Systemische Erpressung

Von Hauke Fürstenwerth

Gemäß einer Aufstellung in der Zeitschrift Die Welt vom 11. Januar 2009 haften wir deutschen Steuerzahler bereits mit einem Betrag von 1,9 Billionen Euro für die Verbindlichkeiten von Pleitebanken. Mit diesem Betrag sozialisieren Bund und Länder in Form von direkten Beihilfen und Bankgarantien die von den Banken angehäuften Verluste. Die Banken dürfen sich schamlos am reichlich gedeckten Tisch der Staatsfinanzen bedienen.
“Diejenigen, deren Profitpoker das Finanzsystem ruiniert hat, konnten sich immer darauf verlassen, dass die Regierungen ihnen zu Hilfe kommen würden. Die Banken, die ihresgleichen nicht mehr trauen und deshalb der Wirtschaft den Geldhahn abdrehen, nehmen damit nicht nur diese, sondern die Bevölkerung insgesamt als Geisel.” so beschreibt Wolfgang Streeck, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, die räuberische Erpressung mit der die Finanzwirtschaft ihre Verluste auf die Steuerzahler abwälzt. In geheimen Gremien werden Milliardenbeihilfen für Finanzinstitutionen aus dem Geld der Steuerzahler ohne demokratisch legitimierte Kontrolle beschlossen.

Der staatliche Rettungsfonds Soffin verteilt seine Milliarden an die Geldhäuser nach eigenem Gutdünken. Die Legislative bleibt außen vor. Landesregierungen gewähren Landesbanken Milliarden schwere Beihilfen und Bürgschaften. Diese werden in geschlossenen Zirkeln auf der Basis unvollständiger Informationen beschlossen. Inkompetente Landesregierungen zwingen von der Sache überforderte Abgeordnete zur Fraktionsdisziplin. Während amerikanische Politiker Auskunft darüber erzwungen haben, wer von den Milliardenzahlungen des amerikanischen Steuerzahlers an die marode AIG profitiert, scheuen sich deutsche Politiker, ihren Wählern reinen Wein einzuschenken.

Mehr als formale Lippenbekenntnisse von der Kanzlerin gibt es nicht. “Denn es ist Ihr Geld, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Geld der Steuerzahler, für das wir in der Politik Verantwortung tragen.” verkündete Angela Merkel am 31.12.2008 der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Doch der Öffentlichkeit wird vorenthalten, welche Bank welche Beträge erhält und wer von diesen Steuergeldern eigentlich profitiert. Trotz der unglaublichen Dimensionen so teurer Sanierungsfälle wie IKB, Commerzbank und Hypo Real Estate (HRE) wird das eigentliche Ziel der Milliardenoperationen nicht offen benannt. Die Politiker argumentieren mit der Größe der in Schieflage geratenen Geldhäuser, die den Staat zur Übernahme der Risiken zwinge. Die Banken stellten ein “systemisches Risiko” dar, den Zusammenbruch eines großen Geldhauses könne man nicht riskieren, weil damit das gesamte System in Mitleidenschaft gezogen würde, Unternehmen keine Kredite mehr bekommen und Sparer um ihre Ersparnisse fürchten müssen.

In Anbetracht dieser bewussten Irreführung der Öffentlichkeit ist es ratsam, sich die Mechanismen in Erinnerung zu rufen, welche zur Finanzkrise geführt haben. Von zentraler Bedeutung sind die von der Finanzindustrie entwickelten strukturierten Finanzprodukte, insbesondere die mittels Verbriefung aus Krediten abgeleiteten Produkte wie CDO, MBS, CDS und ähnlichen. Um zu verstehen, wie diese zunächst vor allem bei nachrangigen amerikanischen Hypothekenkrediten – den subprimes – eingesetzten Derivate zum Favoriten der Banken werden konnten, ist es notwendig einige Besonderheiten der amerikanischen Hypotheken zu erkennen.

