Syriza-Mobbing
Der Würgeengel

Europas Eliten wollen die Syriza-Regierung in die Kapitulation mobben. Gleichzeitig verbreitet sich die Ansicht, Tsipras, Varoufakis & Co. würden es ihren Gegnern durch Ungeschicklichkeit leicht machen. Ist da etwas dran?

syriza griechenland-krise

Foto: Theophilos Papadopoulos / flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Von Robert Misik

Wer zu einer dichotomischen Weltauffassung neigt, für den oder die sind die Dinge leicht schwarz-weiß. Kräfte der Finsternis stehen gegen die Kräfte des Lichts. Die Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Aufklärung gegen Verdummung. Wir können uns hunderte solcher Antagonismen ausdenken. In der wirklichen Welt sind die Dinge oft eine Prise komplexer: Kompromisse werden eingegangen, die Kräfte des Lichts setzen sich nicht vollends durch, aber die Kräfte der Finsternis sind gelegentlich auch bereit, sich mit ihnen zu arrangieren. Zumal es, wie wir ja alle wissen, auch auf der Seite des Lichts ein paar Schattenplätze gibt, und deshalb genauso auf der Seite der Finsternis ein paar Gutmeinende und wache Geister, die bereit sind, sich mit einem neuen Konsens abzufinden, wenn sich die Umstände ändern.

Weniger poetisch und dafür etwas politischer gesprochen heißt das: Politische Blöcke sind nie völlig monolithisch und es gibt immer Raum für Manöver. Das gibt auch der politischen Linken gelegentlich die Möglichkeit, kleine, aber signifikante Fortschritte zu erzielen, selbst wenn ein Sieg in eminentem Sinn nicht im Angebot ist.

So gesehen gab es Anfang Februar durchaus realistische Gründe zu der Annahme, dass die Syriza-Regierung in Griechenland auch innerhalb des Rahmens der europäischen Institutionen (der EU-Institutionen und der mit ihr verbundenen Institutionen der Euroguppe) die Möglichkeit hat, Fortschritte zu erzielen. Schließlich dämmert so manchen auch in Regierungsämtern langsam, dass Austerität einfach nicht funktioniert, schließlich gibt es auch beispielsweise in Italien und Frankreich Regierungen, in deren eigenem Interesse ein Aufweichen der deutschen Spar-Dominanz ist, und schließlich hat der Wahlsieg von Alexis Tsipras und seiner Partei die politischen Kräfteverhältnisse in Europa verändert. Auch die EZB-Führung kämpft mit ihren Programmen zum Quantitative Easing gegen die Depression und Deflation in Europa an, Bemühungen, die aber erfolglos bleiben müssen, solange die politische Seite keine Akzente zur Belebung der Konjunktur setzt. Hier gibt es also auch innerhalb des herrschenden Blocks durchaus Interessenskonflikte. Daher konnte man es zumindest für möglich halten, dass sich daraus ein Spielraum öffnet, der genützt werden kann.

Sechs Wochen später muss man konzedieren, dass sich bis dato jedenfalls ein solches Fenster nicht geöffnet hat – und wenn es je einen Spalt offen war, dann ist es krachend zugeschlagen worden. Hoffnungen auf eine Kurskorrektur in kleinen Schritten sind zerstoben.

In den Verhandlungen, die im Abkommen vom 20. Februar mündeten, haben die Finanzminister der Eurogruppe die griechische Seite mit Blockaden, Drohungen und Erpressung zu einer Abmachung geprügelt, die auf der einen Seite wesentliche Teile der bisherigen Programme unangetastet lässt, und die auf der positiven Seite nur zwei Momente aufweist: Einerseits ist sie vage genug, um praktischen Spielraum zu lassen, andererseits wurde das Primärüberschussziel Griechenlands gelockert. Dieser einzige konkrete positive Punkt ist aber durch die Tatsache längst obsolet, dass sich das Steueraufkommen Griechenlands in den letzten Monaten dramatisch reduzierte. Das heißt: Vom Primärüberschuss, der der Regierung Spielraum gegeben hätte, ist heute praktisch nichts mehr übrig.

Angesichts dessen, was seither geschah, gibt es keinen Zweifel mehr, dass es das Ziel der wesentlichen europäischen Akteure – also der Finanzminister der Mitgliedstaaten und der EZB – ist, die griechische Regierung praktisch zu erdrosseln. Allein die EU-Kommission setzt Kontrapunkte, freilich im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten.

Der griechischen Regierung geht das Geld aus – aber die Wortführer der Eurogruppe bekunden höhnisch, die mit dem Abkommen vom Februar verbundenen Geldmittel werden erst irgendwann fließen, schließlich muss die Syriza-Regierung ja erst beweisen, dass sie ausreichend gefügig ist. Die Euro-Regierungen wollen “die griechische Regierung zur Kapitulation mobben”, kommentiert der New Yorker.

Auch die EZB zieht von Tag zu Tag die Daumenschrauben fester, und zwar in einem Maße, das ihr als “unpolitische”, neutrale Institution der Geldpolitik nicht zukommt. Sie macht Politik, wie sie das schon in einigen anderen Fällen getan hat, etwa in den letzten Tagen der Berlusconi-Regierung in Italien oder bei der Quasi-Erpressung der zypriotischen Regierung. Sie sieht es auf skandalöse Weise als ihr Recht an, demokratische Entscheidungen zu korrigieren – ein klarer Verstoß gegen Geist und Buchstaben der europäischen Verträge. Sie lässt nur mehr Tropfen aus dem Liquiditätshahn für die griechischen Banken. Sie gestattet indirekte Staatsfinanzierung, die die griechische Regierung kurzfristig Liquiditätsengpässe überstehen ließe, nur in kleinsten homöopathischen Dosen. Alles Dinge, von denen jeder und jede weiß, dass sie sich ganz anders verhalten würde, wenn sie es mit einer konformistischen Regierung zu tun hätte.

