Griechenlands Krise
Nichts dazu gelernt

Die Krise Griechenlands ist allem voran eine Folge der falschen Reaktion auf die globale Finanzkrise. Sie wäre abwendbar gewesen, wenn die Banken nicht in der damaligen Form gerettet und eine Regulierung der Finanzmärkte eingeleitet worden wäre.

The Global Economic Outlook: Wolfgang Schaeuble

Foto: World Economic Forum / flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0

Von Michel Buckley

Die Medienkampagne mit der Mär von den faulen Griechen, die jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt hätten, hatte ihr Ziel erreicht: Als Vorbedingung für die “Hilfsprogramme” von Europäischer Union (EU) und Internationalem Währungsfonds (IWF) beschloss das Athener Parlament im Mai 2010 ein drakonisches Sparprogramm, während dem Publikum die wahren Ursachen der griechischen Krise verborgen bleiben.

Doch weshalb hatte die Verschuldung Griechenlands die letzten Jahre derart zugenommen? Die deutsche Presse scheint darauf nur eine Antwort zu kennen, nämlich eine für dieses Land vermeintlich typische Vetternwirtschaft, Korruption und ein dekadentes Sozialsystem. Doch so werden nur Vorurteile bedient und gleichzeitig Stimmung für die einschlägig neoliberalen Rezepte gemacht, auf konjunkturelle Krisen mit strukturellen “Reformen” zu antworten, die wiederum die konjunkturelle Krise nur verschärfen.

Laut einer Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) war es vor allem die Bankenrettung, welche die Verschuldung Griechenlands verschärfte – analog zu der anderer Staaten. Diese Maßnahmen entfalteten nämlich einen fatalen Mechanismus: In dem Maße, in dem das – auf den Finanzmärkten ermittelte – Kreditrisiko der Banken sank, stieg das der Staaten. Denn die Krise Griechenlands ist vor allem der herabgesetzten Kreditwürdigkeit und Spekulationen auf den Staatsbankrott geschuldet, die das Land dazu zwang, immer höhere Zinsen für seine Staatsanleihen zu zahlen – bis zu 14 Prozent!

Die Form der Bankenrettung infolge der Finanzkrise – die umfangreichen Garantien für Banken, die Finanzspritzen, sowie das Aufkaufen von “Schrottpapieren” mit Bad Banks – bedeutete nichts anderes als eine Privatisierung der Gewinne, hingegen aber eine Sozialisierung der Risiken und Verluste. Gleichzeitig verzichtete die Politik darauf, die Kontrolle über die geretteten Finanzhäuser zu übernehmen oder gar nur an den Kosten zu beteiligen, wie z.B. durch eine Bankenabgabe oder eine Finanztransaktionssteuer. Auch die Rating-Agenturen, die nun die Bonität von Griechenlands Staatsanleihen herabstuften, wurden nicht schärfer kontrolliert oder verstaatlicht, obwohl sie mit ihren positiven Bewertungen von verbrieften US-Hypothekenkrediten (die späteren “Schrottpapiere”) entscheidend zur Spekulationsblase des letzten Jahrzehnts beitrugen, dessen Platzen die Finanzkrise erst ausgelöst hatte. Es scheint, als hätte die Politik bis heute gar kein Interesse daran, die Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten ernsthaft  zu unterbinden.

Diese ausbleibende Regulierung rächte sich: Die gerettete Finanzwelt griff ihre Retter an, die Nationalstaaten. “Die gleichen Marktteilnehmer, die die Regierungen vieler Länder in eine desaströse Haushaltslage gebracht haben, verlangen nun ‘Risikoprämien’, weil sie diesen Regierungen nicht mehr trauen”, schrieben Heiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Unterorganisiation Unctad, und Sonia Boffa in ihrem Aufsatz “The Unbearable Lightness of Financial Markets” (Die Unerträgliche Leichtigkeit der Finanzmärkte). “Dieses Paradox muss von der globalen Gemeinschaft der Regierungen auf entschiedene Weise angegangen werden”, so Flassbeck und Boffa.

