wichtigkeit und das nächsthöhere Pöstchen
    bei SimCity-real freuen.
    Dafür kann man schon mal sein Volk verarschen. Merkt das Volk ja sowieso nicht,
    dank entsprechender, wohlversorgter Ö.R. Medien mit ihren "Produkten" bzw. Formaten.

    Soweit in der Kürze
    Vera

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