Wenn in den USA eine Bank einen Hypothekenkredit vergibt, erhält sie als einzige Sicherheit das Haus des Schuldners (“non-recourse” mortgages). Das ist alles. Im Gegensatz zu Deutschland und anderen europäischen Ländern können die Banken nicht auf sonstiges Vermögen des Schuldners zurückgreifen. Wenn ein Schuldner die Kredite nicht mehr bedienen kann, reicht es, wenn er dieses der Bank mitteilt, den Hausschlüssel in ein Couvert steckt, ihn an seine Bank schickt (“jingle mail”) und aus dem Haus auszieht. Damit ist er aus den Verpflichtungen des Hypothekenkredits entlassen. Das Problem hat sich für ihn erledigt, das Risiko liegt allein bei der Bank. Wenn das Haus in ordentlichem Zustand übergeben wird, zahlt die Bank dem Schuldner auch noch eine Auszugsprämie in bar.

Warum haben amerikanische Banken trotz dieses Sachverhalts auch an mittellose Kreditnehmer Hypothekenkredite teilweise in Höhe von mehr als 100 Prozent des Hauspreises vergeben? – Der Grund sind nicht die immer wieder genannten geringen Zinssätze der amerikanischen Zentralbank (FED), der irre Glaube an stetig steigende Immobilienpreise oder der aus dem Jahre 1977 stammende “Community Reinvestment Act” (CRA), mit dem Hypotheken für Bezieher niedriger Einkommen staatlich abgesichert werden.

Der wahre Grund ist ein anderer: es ging den Banken nicht um die Finanzierung von Häusern, ihr Geschäft war das Generieren und Umverpacken von Krediten, welche sie an andere Banken und Finanzinstitutionen rund um die Welt verkauften. Auf Prüfung der Kreditwürdigkeit wurde verzichtet. Bei jeder Transaktion wurden Provisionen fällig. Hypothekenmakler und Banken waren nur auf Provisionen und daraus resultierenden Boni aus. Alle Beteiligten waren nicht in der Haftung, sie wurden nur für Abschlüsse bezahlt. Deshalb wurde eine Prüfung der Kreditwürdigkeit nicht vorgenommen. Ein solches Verhalten, welches alle bankmäßigen Gepflogenheiten außer Kraft setzt und jede Sorgfalt nach gängigen Maßstäben vermissen lässt, kann nur auf dem Hintergrund verstanden werden, dass man von vornherein die Absicht hatte, diese Kredite in undurchsichtige Bündel zu verpacken und sie an Institutionen zu verkaufen, welche die Werthaltigkeit dieser Bündel kaum oder gar nicht beurteilen konnten.

Finanztechnisch wurde dieses Geschäft durch Verbriefung der Kredite vollzogen. Aus Krediten wurden handelbare „forderungsunterlegte Wertpapiere”, auf englisch “asset backed securities” (ABS). Der Erfindergeist der Banken kannte keine Grenzen. Beliebige Kredite wurden zu Bündeln vereinigt, “collaterized debt obligations” (CDO), zu Bündeln von Bündeln (CDO square) oder auch zu Bündeln von gebündelten Bündeln (CDO cube) verpackt. Die Banken bündelten hunderte von Anleihen und andere Papiere, die mit Hypothekendarlehen oder anderen Vermögenswerten unterlegt waren zu einem einzigen “Wertpapier”.

Die Käufer der verpackten Kredite waren zumeist nicht im Kreditgeschäft tätig. Sie verfügten über keine Expertise, die Werthaltigkeit der erworbenen Produkte zu beurteilen. Die Bewertung der “verpackten” Kredite übernahmen deshalb Ratingagenturen im Auftrag der emittierenden Banken. Die schiere Menge der Anleihen im Paket machte es den Anlegern unmöglich, sich selbst ein Urteil zu bilden. Die Käufer der verpackten Kreditforderungen vertrauten blind auf die Expertise der Ratingagenturen. Viele der von den Banken angebotenen hochkomplexen Finanzprodukte hatten von den Agenturen Bestnoten erhalten, obwohl sie auch minderwertige Hypotheken enthielten.

Nach Untersuchungen des New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew Cuomo betrogen Investmentbanken hierbei mit Hilfe von Ratingagenturen ihre Kundschaft in großem Stil. Demnach haben Banken ihren Kunden wissentlich minderwertige Anlagen als hochprofitable Investments verkauft. Mitarbeiter der Ratingagentur S&P werden mit folgenden Worten zitiert: „Wir schaffen mit diesen CDOs ein irrsinniges Monster. Last uns hoffen, dass wir alle wohlhabend und pensioniert sind, bevor das Kartenhaus zusammenkracht.” Während intern vor vielen Hypothekenprodukten gewarnt wurde, wurden Kunden diese zum Kauf empfohlen. Für die Ratingagenturen galt intern “Wir raten (empfehlen) alles, auch wenn es von Kühen strukturiert worden ist.”

