Sprache und Political Correctness
Neger, Mohrenköpfe, Zigeunerschnitzel

Für den Sprachmoralisten steht nicht die Diskriminierung selbst, sondern ihr angeblicher sprachlicher Niederschlag im Zentrum. Doch wertneutrale Sprache ist eine Illusion.

Roberto Blanco

Foto: Oliver Hallmann / flickr / CC BY 2.0

Von Rainer Schreiber

In einer Fernseh-Diskussion in der ARD Ende August 2015 meinte der bayerische Politiker und Minister Joachim Herrmann: “Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger, der den meisten Deutschen wunderbar gefallen hat.” Sofort hob eine aufgeregte Diskussion über das Unwort „Neger“ an, das als rassistische Bezeichnung gar nicht ginge und auf die Geisteshaltung desjenigen kein gutes Licht werfe, der so daherrede. Da half auch Herrmanns Einwurf im ZDF-Morgenmagazin nichts, es hätte sich bei seiner Äußerung nur um die Erwiderung auf die Aussage eines Bayern in einem eingespielten Beitrag gehandelt, der gesagt habe, er wolle “Neger überhaupt nicht haben”. Der Gebrauch des inkriminierten Worts allein blieb Gegenstand der Debatte um Herrmanns Einlassungen.

Derlei Debatten sind kein Einzelfall: Eine politische Hochschulgruppe in Regensburg plante vor einiger Zeit, die Umbenennung des sogenannten Zigeuner-Schnitzels in der Mensa der Regensburger Uni zu fordern, da diese Bezeichnung ein Ausdruck von Diskriminierung sei. Sie reihte sich damit ein in die seit Jahren stets aktuelle Diskussion, wo denn die Grenzen einer „politisch korrekten“ Sprache lägen.

Im Folgenden soll versucht werden, diese Debatten um eine „politisch korrekte“ Sprache sachlich auf ihren Gehalt hin zu analysieren. Dabei fallen abschließend auch ein paar Anmerkungen zu Herrmanns Äußerung ab.

Entscheidend erscheinen folgende Punkte:

1. Es kostet zumeist nicht viel Mühe, beleidigende Ausdrücke bzw. Bezeichnungen, die aus ihrem historischen Kontext heraus als diskriminierend empfunden werden, zu vermeiden. Auf die liebgewordene „Tradition“ zu insistieren, war noch nie ein gutes Argument, seit die „Aufklärung“ die Köpfe der Menschen von den Plattitüden der Religion befreit hat.

2. Aber: Die politisch-kritischen Sprach-Verbesserer interessieren sich häufig nicht sonderlich dafür, ob die Betroffenen selbst diese Ausdrücke als diskriminierend empfinden (was z.B. beim „Neger“ inzwischen tatsächlich zumeist der Fall ist). Stattdessen nehmen sie den Standpunkt des paternalistischen Moralisten ein, der sich weder um die praktische Relevanz des konkreten Sprachproblems (Stört das die Betroffenen selbst überhaupt? Blanco selbst reagierte gelassen), noch um die Bedeutung der Formulierung bzw. des sprachlichen Ausdrucks für die wirkliche Diskriminierung kümmert. Stattdessen entschuldigt man sich prinzipiell schon mal im Voraus, um eine mögliche sprachliche Diskriminierung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Nicht die Diskriminierung selbst, sondern ihr angeblicher sprachlicher Niederschlag steht im Zentrum des Denkens.

3. Damit ist ein wesentlicher Punkt genannt: die tatsächlichen Gründe und Interessen, die zur praktisch wirksamen Diskriminierung von bestimmten Gruppen führen, sind von der Sprachregelung nur wenig berührt. So hat sich die Lage der Sinti und Roma in Deutschland und Europa nicht verbessert, nur weil sie nun – zumindest offiziell – nicht mehr „Zigeuner“ genannt werden.

