Syriza-Mobbing
Der Würgeengel

Ist die Syriza-Führung zu angepasst?

Eine andere Kritik kommt eher von links und aus dem radikaleren Flügel der Syriza selbst. Sie lässt sich so zusammenfassen und wurde unlängst vom Ökonomen und Syriza-Abgeordneten Costas Lapavitsas in einem umfassenden Interview für das US-Magazin “Jacobin” formuliert: Das strategische Problem der Regierungsspitze um Tsipras und Varoufakis bestehe darin, dass sie erstens mit der Voraussetzung in die Verhandlungen ging, dass signifikante Änderungen, ein Ende der Austerity und ein Schuldenerlass innerhalb des Rahmens der Institutionen der Währungsunion möglich seien und dass zweitens das völlig unzweifelhafte Ziel formuliert wurde, Griechenland im Euro zu halten.

Letzteres Ziel, das natürlich auch mit den ganz klaren Wünschen der Mehrheit der Griechinnen und Griechen übereinstimmt, habe aber eben dazu geführt, dass die griechische Regierung von vornherein klargemacht hat, sie werde den “Schalter für die Atombombe” nicht drücken und sie somit erpressbar wurde. Ohne realistisches Drohpotential musste sie alle Diktate schlucken. Die beiden Kritikpunkte kann man auch verbinden: Vielleicht haben Tsipras und Varoufakis zu sehr auf die Vernunft ihrer Partner vertraut, sodass sie tatsächlich dachten, das Drohpotential nicht zu benötigen. Das und insbesondere der Hinweis, dass die Währungsunion nicht an sich neutral ist, sondern von Institutionen flankiert wird, in die ihre neoliberale Entstehungsgeschichte schon eingeschrieben ist (Maastricht-Kriterien, ESM, Fiskalpakt, Schuldenbremse, etc.), diese also möglicherweise “unreformierbar” ist, ist sicherlich nicht völlig von der Hand zu weisen.

Womöglich markieren die beiden oben genannten, auf dem ersten Blick widersprüchlichen Vorwürfe ein strategisches Dilemma: Einerseits will die griechische Regierungsführung als “standhaft” erscheinen und jeden Eindruck vermeiden, sich zu unterwerfen (das speist den Vorwurf, sie sei konfrontativ), anderseits hat sie tatsächlich eine vergleichsweise moderate Agenda (ein bisschen mehr Keynesianismus innerhalb der Eurozone ohne echten Plan B). Wenn man in einem solchen Dilemma ist, muss man manövrieren.

Weder Ländermatch noch Freundschaftsspiel

Kompliziert wird all das noch durch den Umstand, dass jede europäische Regierung gewissermaßen in mehrere Richtungen blickt. So wie die konservativ geführte deutsche Regierung, deren europapolitischer Linie sich die SPD völlig unterworfen hat, natürlich immer einen funktionierenden Konsens innerhalb der europäischen Institutionen im Auge hat, ABER AUCH das Meinungsklima in Deutschland UND die Mehrheitsverhältnisse in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beachten muss, genauso muss auch die Syriza-Regierung sowohl die Kompromissmöglichkeiten innerhalb der Eurogruppe ALS AUCH das Meinungsklima in Griechenland UND die verschiedenen Flügel von Syriza austarieren.

Das heißt aber auch: Wer in Europa erfolgreich agieren will, muss einerseits versuchen, die Regierungen anderer Länder oder das Meinungsklima in anderen Ländern für sich zu gewinnen, aber er muss gleichzeitig und andererseits auch (um genau zu sein: insbesondere) für die nationale Galerie spielen. Denn letztlich wird er oder sie im nationalen Rahmen gewählt.

Diese beiden strukturellen Notwendigkeiten (die in Wahrheit Dilemmata sind) können sich aber widersprechen und haben eine große Gefahr: nämlich die Gefahr, dass politische Konflikte nicht politisiert werden (im Sinne von Links versus Rechts, Keynesianismus versus Austerity, Sozialismus versus Großkapital etc.) sondern “nationalisiert” oder sogar “ethnisiert”. In den europäischen Gläubigerländern wie Deutschland, Finnland und auch in Österreich hat sich in den vergangen fünf Jahren ein “ökonomischer Rassismus” breit gemacht. Es wird nicht nur scheel auf die “unsoliden Schuldnerländer” herabgeblickt, sondern deren ökonomische Probleme werden mit angeblichen ethnisch-kulturellen Eigenschaften verbunden: Schlendrian, Faulheit, ein Hang zur Korruption, all das würde zur südlichen Lebensweise dazu gehören, so lautet die verbreitete Storyline. Insofern nimmt es nicht wunder, dass die Gegenreaktion in Ländern des Südens auch ein nationalistisches Framing annimmt – tatsächlich ist ja “das eigentliche Wunder, dass das nicht schon viel früher passierte”, wie Paul Krugman unlängst schrieb.

