Schuldenkrise
Tabuthema Großbanken

In den deutschen Talkshows wird systematisch totgeschwiegen, wie die Großbanken vor Verlusten verschont wurden.

Commerzbank2

Foto: Axel Schwenke / flickr / CC BY-SA 2.0 / modifiziert

Von Urs P. Gasche

In beinahe sämtlichen Informationssendungen über Griechenland werden wichtige Fragen ausgeklammert:

  • Warum kommen Grossbanken und Hedgefonds für ihre grobfahrlässigen Geldanlagen in Griechenland nicht zur Kasse?
  • Wie konnten sie ihre Risiken vor allem in Deutschland und Frankreich an die Steuerzahlenden überwälzen?
  • Warum wollen die EU-Institutionen Griechenland (und Portugal, Irland, Spanien oder Italien) keinen Schuldenerlass gewähren, während sie gleichzeitig die europäischen Grossbanken mit jährlich über 300 Milliarden Dollar subventionieren?
  • Wer trägt dafür die Verantwortung?

Noch im Jahr 2008 hatten vor allem europäische, aber auch amerikanische Großbanken und Hedgefonds (unregulierte Anlagen von Privaten, Versicherungen oder Pensionskassen) rund 270 Milliarden Dollar in griechischen Papieren angelegt. Heute sind es höchstens noch 40 Milliarden. Den Rest ihrer riskanten Anlagen haben ihnen die Europäische Zentralbank, der EU-“Rettungsfonds” und der IWF freiwillig abgenommen. Für diesen grossen Rest haften deshalb heute die Steuerzahlenden, die für einen kommenden Abschreiber auf den griechischen Schulden geradestehen müssen. Deshalb wollen Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble einen (Teil-)Konkurs Griechenlands so lange verzögern, bis sie selber nicht mehr im Amt sind.

Lukrative Geschäfte mit Griechenland

Am schnellsten haben Schweizer Großbanken reagiert: Ende 2008 hatten sie noch offenstehende Griechenland-Kredite in Höhe von 69 Milliarden Dollar. Bereits Ende 2010 waren es weniger als 3 Milliarden. Diese in Dollar ausgewiesenen Zahlen hatte die “Bank für internationalen Zahlungsausgleich” BIZ veröffentlicht.

Ende 2010 waren französische und deutsche Großbanken mit zwei Dritteln aller Bankforderungen am meisten exponiert: An erster Stelle die “Crédit Agricole” (30 Mrd. Dollar), die “Société Générale” (8,5 Mrd. Dollar) und die “BNP Paribas” (7 Mrd. Dollar). Deutsche Großbanken, namentlich die “Commerzbank”, die “Deutsche Bank” und die “Landesbank Baden-Württemberg” hatten Ende 2010 zusammen 34 Milliarden Dollar in staatlichen Schuldpapieren Griechenlands angelegt.

Das lukrative Geschäft dieser Finanzinstitute bestand darin, sich von den Notenbanken billiges Geld auszuleihen und in hochverzinsliche Griechenland-Anleihen zu investieren. Neben Nationalbankgeldern verwendeten sie auch Gelder von Versicherungen und großen Pensionskassen. Die Banken mussten ihre hohen Bestände an griechischen Staatsobligationen nach den Vorschriften der BIZ nicht einmal mit einem einzigen Euro Eigenkapital unterlegen.

Die Griechen verwendeten die Milliarden nicht nur für Beamtenlöhne, sondern zu einem schönen Teil für Importe. So konnten deutsche und französische Panzer- beziehungsweise Waffenhersteller sowie viele andere Exporteure mit Griechenland gute Geschäfte machen.

Schon lange eine untragbare Schuldenlast

Großbanken und Hedgefonds hatten fast 300 Milliarden Dollar in ein Land mit elf Millionen Einwohnern investiert, dessen generelle Misswirtschaft, Vetternwirtschaft und Korruption bekannt waren. Doch die involvierten Großbanken konnten – leider mit Recht – darauf zählen, dass ihnen im Fall einer Pleite Griechenlands von willfährigen Regierungen und EU-Institutionen geholfen wird. So bewahrheitete sich wieder einmal “Gewinne privatisiert – Verluste verstaatlicht”.

