Ohne Grundlage

Von David Noack

Zum Osterwochenende erschien in der Berliner Zeitung (Verlag M. DuMont Schauberg) ein Kommentar zu den jüngsten Ereignissen in Serbien, die den bosnischen Bürgerkrieg betreffen. Bedauerlicherweise entbehrt der Beitrag fast jedweder neuen Erkenntnissen aus dem bosnischen Bürgerkrieg – an die Stelle von Recherche tritt die Propaganda. So schreibt Autor Frank Herold, dass der Schritt des serbischen Parlaments, das Massaker von Srebrenica zu verurteilen, “überfällig” war. Wieso war es vollkommen überfällig, dass Belgrad sich entschuldigt? Haben sich die Schweiz und Österreich-Ungarn nach dem Herero-Völkermord auch an den Herero entschuldigt? Die sprechen nämlich auch Deutsch und waren mit dem Reich verbandelt. Seit wann werden in der internationalen Politik Völker über Grenzen hinaus zu Geiseln genommen und kollektiv verantwortlich gemacht?

Die Jugoslawische Volksrepublik hatte ein Embargo über die Republika Srpska verhängt und versuchte auf die Regierung von Radovan Karadžić mäßigend einzuwirken. So schreibt der damalige EG-Vermittler Lord Owen in seinem Buch über die Ereignisse 1995 (S. 143): “Am 16. April sprach ich telephonisch mit Präsident Milosevic über meine Befürchtung, daß trotz wiederholter Versicherungen von Dr. Karadzic, er habe nicht die Absicht, Srebrenica einzunehmen, die bosnisch-serbische Armee jetzt darangehe, eben das zu tun … Selten habe ich Milosevic so aufgebracht, aber auch so besorgt gehört. Er befürchtete, daß es im Falle des Eindringens bosnisch-serbischer Truppen in Srebrenica ein Blutbad geben würde, weil zwischen den beiden Armeen extrem böses Blut bestand. Die bosnischen Serben machten den jungen muslimischen Kommandanten in Srebrenica, Naser Oric, für ein Massaker in der Nähe von Bratunac im Dezember 1992 verantwortlich, bei dem viele serbische Zivilisten getötet worden waren. Milosevic war der Meinung, daß es ein großer Fehler der bosnischen Serben wäre, Srebrenica einzunehmen, und er versprach, Karadzic das zu sagen.”
Anstatt das anzuerkennen schwafelt der BerlZ-Autor davon, dass der Krieg “von einer militaristischen und paranoiden Clique um den Serbenführer Slobodan Milosevic initiiert und gesteuert wurde”.
Von der Unterstützung der bosniakischen Truppen durch iranische (vom Westen geduldete) und amerikanische illegale Waffenlieferungen ist nicht die Rede. Die werden auch bestimmt nicht zur Eskalation beigetragen haben, nicht wahr Herr Herold?

Der Iran unterhielt zur Unterstützung der bosniakischen Muslime in dem Bürgerkriegsland auf dem Balkan insgesamt um die 2.400 Mann. Der Nachschub wurde von den USA geduldet und später selbst übernommen.
Neueste Erkenntnisse zu Ungereimtheiten in der offiziellen Version der Ereignisse um Srebrenica werden erst gar nicht erwähnt. Wo würden wir denn da hinkommen…
Zuletzt lobt der Autor der Berliner Zeitung die jüngste Resolution. Als was sie eher zu werten ist, steht an anderer Stelle am gleichen Tag in der selben Zeitung: “Mit der Erklärung habe Serbien den Preis seiner Selbstachtung gesenkt” (Slobodan Samardzic, DSS).

Leider ist in dem Thema sogar die erzkonservative Washington Times weiter – sie ließ einen interessanten Leserbrief an prominenter Stelle zu, indem Radovan Karadžić wie folgt zitiert wird:
“This war is an example of what modern media and governments can do. They can arrange anything. Put on a show so that their people believe anything. While watching their television pictures or their radios sometimes I myself almost came to the conclusion: We Serbs, we are real swine. They could put their stories together that well.”
Wie wahr, wie wahr…

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