4. Dies verweist darauf, dass die sprachliche Bezeichnung diskriminierter menschlicher, kultureller oder sozialer Gruppen durchaus Ausdruck von deren Diskriminierung sein mag, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass die Diskriminierung aus der Verwendung sprachlicher Ausdrücke resultiert. Umgekehrt: Bezeichnungen wie „Zigeuner“ oder „Neger“ sind nicht schon an sich diskriminierend, sondern erhalten diesen „Touch“ aus ihrem historisch-sozialen Verwendungszusammenhang: Erst die diskriminierende Absicht gibt der Sprache ihre Wertung. Dann aber klebt diese natürlich am sprachlichen Ausdruck selbst.

5. Das wird an der Geschichte der Verwendung des Begriffs „Neger“ deutlich: Einerseits wurde der Ausdruck lange Zeit auch von den schwarzen Amerikanern/innen selbst verwendet; man höre sich nur die berühmte Rede von Martin Luther King („I have a dream“) an. Andererseits drückt so mancher Spruch über „die Neger da unten“ oder den „Hausneger“ Geringschätzung nur allzu deutlich aus; vom „Nigger“ ganz zu schweigen, der sich in den Südstaaten der USA als offen rassistische Anmache etabliert hatte. Was die Rapper wiederum selbstironisch bis radikal selbstbewusst aufgegriffen haben, um es ins Positive zu wenden. Davon abgesehen war es also nicht verwunderlich, dass die Afroamerikaner diese Bezeichnung irgendwann loswerden wollten – auch wenn sie sich davon vielleicht mehr erwartet hatten, als die Veränderungen von schieren Namen leisten kann.

6. Alles in allem mögen diejenigen, die korrekte, „neutralere“ Ausdrücke verwenden, wohl auch die sein, die eine Diskriminierungspraxis verurteilen. Insofern transportiert Sprache zwar Einstellungen und ist nicht einfach unwichtig; aber Sprachregelungen verändern keine sozialen Strukturen, keine ökonomischen Abhängigkeiten und schon gleich gar keine politischen Verhältnisse.

7. Und um genau die sollte man sich zumindest vorrangig kümmern, weil durch sie und in ihnen Diskriminierung „gemacht“ wird.

8. Dafür spricht auch, dass Sprache nie neutral sein kann, sondern immer in gesellschaftlich-historischen Kontexten entsteht und dabei durchaus stets die „Wertigkeiten“ repräsentiert, die bestimmten Dingen, Personen, Gruppen attestiert werden.

9. Aber eben nur repräsentiert: das eigentlich Interessante sind die wirklichen, daher wirksamen Interessen, die aus der Diskriminierung praktischen Nutzen ziehen. Diese offenzulegen und damit die materiellen Gründe für den Fortbestand der Diskriminierung zu bezeichnen, ist die eigentliche politische Aufgabe.

10. Hinzu kommt, dass die Unmöglichkeit wertneutraler Sprache dazu führt, dass immer wieder aufs Neue etwas als diskriminierend angesehen werden kann, bis irgendwann das Faktum zum Tabu wird: ein Behinderter darf nicht mehr behindert sein, ein Schwarzer muss als Afroamerikaner oder was auch immer bezeichnet werden, auch wenn man nicht weiß, wo er eigentlich herkommt. Und die eine neue Regelung wird von dieser Fraktion begrüßt, von jener scharf verurteilt usw. usf.

11. Das führt im Extremfall tatsächlich zu einer Trottelsprache und damit zu einer Verschiebung der politischen Aufmerksamkeit von den wirklichen Verhältnissen zu den sprachlichen Repräsentationen, also zur Welt der Bezeichnungen und Einbildungen. Für eine sozialkritische Politik heißt dies: Das, worum es eigentlich geht, wird von den Beinen auf den Kopf gestellt – der Sprachidealismus erscheint wichtiger als der Kampf gegen die ökonomischen, politischen und sozialen Ursachen der Diskriminierung.

12. Das soll nicht heißen, dass man nicht auch auf Sprachregelungen achten sollte. Doch ein Sprachidealismus und moralischer Fanatismus, der die Art, wie man über die Welt redet, für wichtiger hält, als wie sie funktioniert, ist nicht minder problematisch als eine diskriminierende Sprache.