Der Buchautor René Zeyer beschreibt dieses Geschäft der Banken mit strukturierten Finanzprodukten in seinem Buch “Bank, Banker, Bankrott”, in Kurzform: “Nun ist es aber nicht so, dass es der Pleitebank – oder nennen wir sie zeitgemäßer Investmentbank – je um Finanzierung von Häusern gegangen wäre oder um Investment, wie man aus dem Namen schließen könnte. Und schon gar nicht um diejenigen von mittellosen Gringos. Ihr Geschäft war das Umpacken. Das Haus des Gringos diente lediglich als Alibi; es hätte auch eine Hundehütte sein können.”

Weil das Geschäft mit den aus minderwertigen Hypotheken abgeleiteten Finanzprodukten so gut lief, wurde es auf alle nur erdenklichen Kredite ausgeweitet. Es gab keine Forderung mehr, die sich nicht verbriefen, verpacken und verkaufen ließ. Der staunenden Öffentlichkeit und naiven Politikern wurde mit Unterstützung von Wirtschaftswissenschaftlern wider besseres Wissen erklärt, die neuen Finanzprodukte tragen zur Minimierung von Kreditrisiken bei. Weltweit stiegen Banken mit tatkräftiger Unterstützung durch die Politik in das Provisionen generierende Geschäft ein. In den USA sind von 2003 bis 2008 allein bei Hypothekenkrediten und davon abgeleiteten Produkten für Provisionen und Boni zwei Billionen US-Dollar gezahlt worden.

Der regulatorische Rahmen wurde nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland so gestaltet, dass die Risikobegrenzung bei der Kreditvergabe für das Geldgewerbe de facto aufgegeben wurde. Kredite und strukturierte Finanzprodukte müssen nicht mehr mit Eigenkapital unterlegt sein, sie werden in Zweckgesellschaften ausgelagert und nicht mehr in den Bilanzen der Banken ausgewiesen. Diese Regelungen ermöglichten es den Käufern der strukturierten Finanzinnovationen diese vollständig mit Krediten zu finanzieren. Banken, die anderen Banken Kredite für den Ankauf der verpackten Kredite gaben, akzeptierten diese nicht bewertbaren Papiere als Sicherheit. Deutsche Landesbanken, die IKB, die HRE, Commerzbank erwarben mit Krediten von anderen Banken ebenso wie zahlreiche amerikanische Institutionen die heute als “toxisch” bezeichneten, überwiegend wertlosen Finanzprodukte.

Die strukturierten Finanzprodukte basieren auf der Verbriefung langfristiger Kredite. IKB und HRE finanzierten den Kauf dieser Produkte mit kurzfristigen Krediten. Sie machten aus “langen” Kredite “kurze”. Eine Strategie mit der in Deutschland bereits der Münchner Finanzmakler Rudolf Münemann 1970 grandios gescheitert war. Aus “lang mach’ kurz” funktioniert nur so lange, wie es gelingt, für die kurz laufenden Kredite eine Anschlussfinanzierung sicher zu stellen. Als sich herausstellte, dass in den gepriesenen Finanzinnovationen vor allem faule Kredite stecken, war diese Refinanzierung nicht mehr möglich. Banken verweigerten der IKB und der HRE ebenso wie den Landesbanken neue Kredite. Als die amerikanische Regierung sich weigerte, für die Schulden von Lehman Brothers aufzukommen, kam die Kreditvergabe zwischen den Banken vollends zum Erliegen. Die Pleite von Lehman Brothers war Konsequenz, nicht aber Auslöser der ungezügelten Finanzspekulationen. Erhöht wird der Finanzbedarf der Pleitebanken durch den Umstand, dass die als Wertpapiere gehandelten strukturierten Finanzprodukte dramatisch an Wert verloren haben, teilweise komplett abgeschrieben werden müssen und damit die Bilanzen der Banken zusätzlich belasten.