Doch bislang sieht es nicht so aus, als ob die Regierungen bereit seien, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Die damals beschlossenen Hilfen für Griechenland in Höhe von 110 Milliarden Euro, sowie die 500 Milliarden Euro umfassenden Garantien der EU (plus 250 Milliarden vom IWF) für notleidende Mitgliedsstaaten werden zwar als Schritt in Richtung einer europäischen “Wirtschaftsregierung” gewertet, da sie aber nicht von nennenswerten Maßnahmen zur Kontrolle der Finanzmärkte flankiert worden sind, sind sie doch nur eine Fortsetzung der bisherigen Praxis der Bankenrettung. Schließlich ist Griechenland vor allem bei deutschen und französischen Geldinstituten in der Kreide. So werden die Steuerzahler erneut zum Aufpäppeln der Banken zur Kasse gebeten.

Wie eine “Wirtschaftsregierung” aussehen sollte, ließ der Vorschlag des bis 2014 waltenden EU-Wirtschaftskomissars Olli Rehn erahnen, der in die Haushaltsplanung der Mitgliedsländer eingriff, um ihnen einen härteren Sparkurs zu verordnen. Bereits zuvor hatte Griechenland ein drastisches Sparprogramm beschlossen, um das “Vertrauen der Märkte in Griechenland und damit auch in den Euro wieder zu stärken”.

Die Griechen mussten und müssen also für die Finanzkrise büßen, weil sie angeblich über ihre Verhältnisse gelebt hatten. Doch die Geschichte hat uns einmal mehr gelehrt, dass eine Deflationspolitik, also Senkung der Staatsausgaben bei gleichzeitiger Erhöhung der Einnahmen nur zur Verschärfung der Wirtschaftskrise führt. Dass 2010 auch noch der IWF mit ins Boot geholt wurde, war in gewisser Weise nur konsequent. Schließlich hatte der IWF mit seinen neoliberalen “Strukturanpassungsprogrammen” schon zum verlorenen Jahrzehnt Lateinamerikas beigetragen.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger und einstige Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, hatte schon vor 13 Jahren in seinem Buch “Die Schatten der Globalisierung” beschrieben, wie die neoliberalen Schocktherapien die Krisen in Asien und Russland verschärft hatten – ganz im Gegensatz zu den Staaten, die den Vorgaben des IWF nicht folgten.

Schaut man sich nun die damaligen Beschlüsse der Troika im Detail an, so steht darin ausdrücklich, dass die Hilfen der EU an die Bedingungen des IWF in Punkto Haushaltsdisziplin gekoppelt waren. Wie wenig die Politik von den vorherigen Krisen bereit ist zu lernen, und was die Troika von alternativen Lösungen hält, zeigt der Kurs gegenüber der neuen griechischen Syriza-Regierung. Deutlich wurde dies sowohl durch die jüngste Entscheidung der EZB, ab dem 11. Februar keine Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für Bankkredite Griechenlands zu akzeptieren, als auch durch die unnachgiebige Haltung Schäubles gegenüber dem griechischen Wirtschaftsminister Yanis Varoufakis.

Angesichts des ungebrochenen Festhaltens an solchen Rezepten ist auch in Zukunft nicht zu erwarten, dass man eines der entscheidendsten Ursachen für die Instabilität Europas angehen wird: Deutschland hat sich in den letzten 15 Jahren durch Senkung seiner Lohnkosten immer mehr Wettbewerbsvorteile in der Euro-Zone verschafft, in welche die meisten seiner Exporte gehen. Übrigens ist genau das auch eine der Ursachen der Probleme Griechenlands. Stattdessen sollen die Südländer auch weiterhin dem deutschen Modell folgen.