13. Lassen wir also das „Zigeuner-Schnitzel“ ein „Zigeuner-Schnitzel“ sein und kümmern wir uns lieber um die materiellen Lebensbedingungen der diversen diskriminierten Gruppen – und kritisieren wir dabei die ökonomischen Interessen, politischen Absichten und Geisteshaltungen, denen sich die Diskriminierungen verdanken. Damit können wir uns zugleich solche Albernheiten wie ein „Schnitzel mit Migrationshintergrund“, einen „Farbigen“, einen „anderweitig befähigten Menschen“ etc. ersparen….

14. Dennoch: Den „Neger“ sollte man sich angesichts seines penetrant rassistischen Verwendungszusammenhangs bei den „Weißen“ tatsächlich schenken. Und was den CSU-Minister Herrmann angeht: Eine Kritik an Jemandem, der sagt, er wolle keine „Neger“ hier haben, mit „es gibt doch auch unterhaltsame Neger bei uns“ zu konterkarieren, ist das Gegenteil von Rassismus-Kritik: Es wird nicht kritisiert, dass Menschen entlang ihrer zufälligen und sozial irrelevanten Hautfarbe sortiert und bewertet werden, sondern die Ausschließlichkeit des Urteils wird durch den Hinweis relativiert, es gäbe doch von dieser besonderen Sorte Mensch auch unterhaltsame, damit akzeptable Exemplare. Darin steckt der Rassismus und nicht in der Verwendung des „N-Worts“, wie der Ausdruck in betroffener Hyper-Correctness inzwischen gern umschrieben wird.

Artikelbild: Oliver Hallmann / flickr / CC BY 2.0

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18 Kommentare zu "Sprache und Political Correctness
Neger, Mohrenköpfe, Zigeunerschnitzel"

  1. Günter Buchholz sagt:

    Ich halte den Gedankengang von Rainer Schreiber für zutreffend aber inkonsequent – siehe Nr. 14.

    Siehe hierzu meinen Kommentar:

    http://frankfurter-erklaerung.de/2015/10/othello-war-ein-neger-und-roberto-blanco-ist-ein-wunderbarer-neger-na-und/

    Zum Thema Rassismus:
    https://sciencefiles.files.wordpress.com/2015/02/sf_diefenbach_2015_kritik-der-rassismuskritik2.pdf

    Christian Delacampagne
    Die Geschichte des Rassismus
    Artemis & Winkler Verlag: Düsseldorf und Zürich 2005

  2. Ingo sagt:

    Neger heisst einfach Schwarzer und ist Wertneutral.Auch Portugisisch und Spanischsprechende Negros von Europa über Afrika bis nach Südamerika bezeichnen sich selber so.
    Genauso wie sich Zigeuner selber Zigeuner nennen-für manche ist Roma sogar eine Beleidigung.

    http://diepresse.com/home/meinung/marginalien/723416/Das-Wort-Rom-beleidigt-mich-nenn-mich-Zigeuner

    • Günter Buchholz sagt:

      So ist es. Und:

      Political Correctness ist eine Gestalt gesellschaftlicher Dummheit.

      Eine Art von Schwarmdummheit, wie es scheint.

  3. Sammy Rukundo sagt:

    Ich fand diesen Beitrag langweilig, las ihn bis zum Ende und suchte nach der Relevanz. Es kam keine, denn diese Debatte ist eine, die typisch ist für eine weiße Sichtweise auf diese Thematik ist. Die einen meinen, das Wort solle nicht benutzt werden, gerade wegen ihres historischen Kontexts, die anderen weißen (man siehe schon alleine hier in der Kommentarsektion) behaupten, die Worte seien Neutral, wiederum andere (siehe den Autoren) sagen, es ändere ja nichts an den sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnissen.