Spätestens im Jahr 2010, als die Zinssätze international etwas stiegen, war Griechenland so stark überschuldet, dass sich ein mindestens teilweiser Erlass der Schulden aufdrängte. Experten des Internationalen Währungsfonds IWF kamen damals zum Schluss, dass Griechenland seine Schuldenlast nicht mehr tragen könne. Die Schulden müssten “umstrukturiert” werden und die Großbanken müssten auf einen Teil ihrer Guthaben verzichten.

Schulden zum Abzahlen von Schulden

Doch die Politik entschied für ‘ihre’ Banken“, stellte der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister fest. Griechenland habe sich zusätzlich verschulden müssen, um bestehende Schulden zu begleichen:

EZB-Präsident Trichet kaufte den Banken griechische Staatsanleihen ab, und so gelang – unter Aufsicht von Finanzministerin Lagarde und Kanzlerin Merkel – das Kunststück: Die deutschen und französischen Banken müssen für ihre fahrlässige Kreditvergabe keinen Beitrag leisten, den Schwarzen Peter hat Griechenland allein.”

Charles Wyplosz, Professor für internationale Ökonomie am Graduate Institute in Genf und Direktor des Genfer Zentrums für Geld- und Bankstudien, nannte es in der “NZZ am Sonntag” einen Fehler, dass 2010 von einem Schuldenschnitt abgesehen wurde: “In drei Jahren wäre Griechenland wieder auf den Beinen gewesen.” Doch die “deutschen und französischen Regierungen wollten ihre Banken schützen.

In der Folge übernahmen auch die EU-Länder im Rahmen ihrer “Hilfspakete” toxische Griechenland-Papiere von Banken und andern privaten Anlegern, so dass diese privaten Anleger weitgehend aus dem Schneider sind.

“Das Durchwursteln wurde alternativlos”

Im Jahr 2012 befand Themistoklis Fiotakis, Direktor der Investmentbank “Goldman Sachs”, dass man Griechenland mindestens 80 Milliarden Euro an Schulden erlassen müsse. Doch weil die betriebene “Rettungspolitik” inzwischen dazu geführt hatte, dass der grösste Teil der griechischen Staatsschulden auf den Büchern der öffentlichen Institutionen Europas lastet, hätte ein Abschreiber auf griechischen Staatsobligationen die Steuerzahler der Gläubigerländer belastet. Das wiederum wollten die Regierungen aus eigenem Interesse nicht zulassen. “Das Durchwursteln wurde sozusagen alternativlos“, stellte Fiotakis fest. Es kam 2012 nur zu einem bescheidenen Schuldenerlass, der die “Lasten von nicht-griechischen Banken auf griechische verlagerte“, wie Professor Charles Wyplosz analysierte.

Die Konsequenzen weiterer “Umschuldungen” (also neue Schulden, welche die alten ersetzen) sah NZZ-Wirtschaftsredaktor Christof Leisinger in einem Kommentar damals klar: “Das Ganze ist eine Umverteilung von Privat zu Staat.” Die laufende Umschuldung werde nämlich “dazu führen, dass bis in drei Jahren rund 85 Prozent aller griechischen Staatsanleihen in den Depots von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der europäischen Finanzstabilitätsfazilität EFSF, also den Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds liegen werden.” Und er zog folgerichtig den Schluss: “Damit hängen die Steuerzahler nach einer Umverteilung von Privat zu Staat für alles Weitere einmal mehr am Haken.”

Großbanken vor Griechenlandverlusten verschont und gleichzeitig hoch subventioniert

Regierungen und EU-Institutionen nahmen den Großbanken die drohenden Milliardenverluste ab – zu Lasten der Steuerzahler. Gleichzeitig haben sie seit 2008 kaum etwas unternommen, um das Privileg deren Größe (To Big to Fail) zu eliminieren. Der Zwang, Großbanken bei Schwierigkeiten zu retten, hat den Wert einer massiven Subvention.