Man soll die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen: Der Sieg von Syriza ist nicht nur ein “linker” Wahlsieg. Der Aufstieg von Syriza und der Wahltriumph vom Ende Januar verdankt sich dem Umstand, dass die Partei einen hegemonialen Block schmieden konnte, der klassische und neue Linke genauso umfasst wie modernistische Wähler und Wählerinnen der politischen Mitte, die Syriza als neue Kraft den altmodischen Klientelparteien vorzogen, aber ebenso Griechinnen und Griechen, die sich in ihrer “nationalen Würde” gekränkt fühlten. Das ist an sich noch überhaupt keine Tragödie: Linke Wahlsiege waren in der Geschichte nur selten vollends “rein”, das heißt, sie waren nie frei auch von fragwürdigen Wahlmotiven. Ein gewisses Maß an patriotischem Appeal gab es sehr oft auch in den bewunderswertesten linken Projekten (etwa das “alle zusammen”, das an sozialen Zusammenhalt und Solidarität appelliert, dies aber tendenziell sehr oft territorial, wenn nicht sogar ethnisch implizit eingrenzt). Hier gerade auf Syriza mit dem Finger zu zeigen hätte auch etwas Heuchlerisches, wenn man beispielsweise bedenkt, dass der Aufbau des skandinavischen Wohlfahrtsstaates in Schweden unter dem Slogan “Folkhemmet” von statten ging oder etwa Bruno Kreisky immer wieder darauf hinwies, in Schweden habe er einen “sozialen Patriotismus” kennen gelernt, den er in Österreich verwirklichen wollte.

Nichtsdestoweniger ist ein “nationalistisches” Framing sozialistischer Reformpolitik fragwürdig und umso riskanter, wenn es sich nicht ausschließlich um einen nach innen gerichteten, inklusiven Patriotismus handelt sondern wenn auf der Klaviatur eines nach Außen gerichteten Nationalismus gespielt wird, und das noch dazu im Kontext der Europäischen Union. Es ist, wie gesagt, eine verständliche Reaktion angesichts des jahrelangen “ökonomischen Rassismus” des Nordens und des geradezu haarsträubenden deutschen Nationalismus, birgt aber offensichtliche Gefahren, grundsätzlicher Natur und politisch taktischer Natur.

Es ist ja klar: Wenn ich den Konflikt um die Austeritätspolitik in Europa als Konflikt “Griechen gegen Deutsche” frame, dann werde ich erstens Schwierigkeiten haben, jene Deutschen als Bündnispartner zu gewinnen, die ich gewinnen kann und will, und es wird auch schwieriger werden, Franzosen, Italiener oder andere für meine Anliegen zu gewinnen, weil die im schlimmsten Fall ja dann den Eindruck haben, der Konflikt zwischen den Griechen und den Deutschen gehe sie nichts an.

Natürlich ist die Rhetorik von Syriza nicht aus einem Guss: Erstens ist sie eine bunte Partei und zweitens hat sie auch eine ganze Reihe Parteiloser in ihren Reihen. Es ist eher eine Tohuwabohu-Rhetorik, in der aber, um das mindeste zu sagen, nationalistische Rhetorik auch ihren Platz einnimmt. In der Realität wird von der Parteispitze an dem einen Tag die “griechische” Klaviatur bedient und am nächsten “die europäische”. Politisch taktisch ist das durchaus alles verständlich, führt aber mindestens zu Dissonanzen und zum Eindruck, die politische Kommunikation sei inkonzise und konfus und jeden Tag sei ein anderer Akteur damit beschäftigt, etwas zurück zu nehmen, was er Tags zuvor gesagt hat. Im schlimmeren Falle entsteht ein Krieg der Worte, der nicht entlang politischer sondern entlang nationaler Konfliktlinien verläuft und einen Beitrag zur Vergiftung des Klimas leistet. Der mangelnder Solidarität mit Syriza völlig unverdächtige Henning Meyer hat im Portal SocialEurope deshalb nicht ganz unrecht mit seinem Appell an beide Seiten: “Der Krieg der Worte zwischen der deutschen und der griechischen Regierung muss sofort aufhören!”

Seite 4: Die Heuchelei der Syriza-Kritiker

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2 Kommentare zu "Syriza-Mobbing
Der Würgeengel"

  1. Mike sagt:

    Endlich mal ein etwas ausgewogenerer, unaufgeregterer Artikel der nicht in das Schwarz/Weiß-Schema – Gläubiger/Deutsche=Böse / Arme Griechen=Gute – eines Eric Bonse verfällt. Es wurden und werden eben auf beiden Seiten Fehler gemacht. Gute Hintergrundinformationen – hatte ich von Herrn Misik ehrlich gesagt gar nicht erwartet.

  2. Ralf Dahrendorf sagt:

    Dieser Artikel wird versuchen, denjenigen, die mit der gegenwärtigen Situation in Griechenland nicht vertraut sind, die Grundursachen des gegenwärtigen griechischen Dramas zu erläutern.

    Trotz der weithin geförderten Vorstellung, daß Griechenlands Problem hauptsächlich finanzieller Art ist, könnte dies nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Was diesem uralten Land heutzutage bevorsteht, ist sein totaler Zusammenbruch als Nationalstaat. Die angebliche Wirtschaftskrise ist in Wirklichkeit weitgehend fiktiv, und sie wird von der gegenwärtigen Regierung und von äußeren Kräften als Vorwand und als Mittel benutzt, um die wirtschaftliche Erschöpfung der griechischen Mittelschicht und die schließliche Auflösung des Staates zu fördern.

    Meine Hauptthese lautet, daß kurz nach dem Ende des Kalten Krieges ein Plan zur effektiven Demontage Griechenlands und zur Auslöschung der nationalen Identität der Griechen entworfen und umgesetzt wurde, der mathematisch zu ihrem Verschwinden als homogene Menschengruppe führen würde. Der Leser sollte ob solcher Behauptungen nicht verblüfft sein; der Artikel wird ihm all die notwendigen Beweise zur Stützung dieser These präsentieren. Der erste Teil des Artikels wird sich auf einen notwendigen Crashkurs über die politische Geschichte Griechenlands konzentrieren, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wahl der gegenwärtigen griechischen Regierung.

    Von Alexios Synodinos

    https://schwertasblog.wordpress.com/2013/11/03/die-griechische-krise-verstehen-teil-1/

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