    Niemand fragt hier oder ahnt, welche Debatten hierzu von den davon betroffenen geführt werden. Sie wurden hier kurz angekratzt und gehen danach unter. Es sei denn, es handelt sich um Leute, die das ‘ok’ finden. Das ist lächerlich und zeugt von äußerster Ignoranz. Ich lasse mir doch nicht von einer weißen Person erzählen, was diskriminierend ist und was nicht. Dafür habe ich mich schon genug mit meiner und die Geschichte vieler anderer Unterdrückten beschäftigt.

    Liebe Redaktion, bitte bleibt doch bei eurer netten Kritik des neo-Liberalismus, darüber scheint ihr mehr zu wissen. Und Ihre weiße Leserschaft anscheinend auch. Für anderes scheint der Horizont nicht zu reichen.

    • Günter Buchholz sagt:

      “Ich lasse mir doch nicht von einer weißen Person erzählen, was diskriminierend ist und was nicht.”

      Ich halte das nicht für einen gültigen Einwand. Denn:

      Was objektiv diskriminierend ist, oder auch nicht, das kann jeder Mensch anhand von Kriterien beurteilen, also anhand von Fakten, zum Beispiel: Gleichheit vor dem Recht.

      Was subjektiv als diskriminierend empfunden wird, das hängt vom jeweiligen Individuum ab. Ich kann ohne weiteres behaupten, ich würde von anderen wegen meiner Haarfarbe diskriminiert, und niemand ist in der Lage, das Gegenteil zu beweisen – wie denn auch?

      Mit anderen Worten: es kann hierbei nur um die Fakten gehen und nicht um subjektive Befindlichkeiten.

      • Sammy Rukundo sagt:

        Die Gründe wurden angegeben- und mutwillig überschritten, da sie als nicht relevant genug ‘befunden’ wurden. Und deshalb- das label Political Correctness wird als Kampfbegriff gebraucht, und all jene, die das N-Wort oder anderes gebrauchen tun das aus meiner Sicht TROTZ des Wissens und aller Argumente, dies nicht zu tun. Deshalb lasse ich mich gar nicht erst von weißen blöd anquatschen. Ich muss einen ganzen Artikel lesen, um dann herauszufinden, dass es durchaus historische Gründe gibt, gewisse Wörter nicht zu benutzen, dass es aber durchaus ok ist, denn die Unterlassung hilft den ‘Betroffenen’ auch nicht.
        So einen halbverdauten Quatsch erzählen und dann den ‘Gutmencshen’ Paternalismus vorwerfen…. Ein ewiges, weißes Privileg und ein inzwischen langweiliger Monolog.

        • Günter Buchholz sagt:

          Wären wir jetzt nicht in Deutshland sondern in den USA mit ihrer Geschichte der Sklaverei etc, dann könnte ich ihre Aufregung nachvollziehen. Hier nicht.

        • Paul Simon sagt:

          “Wären wir jetzt nicht in Deutshland sondern in den USA mit ihrer Geschichte der Sklaverei etc, dann könnte ich ihre Aufregung nachvollziehen. Hier nicht.”

          Das ist erschreckend ignorant. Bei Rassismus geht es um sehr, sehr viel mehr als ‘nur’ die Sklaverei. Beschäftigen Sie sich mal mit europäischer Kolonialgeschichte, auch der deutschen.

          Ich muss Sammy Rukundo wirklich Recht geben, wobei ich aber trotzdem auf dem sehr wichtigen Punkt bestehen würde, dass politische Korrektheit auch dazu dienen kann, Ungleichheiten und Diskriminierungen nur symbolisch zu bereinigen, und so ironischerweise uns sogar die Möglichkeit nehmen kann, diese zu benennen. Das ist besonders in den USA sehr akut, wo eine anti-diskriminatorische öffentliche Sprache den Fortbestand des Rassismus und vor allem der Ungleichheit bemäntelt. Zu dem Thema gibt es von einem anderen weißen Mann, Walter Benn Michaels, zum Beispiel das Buch “The Trouble with Diversity”.

          Wie relevant diese Diskussion aber in Deutschland ist, ist eine andere Frage.

