SPD am Abgrund

Von David Noack

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands – älteste Partei unseres Landes – hat zu den Bundestagswahlen 2009 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1893 erreicht. Ein Ergebnis von 23,0 Prozent bedeutet ein Verlust von 6,2 Millionen Wählerstimmen bzw. 11,2 Prozentpunkten. Ein Sozialdemokrat schrieb am Wahltag “Gestern standen wir am Abgrund – heute sind wir einen Schritt weiter!” Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Der Ruf nach einer Erneuerung wird laut. Eine Öffnung nach links müsse her, sonst kommt der SPD jegliche Machtperspektive verloren (sogar mit der Union zusammen hätte eine “Große Koalition” zur Zeit nur 56%). Die parteilinke “AG Sozialdemokraten in der SPD” schrieb noch am Wahlabend: “Konsequenzen jetzt!” Einen Tag später titelte die Arbeitsgemeinschaft “Inhaltliche und personelle Erneuerung jetzt!” Der Berliner Landesverband, – ein SPD-linker -, rebellierte gegen die Parteiführung. Eine Online-Aktion “SPD erneuern” (spd-erneuern.de) bekommt immer mehr Zuspruch. Auch die SPD-Initiative “Mein Herz schlägt links” (www.mein-herz-schlaegt-links.de) verweist auf “SPD erneuern”. Der bekannte Parteienforscher Franz Walter schlägt vor, dass Vorwahlen wie in der französischen PS eingeführt werden.

Möglichkeiten sind also da, die SPD von Grund auf neu aufzustellen. Doch genutzt werden diese Voraussetzungen nicht. Hatte die alte Troika Müntefering-Steinmeier-Schröder mit dem Vorwurf zu kämpfen, einen Clan führen zu wollen, wurde nun der Vorsitz des großen Clans SPD von einer Clique an die andere weiter gereicht. Konkrete Verbesserungen ergeben sich nicht. Die neue Führung wird nun das Trio Nahles-Wowereit-Gabriel. Doch linker als die alte Garde scheint diese Runde nicht. Gestützt wird das Trio von Franziska Drohsel (Juso-Bundesvorsitzende), Björn Böhning (so genannter SPD-Linker in Berlin und Heiko Maas, der mit der Linken im Saarland eine Regierung bilden will.

Wie “links” die neuen sind, erkennt man an den Standpunkten der Politiker: Nahles stimmte für die Schuldenbremse, den Kampf gegen die Piraten vor Somalia, der Verlängerung des Kosovo-Einsatzes, die Bahnprivatisierung, den EU-Vertrag von Lissabon und dem Bundeswehreinsatz im Kongo. Wowereit hält ebenfalls am Afghanistan-Engagement fest und auch Drohsel und Böhning meinen, dass Deutschland “Verantwortung” am Hindukusch trägt. Manchmal fragt man sich, was genügt, damit man in der SPD als “Linker” gilt.

Die SPD hat noch nicht erkannt, dass sie keine kosmetischen Korrekturen am bisherigen Kurs und rhetorisches Aufblähen braucht, sondern ein “eigenes Modell politischer Gestaltung” (Albrecht von Lucke), welches ihr in den letzten 11 Jahren fehlte. Dabei muss sie nicht teilweise die Linken nachahmen, sondern ein eigenes Gesamtkonzept vorlegen. Selbst wenn dieses einen Mindestlohn von 7,5 € vorsieht, den Abzug aus Afghanistan binnen zwei Jahren und das Heraufsetzen von Hartz IV-Regelsätzen auf 450 €, kann man mit der Linken darüber verhandeln – das hat der rot-rot-grüne Anlauf in Hessen bewiesen.

Was die SPD nun braucht sind keine Nahles und keine Drohsel, sondern charakterstarke Politiker wie Rudolf Dreßler (2000 bis 2005 deutscher Botschafter in Israel), Albrecht Müller (1973 bis 1982 Planungschef von Willy Brandt), Wolfgang Lieb (1996 bis 2000 Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium), Reinhard Rode (freier Autor und Journalist) und Herbert Ehrenberg (1976 bis 1982 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung). Alle genannten sind Mitglieder der “AG Sozialdemokraten in der SPD”. Das Problem: sie gehören bereits zur älteren Generation.

Müller und Lieb betreiben den Weblog “Nachdenkseiten”, zu welchem sich schon in 100 Städten und Regionen Lesekreise gebildet haben. Mit 28.000 Besuchern täglich sind die Nachdenkseiten einer der beliebtesten Blogs der Republik. Ehrenberg war einst Gründer des Seeheimer Kreises, des rechten Flügels der SPD, meint jedoch heute, dass “die Partei immer weiter nach rechts gerückt [ist], er aber bei seinen Positionen geblieben sei – weshalb er nun links im sozialdemokratischen Koordinatensystem angekommen ist.“ Das gilt es nun umzukehren.

Mehr zum Thema SPD:

– Müntefering wirft der Partei Die Linke “nationale und soziale Politik” vor
– Die Krise der SPD ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis einer Krise der Demokratie
– Neoliberale Korrumpierung: Der Wandel der SPD

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