Die Guttenberg-Posse

Von Sebastian Müller

Dass ein Wahlkampf bislang obskure Züge zu tragen vermag, und mit der fortschreitenden Entwicklung zu einer postdemokratischen Ära auch zur bloßen Posse und politischen Banalität verkommt, ist eigentlich nichts Neues mehr.

Da die schleichende Personalisierung der Politik und die Marginalisierung politischer Inhalte in der öffentlichen, politischen “Kultur” auf Dauer die Totengräber jedes Willensbildungsprozesses und damit letztendlich der Demokratie sind, sollte man ob des Aufkommens jeder inhaltlichen Debatte positiv überrascht sein.

Die Chance zu solch einer Debatte bot sich in der jüngsten Wahlkampfperiode tatsächlich. Und zwar, als das Guttenbergsche Industriepolitische Gesamtkonzept ungewollt an die Öffentlickeit gelangte. Ein Konzept, – oder wenn man so will ein Deutschlandplan für die nächsten 10 Jahre -, aus dem Hause der CDU/CSU, genauer gesagt aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Wäre das nicht die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit gewesen, inhaltlich in die Tiefe zu gehen, relevante Informationen des Planes zu skizzieren und eine Grundsatzdebatte über die wirtschaftspolitische Ausrichtung dieser Partei nach der Wahl zu führen? Das wäre doch ein Wahlkampf mit Pfeffer.

Aber nein: Denn Angesichts der jüngsten Wirtschaftskrise kann sich die CDU/CSU keine öffentliche Position leisten, die verdeutlicht, dass sie aus dem Bankrott der neoklassischen Lehre nichts gelernt hat. Und für nichts anderes steht dieser Entwurf aus dem Hause Guttenberg. Die dort propagierten Pläne der erneuten Unterehmenssteuersenkung, der Lohnnebenkostensenkungen und der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind schlicht und einfach eine schonungslose und plumpe Fortführung des vergangenen, Jahrzehnte langen neoliberalen Offenbarungseides.

Daher ist die Verballhornung, die Irreführung der Wähler die gegenwärtige Wahlkampftaktik der CDU: Am besten ist es, inhaltliche Debatten überhaupt nicht zu führen – allein dies ist schon ein Zeichen für den Abgesang einer demokratischen Streitkultur – wenn man jedoch mit eigenen, politischen Positionen konfrontiert wird, dann muss man sie leugnen.

So wiesen Merkel, Guttenberg und Co. die Verantwortung für diesen Plan entschieden von sich und und taten allen Ernstes so, als ob sie mit dessen ökonomischer Ausrichtung überhaupt nichts anfangen könnten. Erstaunlich bei einem Entwurf, der vom Juli dieses Jahres stammt.

Es fragt sich nur, wie viele Wähler sich von dieser plötzlichen Distanzierungsflut letztendlich an der Nase herumführen lassen; zumal die wirtschaftspolitsche Ausrichtung der CDU/CSU eigentlich bekannt sein sollte.

Doch spielt das Ganze überhaupt noch eine Rolle? Angesichts der anfangs geschilderten Banalisierung der Politik kann man nur das Gegenteilige postulieren. Denn die geheuchelte Empörung seitens SPD und Grünen, die nun das “wahre, neoliberale und sozial kalte Gesicht” der Union anprangern, ist angsichts der vergangenen Rot-Grünen Reformpolitik auch nur mit Befremden zu beobachten. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine Posse der politischen Klasse fortgeführt wird, die ihre untrennbare Nähe zu den Eliten der Wirtschafts- und Finanzwelt vor den Augen der Wähler zu verschleiern versucht. Es wird ihr vielleicht gelingen, für den Preis einer weiteren Aushöhlung des demokratischen Prozesses.
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Filed in: Ökonomie

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2 Kommentare zu "Die Guttenberg-Posse"

  1. Kalle Bronsen sagt:

    Das verlinkte PDF scheint verschwunden zu sein, haben Sie eine Kopie, die Sie zur Verfügung stellen können?

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