  4. Danke für diesen Artikel. Im Gegensatz zu anderen Kommentatoren fand ich den gut und kurz auf den Punkt gebracht was mit unserer Sprache passiert.
    Die Gesinnungswächter finden auf meiner Webseite http://www.DDRZweiPunktNull.de auch ihre Abreibung.
    Gruß

  5. Bernd sagt:

    Sinti und Roma Schnitzel klingt doch auch viel besser !!!

  6. Nixverstan sagt:

    Nix verstanden und stolz drauf. Gilt für Autor und die “lustigen” Kommentare: Muss man auch erst mal hinbekommen.

  7. Alexander Ulfig sagt:

    “Doch wertneutrale Sprache ist eine Illusion.” “dass Sprache nie neutral sein kann, sondern immer in gesellschaftlich-historischen Kontexten entsteht und dabei durchaus stets die „Wertigkeiten“ repräsentiert, die bestimmten Dingen, Personen, Gruppen attestiert werden.”

    Das sind ganz allgemeine Äußerungen, die m.E. nichts erklären und für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Deshalb sind Differenzierungen notwendig. Gehen wir in Anlehnung an die Semiotik davon aus, dass die Sprache drei Aspekte/Funktionen hat: Die Grammatik, die Semantik und die Pragmatik. Die Grammatik ist sicherlich wertneutral, die Semantik (Bedeutungslehre) ist ebenfalls wertneutral, weil sie eigentlich nur die Beziehung zwischen einem Zeichen (Wort(Ausdruck) und dem bezeichneten Gegenstand festlegt. Alleine die Pragmatik, also die Verwendung von Wörtern kann – muss aber nicht – wertend sein. Der Autor bringt es treffend auf den Punkt:
    “Bezeichnungen wie „Zigeuner“ oder „Neger“ sind nicht schon an sich diskriminierend, sondern erhalten diesen „Touch“ aus ihrem historisch-sozialen Verwendungszusammenhang …”

    Die Verwendung von Äußerungen muss aber nicht wertend sein. Die meisten Äußerungen werden wertneutral verwendet, meist in deskriptiver, also beschreibender Form, wie z.B. “Der Kühlschrank ist leer” oder “Das Bier liegt auf dem Tisch”.

  8. Ronny sagt:

    Das ist doch sowieso alles nur Sartire. So wie hier geschrieben: http://www.slampoet.de/text_rechtschreiber.php

  9. Paul Simon sagt:

    Gerade weil ich mit der grundsätzlichen Aussage des Textes übereinstimme, finde ich es schade, dass er so ungenau argumentiert. Wenn es überhaupt ein Thema gibt, bei dem es nötig ist, sehr genau zu differenzieren, dann dieses.

    Auch wenn man die heutige Sprachpolizei, die sich als politische Betätigung missversteht, kritisieren will, dann hilft es nicht, in so einen über-Materialismus zu verfallen. Auch Sprache hat eine materielle, soziale Realität: Sie “repräsentiert” Verhältnisse nicht nur, sondern sie stellt sie auch her und reproduziert sie.

    Kritiker von “Political Correctness” vergessen oft, dass es dabei nicht vornehmlich um private Sprache geht, sondern um den öffentlichen Raum, um die Sprache, welche Menschen im Munde führen, die gesellschaftliche Macht haben: Politiker, Chefs, Medienmenschen, etc. Wenn marginalisierte Gruppen also bestimmen können, auf welche Weise sie in diesen öffentlichen Diskursen benannt werden sollen, dann nehmen sie sich einen Teil gesellschaftliche Macht ÖFFENTLICH und FÜR JEDEN SICHTBAR zurück. Das ist aber nicht nur Symbolik: Man stelle sich vor, ein Chef oder jemand in einer Behörde verhält sich diskriminierend und benutzt dabei diskriminierende Sprache. Bis vor kurzem wäre da die diskriminierte Person ziemlich hilflos. Da aber “political correctness” mittlerweile die Hegemonie errungen hat, kann sie sich hoffentlich darauf verlassen, dass die Öffentlichkeit und Menschen in offiziellen Positionen sich gezwungen dazu fühlen, gegen diese Diskriminierung Stellung zu nehmen – eben weil es neben der Sprache auch deutliche und explizite Regeln gibt, welche Art von Verhalten inakzeptabel ist. Das sind die konkreten Resultate von Political Correctness. Und Sprachregeln sind ein wichtiger Teil davon.

