Schuldenkrise
Habermas sieht Troika in der Pflicht

Die “Süddeutsche Zeitung” fährt in der Debatte um die Schuldenkrise mit Jürgen Habermas schweres Geschütz auf. Sein Vorwurf an Syriza: Sie hätten (falsch) moralisiert. Dennoch liefert Habermas gegen Ende seines langatmigen Textes konkrete Kritik an der Troika. Hoffen wir, dass einige SZ-Leser die Sinnoasen in der kommunikativen Bleiwüste finden.

Jürgen Habermas

Foto: Wolfram Huke / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Theodor Marloth

Von der SZ wird Habermas “als einer der großen Denker und Soziologen der Gegenwart” vorgestellt, seinen Beitrag fasst das Blatt (etwas tendenziös) so zusammen:

“Nicht Banken, sondern Bürger müssen über Europa entscheiden, das fordert der berühmte Philosoph Jürgen Habermas. Angela Merkel habe die Krise mitverursacht. Der Kanzlerin seien die Anlegerinteressen wichtiger als die Sanierung der griechischen Wirtschaft.” – SZ, 23.6.2015

Das ist seltsam, denn die ersten drei von zwölf Absätzen widmet Habermas der Lobpreisung des Bankers Mario Draghi und seiner Europäischen Zentralbank. Der EZB-Chef hätte 2012 durch seine Zusicherung, Staatsanleihen unbegrenzt aufzukaufen, den Kollaps des Euro verhindert. Aber nicht nur das, Draghi trat für Reformen der EU-Institutionen und sogar für mehr Demokratie ein, meint Habermas:

“…auch wenn man es von einem ehemaligen Goldman-Sachs-Banker nicht erwarten konnte, wollte er diese überfälligen institutionellen Reformen sogar mit ‘mehr demokratischer Rechenschaft’ verbunden sehen” – Habermas, SZ, 23.6.2015

Draghi hat, so scheint Habermas zu glauben, aus purer Vernunft und Humanität gehandelt. Merkel hätte dagegen für nationalistische und Anleger-Interessen gestanden (letzteres stimmt fast). Leider verkennt der große Philosoph, den viele für einen “deutschen Chomsky” halten, dass Draghi womöglich auch für Goldman-Interessen stand. Also auch für Interessen der US-Industrie und die ist, trotz kreuz-und-querlaufender Kapitalverflechtung, eher weniger an rein deutschen Exporterfolgen interessiert. Die von Merkel über das geprügelte Griechenland gedrückte Euro-Währung spielte jedoch vor allem der deutschen Exportwirtschaft in die Karten, die ihrerseits die CDU/CSU-Kassen mit üppigen Spenden bedient. Fallender Euro heißt für diese Herren steigender Absatz, Abverkauf voller Lager, Hochfahren der Auslastung ihrer teuren Produktionsanlagen auf 100 Prozent, voller Profit. So kam es dann auch, auf Kosten der ärmeren Euro-Länder, aber auch nicht zur reinen Freude der US-Konkurrenz (was Wunder, dass die auf Rache sann und begann in der Ukraine eine neue Front aufzumachen, um auch -neben anderen, geopolitischen Aspekten- ihrer deutschen Konkurrenz eins auszuwischen).

Ansonsten hält sich Habermas salomonisch zurück, teilt gegen Athen aus, aber auch gegen Brüssel und Berlin. Tsipras und seine neugewählte Regierung sieht der Philosoph einer Ethik des kommunikativen Handelns bei ihrem ersten Auftritt in Brüssel so:

“Man erinnert sich an jene ersten Begegnungen, als sich die präpotent auftretenden Novizen in der Hochstimmung ihres Triumphes mit den teils paternalistisch-onkelhaft, teils routiniert-abfällig reagierenden Eingesessenen einen grotesken Schlagabtausch lieferten: Beide Seiten pochten papageienhaft darauf, vom jeweilig eigenen “Volk” autorisiert worden zu sein.” – Habermas, SZ, 23.6.2015

Aha. Beide Seiten haben sich dumm daneben benommen, stellten sich als vom Volk autorisiert dar, in “ungewollter Komik ihres einträchtigen nationalstaatlichen Denkens”, es fehle “ein Fokus für eine gemeinsame politische Willensbildung der Bürger über folgenreiche politische Weichenstellungen in Kerneuropa”. Mit diesen teils wolkigen, teils belanglos moralisierenden, teils ökonomisch oberflächlichen Ausführungen bestreitet Habermas die erste Hälfte seines weitschweifigen Artikels. Die meisten SZ-Leser werden dann vermutlich leicht gelangweilt weiterblättern -und die eigentliche Kritik an Merkel, Juncker und ihrer Troika überlesen. Denn Habermas kritisiert nun unverblümt:

“Gewiss, in der Sache geht es um das sture Festhalten an einer Sparpolitik, die nicht nur in der internationalen Wissenschaft überwiegend auf Kritik stößt, sondern in Griechenland barbarische Kosten verursacht hat und hier nachweislich gescheitert ist.”

Den “Grundkonflikt” sieht Habermas darin, dass die eine Seite einen Wechsel dieser Politik herbeiführen möchte (er meint hier lobend Syriza, ohne sie hier erwähnen zu wollen), während sich die andere Seite (also die Troika) hartnäckig weigert, sich überhaupt auf politische Verhandlungen einzulassen. Irgendwie ist dabei auf noch eine “Asymmetrie” im Spiel. Aha. Soweit so verquast, führt Habermas die SZ-Leserschaft (so sie den Bleiwüsten-Maraton bis hierher durchhalten konnte) langsam an eine, ihrem Blatt sonst völlig fremde Bewertung heran. Sonst vom transatlantischen Säbelrasseln völlig auf eine untertänige Haltung gegenüber den EU-Herrschenden eingeschworen, kommt nun ein etwas anderer Ton auf.