Artikelbild: World Economic Forum / flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Ökonomie Tags: , , , , , , , ,

Ähnliche Artikel:

<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Burnout & Eigenverantwortung</span><br/>Die Neoliberalisierung der Psychotherapie Burnout & Eigenverantwortung
Die Neoliberalisierung der Psychotherapie
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Postdemokratie</span><br/>Allianz des „progressiven“ Neoliberalismus Postdemokratie
Allianz des „progressiven“ Neoliberalismus
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Liberalismus</span><br/>Der globalistische Grundkonsens Liberalismus
Der globalistische Grundkonsens

11 Kommentare zu "Griechenlands Krise
Nichts dazu gelernt"

  1. Starker Artikel, der die Problematik auf den Punkt bringt. Ein Nachtrag zu der Mär der faulen Griechen: Es werden hier von den Medien die gleichen Stereotypen bedient, die auch in Deutschland angewendet wurden, um den Abbau des Sozialstaates zu legitimieren. Man erinnere nur an die "soziale Hängematte", "Florida-Rolf" und der ewige, empirisch völlig abwegige Vorwurf der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Dabei wird ja auch in diesem Artikel darauf hingewiesen, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands für die Eurozone eher zu hoch ist – was die Tabelle der Lohnstückkosten auch deutlich aufzeigt.

  2. Solaris Post sagt:

    Die aktuelle Entwicklung beschreibt Hans Jürgen Krysmanski als kapitalismusbasierte High-Tech-Refeudalisierung:"In dem Augenblick, in dem Reichtum nicht mehr durch Arbeit, durch Produktion, durch die Realwirtschaft erzeugt wird, kehren Abhängigkeitsverhältnisse in die Gesellschaft zurück, die nicht auf dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit beruhen, sondern auf Gewalt, Unterjochung, "Gottesgnadentum" usw. Ich rede ja nicht von schlichter Refeudalisierung. Wir können nicht wieder in den gleichen historischen Fluss steigen, die Spirale dreht sich weiter. Gleichwohl hat Jean Ziegler recht, wenn er von einer brutalen, massiven Refeudalisierung spricht,… Ich selbst spreche von einer "kapitalismusbasierten High-Tech-Refeudalisierung". Damit meine ich, dass die meisten geschaffenen Reichtümer nicht mehr über freie Märkte verteilt und umverteilt werden, sondern über riesige, feingesponnene und vor allem hochtechnisch unterfütterte Netze der Korruption, in denen Raubritter, Vasallen, Könige und Leibeigene des elektronischen Zeitalters sich auf gänzlich unökonomische, das heißt auf jeder wirklichen Ökonomie widersprechende Weise die Werte aneignen. Die von der Realwirtschaft abgekoppelten Finanztransaktionen sind alles andere, aber keine "Ökonomie". Und das geschieht zugleich – auch deshalb Refeudalisierung – zumindest Europa in den Kostümen und auf den Schlössern der alten Aristokratie, im höfischen Glanz von Bambi-Galas usw. […]Aber meiner Ansicht nach besteht die Chance für einen Systemwandel eher darin, die in der gegenwärtigen Krise durcheinandergerüttelten Funktionseliten, welche den Herrschaftskomplex ja in stillen Stunden ganz gut durchschauen (und auch in der ständigen Gefahr stehen, degradiert zu werden), dazu zu bewegen, über ihre eigene Rolle in diesem System nachzudenken. Sie kennen sich ja aus im Milieu. Sie können mit der vorhandenen Wissensmaschinerie umgehen. Sie könnten sich eigentlich in der großen Tradition der Aufklärung wiederfinden, die den Feudalismus zu Grabe trug. Irgendwie brauchen wir für eine demokratische, wissenschaftliche, planvolle Überwindung von Klassenherrschaft auch die Expertise dieser Funktionseliten. Und gerade mittels der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien könnten sie dazu beitragen, ein globales Netzwerk friedlicher Assoziationen, Projekte, Organisationen usw. aufzubauen, in dem, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. “Hans Jürgen Krysmanskihttp://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31762/1.htmlFazit: Bürgerrechtsakteure, Bewegungslinke und Mtgl. Der Partei DIE LINKE stehen vor den schwierigen Aufgaben:1. Die Auseinandersetzung mit US-Imperialismus, Militarismus, und unkontrollierter Medienmacht anzugehen.2. Anti-demokratische globale Machtzentren inner- und außerhalb der Regierungen, den Geldmachtkomplex, den Militärisch-Industriell-politischen Komplex (z.B EU-Rüstungsagentur) wahrzunehmen und zu erklären.3. Die gesicherten Fakten zu inszeniertem Terror in Europa und USA akzeptieren, Kriegsverbrechen der USA/Nato-Staaten (und Israels) anzuprangern.4. Tendenzen des corporate fascism zu untersuchen, zeitgenössischen Faschismus in seiner gesamten Breite zu analysieren.5. Eine Friedensforschung und aktive Aufklärungs- und Friedensarbeit (z.B. an Schulen) zu beginnen.Nähere Hinweise geben sicherlich gern Stefan Hartmann, DIE LINKE Sachsen, neugewähltes Mitglied des Parteivorstandes oder die BildungsbeauftragteHalina Wawzyniak.