    Außerdem unterschätzt der Autor völlig, welches Gewicht das N-Wort tatsächlich hat: es ist nicht einfach nur eine Bezeichnung für dunkelhäutige Menschen, sondern es drückt aus, dass diese Menschen anders und auch minderwärtig sind als wir weiße Europäer. Eben weil diese Geisteshaltung überwunden werden sollte, wurde auch das Wort überwunden.

    Mal abgesehen davon, dass sich Sprache ja sowieso immer ändert, und man im Deutschen vor allem bewusst einen Anachronismus begeht, wenn man Neger sagt. Neger ist längst nicht mehr allgemeingebräuchlich (außer unter alten Menschen) und deshalb liegt in seiner Verwendung so gut wie immer eine beleidigende Intention, davon kann man ausgehen.

    Im Allgemeinen hilft es, meiner Meinung nach, bei diesem Thema nicht allzu sehr in sprachphilosophische Haarspaltereien zu verfallen, sondern konkret zu bleiben und darauf zu sehen, wie Sprache in unserer Gesellschaft konkret funktioniert.

    • Günter Buchholz sagt:

      “Außerdem unterschätzt der Autor völlig, welches Gewicht das N-Wort tatsächlich hat: es ist nicht einfach nur eine Bezeichnung für dunkelhäutige Menschen, sondern es drückt aus, dass diese Menschen anders und auch minderwärtig sind als wir weiße Europäer. Eben weil diese Geisteshaltung überwunden werden sollte, wurde auch das Wort überwunden.”

      => Aber das, was Sie hier beschreiben,
      das passiert doch alles n u r in I h r e m Hirn!

  10. Idahoe sagt:

    Immerhin ist es einmal ein Anfang.

    Sprache ist nur der Informationsträger, nicht die Information selbst.
    Sprache wertet nicht, der Mensch wertet (bzw. kann werten)

    Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß wir Menschen vieles nicht ansatzweise verstehen.

    Ich kann kein chinesisch, weder in Wort noch in Schrift. Ein Mensch der chinesisch spricht oder schreibt, kann alles mögliche zu mir sagen, ich verstehe es nicht. Umgekehrt ist dies nicht anderst. Ein Chinese, der keine andere Sprache spricht, kann mit den Lauten oder den Symbolen der deutschen Sprache nichts anfangen.

    Ein Zigeuner würde beleidigt, aber ein Wiener vom Schnitzel nicht?
    Eine seltsame Inkonsequenz.
    In unserer Gegend wurde “Mensch bist du ein Zigeuner” anerkennend verwendet…

    Auch sehe ich die Semantik nicht unkritisch, denn Begriffe unterliegen einem Wandel nicht nur in der Zeit, sondern auch dem Zeitpunkt, Ort, den Beteiligten und der Situation ihrer Verwendung.
    Aussenstehende können oftmals den internen Umgang einer Gruppe völlig falsch verstehen.
    Für mich ist die Formalisierung der natürlichen Sprache das Problem, das dadurch erst geschaffen wurde. Menschen achten fast nur noch auf die Form, statt auf die Konsequenz. Das ist auch der Zweck des Regelfetischistischen, es werden Anweisungen erwartet, die jede Regel beinhaltet, es besteht ja gerade kein Interesse an Verständigung.

    Zu Punkt 1. noch eine Anmerkung
    Die verklärte Aufklärung wurde selbst zu einer Religion, heute wird Gott nur Geld genannt. Beide wandeln nach wie vor Wasser in Wein.

    Die hochgelobte Vernunft unterliegt dem Sein-Sollen-Fehlschluß.
    Die zutreffendere Bezeichnung für “vernünftiges Denken” ist folglich, Glauben.

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