Denn am Ende spricht bei Habermas doch die Moral für Tsipras und Syriza (die auf ihre namentliche Nennung freilich noch drei lange Absätze warten müssen). Man müsse sich das “Anstößige, ja Skandalöse dieser Weigerung” (der Troika) klarmachen: Der Kompromiss scheitere “allein an der griechischen Forderung, der Wirtschaft und der von korrupten Eliten ausgebeuteten Bevölkerung mit einem Schuldenschnitt… einen neuen Anfang zu ermöglichen”. Der SZ-Leser ist hier vermutlich verwirrt, wer nun wer ist in dieser skandalösen Asymmetrie, doch es kommt noch etwas deutlicher Artikuliertes:

“Statt-dessen bestehen die Gläubiger auf der Anerkennung eines Schuldenberges, den die griechische Wirtschaft niemals wird abtragen können. Wohlgemerkt, es ist unstrittig, dass ein Schuldenschnitt über kurz oder lang unvermeidlich ist. Die Gläubiger bestehen also wider besseres Wissen auf der formellen Anerkennung einer tatsächlich untragbaren Schuldenlast.” – Habermas

Bis vor Kurzem habe die Troika sogar auf der “buchstäblich fantastischen Forderung eines Primärüberschusses von mehr als vier Prozent” beharrt. Diese sei zuletzt zwar auf “eine immer noch unrealistische Forderung von einem Prozent gesenkt worden”; aber bislang scheitere eine Einigung immer noch an der “Forderung der Gläubiger, eine Fiktion aufrechtzuerhalten”. Die “Geberländer” befürchten laut Habermas einen “Dominoeffekt”, Merkel sei sich gar ihrer “eigenen Mehrheit im Bundestag nicht sicher”. Die Griechen hätten womöglich aus Unerfahrenheit oder Inkompetenz in ihrem “erratischen Verhalten” keine klare Linie vorgelegt, ihre “Linksnationalisten” hingen womöglich einer “ethnozentrischen Vorstellung von Solidarität” an – das sind wieder Aussagen, wie der SZ-Leser sie gewöhnt ist. Doch dann zieht Habermas blank, greift Merkel direkt an:

“Angela Merkel hat für ihre zweifelhaften Rettungsaktionen von vornherein den Internationalen Währungsfonds ins Boot geholt. Dieser ist für Dysfunktionen des internationalen Finanzsystems zuständig; als Therapeut sorgt er für dessen Stabilität und handelt daher im Gesamtinteresse der Anleger, insbesondere der institutionellen Investoren. Als Mitglieder der Troika verschmelzen auch europäische Institutionen mit diesem Akteur, sodass sich Politiker, soweit sie in dieser Funktion handeln, in die Rolle strikt regelgebunden handelnder und unbelangbarer Agenten zurückziehen können.

Diese Auflösung von Politik in Marktkonformität mag die Chuzpe erklären, mit der Vertreter der deutschen Bundesregierung, ausnahmslos hochmoralische Menschen, ihre politische Mitverantwortung für die verheerenden sozialen Folgen leugnen, die sie als Meinungsführer im Europäischen Rat mit der Durchsetzung der neoliberalen Sparprogramme doch in Kauf genommen haben.” – Habermas, SZ, 23.6.2015

Ob bei Habermas mit “ausnahmslos hochmoralische Menschen” etwas Ironie durchklingt? Wohl kaum. Aber im allerletzten Absatz fordert er sogar: “Die politischen Eliten in Europa dürfen sich nicht länger vor ihren Wählern verstecken…”, als ob die institutionell-lobbykratische Machtarchitektur etwas anderes zulassen würde. Aber die Medien sieht er durchaus kritisch, ohne natürlich zum Unwort “Lügenpresse” greifen zu müssen. Der Philosoph der herrschaftsfreien Kommunikation kann sich eleganter ausdrücken, liegt aber nicht so weit davon entfernt, wie Mainstream-Journalisten lieb sein dürfte. Sein halbkritischer Artikel schließt mit einem Satz, der in den Medien vermutlich keine große Resonanz finden wird:

“Zur postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit trägt auch der Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus bei, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden von Kunden kümmert.” – Habermas, SZ, 23.6.2015

Artikelbild: Wolfram Huke / CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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2 Kommentare zu "Schuldenkrise
Habermas sieht Troika in der Pflicht"

  1. Daniela sagt:

    Wie Habermas sich in seinem Sermon willig auf Draghi beruft und kleinkariert und besserwisserisch Tsipras Innenpolitik (!) bekrittelt ist schon zum Lachen.
    Der alte Pensionist redet offenbar von Dingen, von denen er keine Ahnung hat.
    Mit der Kritik an Merkel hat er zwar Recht, vergisst aber die Hetzkampagne zu erwähnen, die deutsche Medien seit Jahren gegen Athen veranstalten. Dies ist, abgesehen vom letzten, in winzigen Ansätzen sich einsichtig zeigenden Absatz, die alte Haltung, alles auf eine Politik zu schieben, die schon lange nicht mehr der einzige und wohl oft auch nicht der mächtigste Spieler im Kasino ist. Das sind Banken, Medien und Bilderberger (letzter hält einer wie Habermas vermutlich immer noch für “Verschwörungstheorie”).

    • Renzo sagt:

      Soso, da wo er zufällig Ihrer Meinung ist hat er recht, ansonsten hat er keine Ahnung. Da Sie hier mit den Bilderbergern und Hetzkampagnen kommen, gilt das anscheinend noch mehr für Sie.
      Meine Empfehlung: Aluhut basteln – hilft vielleicht ja auch gegen Chemtrails….

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