Andrew Haldane, Exekutivdirektor bei der “Bank of England”, hat diese impliziten Subventionen für die 29 weltgrößten Banken vor anderthalb Jahren auf fast 500 Milliarden Dollar jährlich berechnet. Das sind durchschnittlich 17 Milliarden pro Großbank. Unter dem Titel “Kostspielige Verzerrungen” berichtete die NZZ letztes Jahr aufgrund von Angaben des Internationalen Währungsfonds IWF von – je nach Schätzmethode – bis zu 50 Mrd. Dollar Subventionen an Großbanken in der Schweiz, bis zu 300 Mrd. Dollar an solche in den Euroländern und bis zu 70 Mrd. Dollar an Großbanken in den USA.

Diese Subventionen kämen zustande, weil Gläubiger systemrelevanter Banken nicht das volle Risiko tragen und bereit seien, solchen Instituten Gelder zu niedrigeren Zinsen zu überlassen als aufgrund des Risikoprofils der Bank geboten wäre. Diese Gläubiger hätten auch weniger Anreize, der Bank auf die Finger zu schauen und eine übermässige Risikonahme zu sanktionieren. Großbanken ihrerseits würden die Kostenvorteile ausnützen, die Verschuldung erhöhen und größere Risiken eingehen. Um den Subventionsfluss zu maximieren, würden gewisse Banken stärker wachsen, als aufgrund der Skalen- und Verbundvorteile einer Bank betriebswirtschaftlich gerechtfertigt wäre.

Finanzwirtschaft mit Steuer zur Kasse bitten

Außer einem Schuldenerlass brauchen Länder wie Griechenland reale Einnahmen, um die verbleibenden Schulden weiter abzubauen, zu investieren und die soziale Not zu lindern.

Eine bedeutende Einnahmequelle wäre die vom Zürcher Professor Marc Chesney geforderte Mikrosteuer auf sämtliche elektronischen Zahlungsvorgänge: Beim Kauf oder Verkauf von Finanzpapieren und Derivaten jeglicher Art sowie auch bei allen elektronisch verbuchten Käufen von Waren und Dienstleistungen und bei jeder Banküberweisung sind zum Beispiel 0,1 Prozent als Quellensteuer abzuschöpfen.

Eine solche Abgabe wäre nicht nur technisch einfach und unbürokratisch, weil die Transaktionen ohnehin elektronisch erfasst werden, sondern würde als gesamteuropäische Steuer den Ländern Südeuropas sowie Irland auch die nötigen Milliarden verschaffen, um die grosse soziale Not zu lindern, sowie nötige Investitionen in die Infrastruktur der Länder zu finanzieren.

Den Großbanken und Hedgefonds zuzumuten

Zur Kasse kämen in erster Linie Großbanken und Hedgefonds. Das wäre ihnen zuzumuten. Denn in den Jahren vor der Finanzkrise hatten sie Griechenland, Irland und andern europäischen Ländern waghalsige Kredite gewährt oder mit Ausfallrisiken spekuliert. Zudem profitieren sie massiv von der staatlichen (Rettungs-)Garantie. Für Professor Chesney besteht daher kein Zweifel:

Großbanken waren in der Lage, die Situation in Griechenland einzuschätzen. Es war niemand verpflichtet, Griechenland Milliarden-Kredite zu gewähren. Diese Großbanken hätten die Risiken tragen müssen. Sie haben die riesige Finanzkrise mit verursacht.”

Selbst die EU-Kommission rechtfertigte eine Besteuerung des Finanzsektors, denn dieser solle “wenigstens einen Teil der Beträge zurückzahlen, die der europäische Steuerzahler im Zusammenhang mit Rettungsaktionen vorfinanziert hat.”

Doch das bleibt ein frommer Wunsch. Trotz eines Schuldenschnitts im Jahr 2012 konnten sich Großbanken und Hedgefonds dank direkter und indirekter öffentlicher Finanzhilfe weitgehend schadlos halten.

Dieser Beitrag erschien erstmals auf dem schweizer Informationsportal Infosperber

Artikelbild: Axel Schwenke / flickr / CC BY-SA 2.0 / modifiziert

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4 Kommentare zu "Schuldenkrise
Tabuthema Großbanken"

  1. Nun ja, da sieht man mal wieder wer in de EU wirklich regiert und was die Politiker tatsächlich noch zusagen haben.
    —————————-
    Bürger = Zuschauer
    Politiker = Marionette
    Finanzstarke Unternehmen und Privatpersonen = Machtinhaber
    —————————-
    Wir alle wissen im Grunde wie das geschehen konnte. Und genauso kann es auch wieder rückgängig gemacht werden!