Und das, wohlgemerkt, obwohl sich “Syriza ohnehin in die Richtung bewegt hat, die die EU will – in den Augen mancher ihrer Mitglieder sogar zu weit” (John Cassidy im New Yorker). Beinahe jeder – auch noch so maßvolle – Vorschlag der Syriza-Regierung wurde abgeschmettert. Zu allem sagten die Anführer der Eurogruppe – das heißt de fakto der alles bestimmende deutsche Finanzminister Schäuble – ihr stetes und wiederkehrendes Njet. Und das, ohne auch nur selbst irgendeinen konstruktiven Vorschlag zu machen. Man kann ja sagen: Euer Plan gefällt uns nicht, wir schlagen dafür einen anderen vor. Doch etwas dieser Art blieb ja völlig aus, wie Harald Schumann im Tagesspiegel analysierte:

“Keinerlei Vorschlag, wie denn stattdessen die Not der Griechen gemindert oder wenigstens die medizinische Katastrophe im Land aufgehalten werden soll. Vielmehr soll das bisherige Programm einfach fortgesetzt werden, ganz gleich, welches Unheil das anrichtet. Die „geschlossenen Verträge“ und „vereinbarten Regeln“ seien nun mal einzuhalten, erklärt Schäuble triumphierend. So wird immer klarer, dass es beim Ringen zwischen der Athener Linksregierung und den anderen Euro-Staaten nicht wirklich ums Geld geht. Wäre Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble und ihren Kollegen tatsächlich daran gelegen, möglichst viel der an Griechenland ausgereichten Kredite zurückzubekommen, dann würden sie die Chance nutzen, die eine vom Oligarchenfilz und Klientelismus unbelastete Regierung in Athen bietet. Dann würden sie Tsipras und seinen Ministern den finanziellen Spielraum verschaffen, den diese für den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens und den Bruch mit dem alten Machtkartell benötigen.

Aber die Verwalter der Euro-Krise fürchten den Erfolg einer linken Regierung offenkundig mehr als die milliardenschweren Verluste auf ihre Kredite, die das Scheitern der Regierung Tsipras ihnen zwangsläufig bescheren wird. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen. Auch in Spanien, Portugal und sogar in Irland könnten linke Basisbewegungen bei den dort anstehenden Wahlen die Mehrheit gewinnen. Schäuble und die Kanzlerin nehmen die Gefahr billigend in Kauf.”

Es ist mittlerweile also völlig offensichtlich, dass es nicht nur nicht gelungen ist, den hegemonialen Block in Europa aufzuweichen, sondern dass dieser sich sogar verhärtet hat und entschlossen ist, die griechische Regierung auflaufen zu lassen. “Wir blickten vom ersten Tag an in den Lauf einer entsicherten Pistole”, ist aus Syriza-Führungskreisen zu hören.

Seite 2: Ist die Syriza-Regierung zu konfrontativ?

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2 Kommentare zu "Syriza-Mobbing
Der Würgeengel"

  1. Mike sagt:

    Endlich mal ein etwas ausgewogenerer, unaufgeregterer Artikel der nicht in das Schwarz/Weiß-Schema – Gläubiger/Deutsche=Böse / Arme Griechen=Gute – eines Eric Bonse verfällt. Es wurden und werden eben auf beiden Seiten Fehler gemacht. Gute Hintergrundinformationen – hatte ich von Herrn Misik ehrlich gesagt gar nicht erwartet.

  2. Ralf Dahrendorf sagt:

    Dieser Artikel wird versuchen, denjenigen, die mit der gegenwärtigen Situation in Griechenland nicht vertraut sind, die Grundursachen des gegenwärtigen griechischen Dramas zu erläutern.

    Trotz der weithin geförderten Vorstellung, daß Griechenlands Problem hauptsächlich finanzieller Art ist, könnte dies nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Was diesem uralten Land heutzutage bevorsteht, ist sein totaler Zusammenbruch als Nationalstaat. Die angebliche Wirtschaftskrise ist in Wirklichkeit weitgehend fiktiv, und sie wird von der gegenwärtigen Regierung und von äußeren Kräften als Vorwand und als Mittel benutzt, um die wirtschaftliche Erschöpfung der griechischen Mittelschicht und die schließliche Auflösung des Staates zu fördern.

    Meine Hauptthese lautet, daß kurz nach dem Ende des Kalten Krieges ein Plan zur effektiven Demontage Griechenlands und zur Auslöschung der nationalen Identität der Griechen entworfen und umgesetzt wurde, der mathematisch zu ihrem Verschwinden als homogene Menschengruppe führen würde. Der Leser sollte ob solcher Behauptungen nicht verblüfft sein; der Artikel wird ihm all die notwendigen Beweise zur Stützung dieser These präsentieren. Der erste Teil des Artikels wird sich auf einen notwendigen Crashkurs über die politische Geschichte Griechenlands konzentrieren, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wahl der gegenwärtigen griechischen Regierung.

    Von Alexios Synodinos

    https://schwertasblog.wordpress.com/2013/11/03/die-griechische-krise-verstehen-teil-1/

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