Die Gläubigerbanken, welche die Pleitebanken IKB, HRE und andere finanziert haben, bangen nun um ihr verliehenes Geld. Sie drohen dem Staat: wenn der Staat nicht die Rückzahlung der Kredite garantiert oder übernimmt, werden die Banken den Unternehmen der Realwirtschaft keine Kredite mehr geben können. Der Staat wird mit einer Kreditklemme für Unternehmen und Verbraucher erpresst. Die Politiker beugen sich dieser Erpressung, obwohl die Deutsche Bundesbank, die DZ Bank, der Sparkassenverband, das IFO Institut ebenso wie DIHK und BDI wiederholt darauf hingewiesen haben, dass es keine Anzeichen für eine Kreditklemme der deutschen Wirtschaft gibt. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält die beklagte Kreditklemme mit Bezug zu aktuellen Daten der Bundesbank für ein Märchen. “Die Banken haben den Unternehmen 2008 keineswegs den Kredithahn zugedreht: Insgesamt wurden über 2,1 Billionen Euro vergeben. Dies waren 27 Prozent mehr als 2007.”  Es gibt keinen Liquiditätsengpass. Dieses wurde am 11. März 2010 bei einem Krisengipfel im Wirtschaftsministerium mit 40 Vertretern von Politik, Wirtschaft und Banken erstmalig offiziell bestätigt: “Eine breit angelegte Kreditklemme ist derzeit nicht erkennbar und wird aller Voraussicht nach auch in den kommenden Monaten nicht entstehen.”

Die Banken haben ein massives  Bonitätsproblem, sie sind nicht mehr kreditwürdig. Mit aller Macht verhindern die verantwortlichen Politiker, dass die Öffentlichkeit die Hintergründe zu den üppigen Staatsbeihilfen für die Gläubigerbanken erfährt. Ein Untersuchungsausschuss zur IKB wurde erfolgreich abgeblockt, eine Sonderprüfung der IKB Geschäfte gestoppt. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Geschehnissen bei der HRE ist durch Verweigerungshaltung der Regierung und Informationsblockade seitens der Ministerien mit dem Ende der Legislaturperiode ergebnislos aufgelöst werden worden. Die Finanzinstitute können ihre Geiselnahme der Bevölkerung ungestraft mit tatkräftiger Unterstützung durch die Politik weiter durchziehen.

Für René Zeyer ist das Ganze “ein gigantischer, unverschämter, aber wohl orchestrierter Raub von ein paar Bankern am Vermögen von Millionen von Sparern und zukünftigen sowie aktiven Pensionären. Der große Schaden besteht in der gigantischen Vermögensverschiebung: von den Sparern zu den Managern der Finanzinstitute. Der Witz dabei: Die Gangster haben das Ganze völlig risikolos und ohne Angst vor Strafe durchgezogen, und die ganze Welt schaute zu und feierte die Stars einer neuen Ökonomie.”

Auf der politischen Bühne und in den Medien wird weiter das Ideologiedrama “Staatsversagen oder Marktversagen” gespielt, Intellektuelle und Leitartikler ergötzen sich an Kapitalismuskritik. Hinter den dramatischen Entwicklungen der globalen Wirtschaftskrise werden die Ursachen der Finanzkrise versteckt. Im Auftrag der Bundesregierung hat ein Ausschuss von Bankern unter Vorsitz von Ottmar Issing Vorschläge zur Regulierung der Finanzwirtschaft erarbeitet. Mehr als eine “Risikolandkarte” für Kreditrisiken soll es nicht geben. In der Einschätzung des Finanzjournalisten Lucas Zeise ist das “in etwa so hilfreich wie das Einsetzen von neuen Fensterscheiben im zweiten Stock, wenn man ein Gebäudefundament festigen will.” Mit vielen Lockerungen in den Bilanzierungsrichtlinien wird es den Banken anheim gestellt, ihre Bilanzen nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Seit dem dritten Quartal 2008 müssen die Geldhäuser in der EU strukturierte Finanzprodukte in ihren Bilanzen nicht mehr zum Marktwert ausweisen. Auch US-Geldhäuser können künftig mehr Wertpapiere nach eigenen Modellen bewerten und müssen nicht die teils massiv gesunkenen Marktpreise in ihren Bilanzen als Basis verwenden. Die Politik stellt sicher, dass alle Wünsche der Finanzwirtschaft erfüllt werden und diese weiter ihren räuberischen Geschäften zu Lasten der Allgemeinheit nachgehen kann.

Originalquelle hier

Zum Thema:
– Ursachen der Finanzkrise

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