  2. Vor kurzem habe ich die Themenauswahl bei le Bohemien noch ziemlich heftig kritisiert, heute freue ich mich umso mehr, denn – der Artikel oben – ist (das reimt sich auch noch) – nur zu loben, und ich danke dem Autor daher für seinen ausgezeichneten Aufsatz und der Redaktion für dessen Veröffentlichung!

    Hinzufügen möchte ich nur noch, daß das im Artikel beschriebene Muster der Ausplünderung ganzer Völker sich sehr häufig (Gott sei Dank aber nicht immer) nach unten fortsetzt bis hinein in viele Betriebe, wo deren Machthaber sich oftmals ebenfalls auf Kosten der Belegschaft auf unverschämte Weise bereichern; ja – es hat sich längst ein gesellschaftlich vielfach anerkanntes Denk- und Verhaltensmuster eingeschliffen, nachdem (auch innerhalb vieler Familien) jegliche Form von Machtstellung dazu benutzt wird, um alle möglichen Arten Profitstreben (weiterer Machtausbau gehört immer auch dazu) mehr oder weniger rücksichtslos durchzusetzen.

    Der Psychoanalytiker und Soziologe Wilhelm Reich hat diese Mischung aus somit gesellschaftlich anerkannter Gewissenlosigkeit und krankhafter Ich-Sucht schon vor geraumer Zeit meines Erachtens auf völlig zutreffende Weise als „emotionale Pest“ bezeichnet. Diese Krankheit hat längst epidemische Ausmaße angenommen; aufgrund ihrer gesellschaftlichen Anerkanntheit immer noch hochansteckend grassiert sie längst in allen Bevölkerungschichten in den unterschiedlichsten „Schattierungen“ und es wäre, nein – ES IST – SEHR WICHTIG, – erstens Menschen wie vielen unserer Politiker und Wirtschaftslenker, die davon befallen sind und nun aufgrund des technischen Fortschritts längst auch über ungeheuere Machtmittel verfügen nicht länger Folge zu leisten und zweitens – dafür zu sorgen, daß es sich endlich einmal wahrheitsgemäß in allen Bevölkerungskreisen herumspricht, daß uns eine solche krankhafte Ich-Sucht, auf Dauer und flächendeckend betrieben und durch die heute technisch überaus effizienten Mittel oft in buchstäblich gewaltigem Maße unterstützt, ALLE MITEINANDER immer schneller in den Ruin treibt! – Sofern die heutigen Menschenmassen hiervor noch immer die Augen verschließen, selbst noch immer solche Beutezüge praktizieren oder sich als Gefolgschaft daran beteiligen, wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach schon bald zu einer riesigen Katastrophe führen, denn das Gesellschaftsklima ist weltweit derzeit so aufgeheizt, wie schon lange nicht mehr.

    Wir alle haben heute die Chance, diese für uns nun offenbar bitter notwendig gewordene Lektion endlich einmal richtig zu begreifen oder aber – womöglich bald alles zu „vergeigen“. – Keine Wischi-Waschi-Mischhaltung und kein Wegducken ist daher nun von uns allen gefragt (und war es eigentlich auch noch nie!), sondern jetzt endlich einmal eine klare Stellungsnahme, d. h. ein klar entschiedenes Auftreten für ein FAIRES, FREIES, OFFENES & FRIEDLICHES MITEINANDER!

    W. Oesters (zeitgeistkrit. Website: achtgegeben.de)

  3. Pirandîl sagt:

    “In den deutschen Talkshows wird systematisch totgeschwiegen, wie die Großbanken vor Verlusten verschont wurden.” Dies zeigt einmal mehr, wahre Macht liegt darin begründet, den Diskurs zu bestimmen. Darum vielen Dank für diesen sehr erhellenden Blog-Eintrag.

    Liebe Grüße, Pirandîl

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