Amtsantritt von Santos

Zum Ende der Ära Álvaro Uribe in Kolumbien

In seiner Antrittsrede am 10. August forderte der neue Präsident Kolumbiens, Juan Manuel Santos, der unter seinem Vorgänger Álvaro Uribe Verteidigungsminister gewesen war, zu einem “offenen und direkten” Dialog mit Chávez auf. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez reagierte, indem er die kolumbianische Guerilla dazu aufforderte, alle ihre Geiseln freizulassen und den bewaffneten Kampf aufzugeben. Im vergangenen Monat hatte Chávez sämtliche Beziehungen zu Kolumbien abgebrochen – nachdem die damalige Regierung, unter Álvaro Uribe, die Beschuldigung erhoben hatte, dass in Venezuela rund 1 500 (kolumbianische) Guerilleros operieren würden.

Um den Konflikt zwischen Kolumbien und Venezuela zu veranschaulichen, wird ein interessantes Interview, dass die US-Journalistin Amy Goodman über ihr Nachrichtenprogramm “Democracy Now!” mit dem Historiker Greg Grandin hielt – es wurde von Andrea Noll (Znet) ins deutsche Übersetzt – nun auch hier publiziert.

Interview von Amy Goodman mit Greg Grandin:

Amy Goodman: Wie bedeutsam ist es, dass Uribes ehemaliger Verteidigungsminister und jetziger Präsident Kolumbiens (Santos) sagt, er wolle die Beziehungen zu Venezuela und auch zu Ecuador verbessern?

Greg Grandin: Nun, ich denke, er steckt in der Klemme. Da ist zum einen der Druck aus dem eigenen Land, (von Leuten), die gegen gute Beziehungen mit Venezuela intrigieren. Ich meine, gehen wir etwas zurück und schauen uns an, wie der Konflikt 2007, 2008 begann. Damals unterhielt Chávez gute Beziehungen zu Uribe. Er bot sich als Vermittler an und hat die Freilassung einiger Geiseln der FARC ausgehandelt. Uribe stand innerhalb Kolumbiens unter unglaublichem Druck, nicht zuzulassen, dass die Sache fortgeführt wird – Druck vonseiten des Militärs und der Oligarchie, aber auch vonseiten der USA. Venezuelas Vermittlerrolle sollte keinesfalls ein Paradebeispiel werden. Uribe brach die Beziehungen zu Venezuela ab. In gewisser Weise wurde Venezuela in der Luft hängen gelassen. Das hat zu den Beschuldigungen geführt. Es ging um übertriebene Geheimdienstberichte, um gefälschte Geheimdienstberichte und um die venezolanischen Beziehungen zur FARC. Die Beziehungen wurden immer schlechter. Santos und Chavéz sind Pragmatiker – jeder auf seine Art. Ich denke, sie haben viel investiert, um wieder gute Beziehungen herzustellen. Wir werden sehen, wie lange es gutgeht.

Worin besteht, Ihrer Meinung nach, Präsident Uribes Vermächtnis?

Setzen Sie Hoffnungen in Santos?

Nun, genau das ist die Frage. Uribes Vermächtnis besteht aus vier Aspekten. Erstens, der Massenmord an Zivilisten – 14 000 bis 15 000 Zivilisten wurden in diesem Krieg getötet. Tausende wurden getötet, um gefälschte positive Zahlen vermelden zu können – eine Praxis, bei der das Militär (tote) Zivilisten als Guerilleros verkleidet, um die Zahl der getöteten Guerilleros (Bodycount) höher angeben zu können. Erst vor kurzem wurde ein Massengrab mit 2 000 Leichen gefunden. Innerhalb Kolumbiens findet sehr viel Vertreibung statt. Kolumbien hat weltweit die höchste Rate an intern Vertriebenen – mehr als 2 Millionen. Das ist eine enorme Tragödie. Noch bedeutsamer, das heißt von noch größerer struktureller Bedeutung, ist, dass Uribe ein Präsident war, der die ‘Politik der Paramilitärs’ “normalisieren” wollte – so könnte man sagen. Die Paramilitärs wurden nicht besiegt, sie wurden eher legitimiert. Sie übernahmen auf lokaler Ebene die Rathäuser. Vor allem widmeten sie sich der Produktion von Biokraftstoffen. Unter Uribe fand ein massiver Landraub statt. 10 Millionen Acres – die Hälfte der Agrarfläche Kolumbiens – wird nun von Paramilitärs besetzt gehalten. Und das wird sich auch nicht ändern.

Diese Art Erbe hat Uribe Santos also hinterlassen. Die Frage ist, ob Santos so weitermachen wird, oder ob er versucht, das zu ändern. Die große Herausforderung für Santos ist der Niedergang des ‘Modell Uribe’. Die Leute sehen in Uribe – oder in ‘Plan Colombia’ – immer noch ein Erfolgsmodell, weil die FARC in die Knie gezwungen wurde und die Gewalt in wichtigen Großstädten, wie Bogotá und Medellín – reduziert werden konnte.

