Die französischen Kolonien im Zweiten Weltkrieg
Von David Noack
Dieses Jahr war das 70. Jubiläum des so genannten Appells des 18. Juni. In diesem Tage des Jahres 1940 hielt der französische Brigadegeneral und Unterstaatssekretär Charles de Gaulle im Londoner BBC-Radio eine Rede, in der er betonte, dass Frankreich nach dem Westfeldzug der deutschen Wehrmacht zwar eine Schlacht, aber noch nicht den Krieg verloren hätte. De Gaulle war ein Militärstratege besonderer Art. Während der Invasion des faschistischen Deutschlands führte der damals noch im Rang eines Oberst agierende de Gaulle die 4. Panzerdivision Frankreichs an. Der Gegenschlag seiner circa 80 Panzer war die einzige alliierte Maßnahme, die die Wehrmacht in Bedrängnis brachte. Daraufhin wurde de Gaulle noch während des Krieges befördert und zum Unterstaatssekretär ernannt. Wenige Tage darauf wurde in der französischen Regierung ein Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich besprochen. De Gaulle und ein Teil der Regierung Reynaud widersetzten sich einem Frieden mit den Deutschen. Doch die Kompradoren setzten sich durch. Der junge Brigadegeneral De Gaulle erhielt einen persönlichen Mitarbeiter und 100.000 Francs und floh nach London. Sein Auftrag: Die Nation retten. [1]
De Gaulle – der in Großbritannien quasi unbekannt war – hielt im Radio von London eine Rede. Er betonte, dass Frankreich größer sei, als das Mutterland und appellierte an alle aufrechten Franzosen mit den Alliierten (die zu diesem Zeitpunkt nur das Vereinigte Königreich, seine Dominions und die Exilregierungen der Tschechoslowakei, Polens, Norwegens, Belgiens, Luxemburgs und der Niederlande waren) gegen die Angreifer zu kämpfen. Nur wenige Kolonien bekannten sich auch wirklich zu de Gaulle, so vor allem Neu-Kaledonien, Französisch-Polynesien, Kwangtschouwan (französischer Vertragshafen in China), Französisch-Indien (Chandannagar, Yanam, Pondicherry, Karakal und Mahé) und Teile Französisch-Mittelafrikas. Die Vertragsstädte in Indien und China bekannten sich vor allem zu de Gaulle, da sie überall von Alliierten umgeben waren (Indien war britisch und der Süden Chinas durch die US-Verbündeten der Kuomintang regiert). Gabun erklärte sich erst vichyfranzösisch, wurde aber schnell freifranzösisch. In Kamerun erklärten sich die Kolonialverwalter neutral, jedoch entstand schnell eine pro-gaullistische Opposition in Kamerun. Man befürchtete angeblich, dass auf Fernando Poo – einer spanischen Insel vor der Küste Kameruns – sich deutsche Siedler sammelten, welche in die ehemals deutsche Kolonie Kamerun zurückkehren wollten. Spanien war seit 1939 ein faschistisches Land, welches der Achse nahe stand, jedoch sich einem Kriegseintritt verweigerte.[2] Kamerun wurde dann schnell freifranzösisch.
Die Hauptstadt des Freien Frankreichs wurde Brazzaville – heute die Kapitale der Republik Kongo. De Gaulle bemühte sich darum, nicht als Marionette Londons empfunden zu werden und deswegen wurde wahrscheinlich die Hauptstadt seines Frankreichs nach Mittelafrika verlegt. In Brazzaville wurde 1944 eine Konferenz abgehalten, in der den französischen Kolonien weitgehende Autonomie in einer “Französischen Union” gewährt wurde – ein Konzept, welches später fatal scheiterte.
Die großen Kolonien Frankreichs (Nordafrika, Madagaskar, Westafrika) blieben zur Pétain-Regierung in Vichy treu – doch das Freie Frankreich umfasste auch einige Gebiete in Afrika, Asien und dem Pazifik. Langsam begannen die Freifranzosen mit den Alliierten, die vichytreuen Kolonien zu erobern. Der erste Versuch – die Schlacht von Dakar im September 1940 – schlug fehl.[3] Das schwächte de Gaulles Stellung unter den Alliierten. Mitte des Jahres 1941 befreiten die Alliierten dann jedoch Syrien und den Libanon.[4] Ende 1941 folgte Saint-Pierre-et-Miquelon vor der kanadischen Küste.[5] Für das Vereinigte Königreich war sehr wichtig, dass sich die Achsenmächte in Ost (Japan und Siam) und West (Deutschland, Italien und Satelliten) nicht vereinigten. Da man eine japanische Präsenz auf Vichy-Madagaskar befürchtete, eroberten britisch-australisch-südafrikanische Kräfte diese Insel vor Afrika. Auf vichyfranzösischer Seite kämpften auch japanische U-Boote. Ebenso eroberten die Briten mit den Freifranzosen Ende 1942 nach einer 100-tägigen Belagerung Französisch-Somalia – das heutige Djibouti. Ende November 1942 folgte auch La Réunion im Süd-Indik.
Es gab auch Kolonien, die versuchten, so lange wie möglich der Pétain-Regierung treu zu bleiben. So u.a. Martinique, welches von britischen Kräften blockiert wurde. Es fiel 1943 an de Gaulles Kräfte. In Guyana am nördlichen Rand Südamerikas hielten die Pétainisten die Macht bis zu ihrer Beseitigung 1944 stand. Französisch-Nordafrika und Westafrika durfte Vichy-Frankreich sogar bis zum Ende des Krieges – selbst nach der alliierten Landung dort (Operation Torch – November 1942).
Am 22. April trat die letzte französische Marionettenregierung ab. In Frankreich bildete sich Ende 1944 eine provisorische Regierung unter de Gaulle – gemeinsam mit den Kommunisten. Syrien und der Libanon wurden wie versprochen in die Unabhängigkeit entlassen. Ende 1945 wurde ein französisches Expeditionskorps nach Indochina (welches im Krieg japanisch war) entsandt und die letzten Kolonialkriege Frankreichs begannen. In den 1950er und 1960er Jahren wurden die meisten französischen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen.
[1] Walther, Rudolf: Einer trägt das Kreuz, in: Freitag, 07.06.2010. Abrufbar hier.
[2] Nichtsdestotrotz kooperierte Franco-Spanien inoffiziell mit der Achse. So gab es eine spanische “Freiwilligeneinheit” im finnischen Winterkrieg und Spanien versorgte deutsche U-Boote auf den Kanaren. So ist “zumindest für den Zeitraum März bis Juli 1941 […] belegt, daß deutsche U-Boote im Hafen von Las Palmas versorgt wurden.” Aus: Möller, Hans-Kai: Zentrale »Villa Winter«, in: junge Welt, 21.07.2007, S. 15. Abrufbar hier.
[3] Aus Rache bombardierten vichyfranzösische Bomber Gibraltar.
[4] Das war die Operation, bei der Moshe Dayan sein Auge verlor.
[5] Da es eine Einmischung des “alten Europas” in der “Neuen Welt” war, reagierten die USA verärgert über diesen Bruch der Monroe-Doktrin.
Schade, dass die Franzosen diesen Patriotismus nicht auch den wiederum unter ihnen leidenden Vietnamesen zugestanden. In einer Reihe von Briefen appellierte Ho-tschih-minh genau an dieses Freiheitsgefühl der Franzosen und später das der Amerikaner; was kam, ist Geschichte.