Doch innerhalb des letzten Jahres oder der letzten anderthalb Jahre ist dieser Trend wieder rückläufig. Die FARC wird wieder aktiver. Die Kriminalitätsrate in Medellín ist unglaublich gestiegen. Auch die Hoffnung beziehungsweise der Versuch, die ‘Politik der Paramilitärs’ zu normalisieren, indem man ihnen auf lokaler Ebene Ämter gibt, ist auf einem schlechten Weg. Innerhalb der Paramilitärs gibt es verschiedene Gruppierungen. Man nennt sie “Mini-Paramilitärs’. Diese Gruppen laufen aus dem Ruder. Sie raufen miteinander um die Beute. Das ist also das Chaos, das Santos geerbt hat. Nach außen hin hat (das Modell) den Ruf, erfolgreich zu sein, aber intern gibt es jede Menge Ärger.

Können Sie uns etwas zu den kolumbianisch-israelischen Beziehungen sagen? Das ist ein sehr interessantes Thema, da der vormalige kolumbianische Präsident Uribe die UN-Ermittlungen zu dem Angriff der israelischen Kommandos auf die Gaza-Hilfsflotte leitet.

Ja, was für eine wunderbare Symmetrie. Ich meine, man würde doch wohl kaum erwarten, dass ein Mitglied des Likud eine Wahrheitskommission in Kolumbien leitet. Allerdings ähneln sich die Strukturen in Israel und Kolumbien gewissermaßen – zum Beispiel, was die amerikanische Außenpolitik gegenüber beiden Ländern angeht. In Regionen, in denen es zu wachsendem Antagonismus kommt oder bereits gekommen ist, setzen die USA in letzter Zeit den (außenpolitischen) Schwerpunkt ihrer Autorität auf militärisch hochgerüstete Mächte. Im Prinzip führt dies zu endlosen Kriegen. Im Nahen Osten ist Israel diese Macht, in der Andenregion Kolumbien. Die USA unterstützen eine rücksichtslose Präventiv-Doktrin, die in Kolumbien Militäraktionen aller Art entschuldigt. Da war dieser (kolumbianische) Überfall jenseits der Grenze von Ecuador (gegen FARC-Guerilleros). In letzter Zeit sind es die Anschuldigungen gegen Venezuela. Die USA sind das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das diese (Anschuldigungen) unterstützte und ermutigte. Ich denke, wenn wir einen Schritt zurückgehen, sehen wir, welche Rolle Israel in den letzten Jahren in Kolumbien gespielt hat – als Großlieferant von Militärtechnologie und Hilfslieferungen. Das ist nichts Neues. In den 80ger Jahren tat sich Israel in Zentralamerika – vor allem in Guatemala – hervor, es war ein wichtiger Lieferant. Zum Beispiel sprang Israel ein, als (der damalige US-Präsident) Jimmy Carter die Hilfen für Guatemala kappte. Israel sprang ein und ließ in Guatemala eine Fabrik für Angriffswaffen bauen. Es bediente Guatemala mit Geheimdiensttechnologie und Trainingsmöglichkeiten. Dass Israel einige der übelsten Elemente Lateinamerikas “versorgt”, ist eine alte Geschichte.

Meine letzte Frage lautet: In seiner letzten Wahlkampfdebatte, bevor er Präsident wurde, sprach sich Obama gegen ein unilaterales Abkommen mit… oder sagen wir gegen ein bilaterales Abkommen zwischen den USA und Kolumbien aus. Er sagte, in Kolumbien seien Gewerkschafter ermordet worden. Wir haben noch 10 Sekunden. Doch heute unterstützt er es (ein solches Abkommen).

Er unterstützt es. Hillary Clinton unterstützt es. Ron Kirk unterstützt es. Im Weißen Haus gibt es eine Menge Druck für ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien. Auch in Kolumbien wird viel PR für ein solches Freihandelsabkommen gemacht, und ich bin mir sicher, einige der schönen Worte, der versöhnlichen Worte, die jetzt aus dem Munde von Santos kommen, sind Teil dieser PR-Kampagne.

Greg Grandin, vielen Dank, dass Sie bei uns waren. Grandin ist Autor von ‘Empire’s Workshop’ und ‘Fordlandia’.

Greg Grandin – Professor für Geschichte an der New York University und Autor von ‘Empire’s Workshop: Latin America, the United States, and the Rise of the New Imperialism’. Sein neues Buch heißt ‘Fordlandia’ und schaffte es bis in die Endrunde des Pulitzer-Preises (Geschichte).

Zum Thema:

– „Kriegstreiber“ Chávez, die FARC und die Medien

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