  3. Traumschau sagt:

    Ja, genauso ist es!!
    Danke für diesen Artikel!!
    LG Traumschau

  4. Exzellenter Artikel, vielen Dank!

  5. Mike sagt:

    Schlechter Artikel, der einiges der globalen Finanzkrise mit dem speziellen Fall Griechenland in einen Topf wirft und kräftig verrührt.

    Das nach der globalen Finanzkrise versäumt wurde, den Finanzmärkten engere Fesseln anzulegen ist bekannt, aber leider auch der Tatsache geschuldet, dass eine Finanzmarktsteuer nur global wirken könnte. Und ich denke dass der Autor ganz genau weiß, das die USA und GB einer solchen Steuer niemals zustimmen würden.

    Zum Fall Griechenland. Es gab nie eine Mär vom faulen Griechen – außer vielleicht in der Blöd-Zeitung.
    Korruption und Vetternwirtschaft ist keine Mär. Ich weiß ja nicht wie viele Griechen der Autor kennt, oder wie oft er schon in Griechenland war. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch sagen, dass Griechenland von Korruption so durchsetzt ist wie kein anderes Land was ich kenne. Ohne Fakelaki geht da gar nicht. Steuern zahlen ist eher die Ausnahme als die Regel. Wer das nicht glaubt, kann gerne mal nach Griechenland fahren, irgendwo Essen gehen und danach einen Beleg verlangen…Viel Spaß!

    Ich bin mir sicher, wenn der Staat und die Verwaltung funktionieren würde, hätte die Krise Griechenland nicht so hart getroffen, wie sie es jetzt tut.

    • Traumschau sagt:

      Na, da sind Sie aber wieder reingefallen …
      Das Inflationsziel der EZB (1,9%) sollte über die Lohnpolitik erreicht werden:
      Jedes Land passt die Nominal-Löhne gesamtwirtschaftlich an die jeweils eigenen Produktivitätsfortschritte an – PLUS Inflationsziel. Ob ein Land korrupt ist oder nicht, wieviele Urlaubstage es hat, etc. ist unwichtig, denn das alles wird ja durch die Produktivität (in €/Std.) ausgedrückt. Wenn dadurch die Produktivität gering ausfällt, fallen eben die Löhne auch gering aus. Tatsächlich hatte GR vor der Finanzkrise eine HÖHERE Produktivität als Deutschland!! Allerdings haben die sich dann bei den Löhnen einen extra Schluck aus der Pulle gegönnt. Und DE hat sich viel zu wenig gegönnt! Die Folgen können wir ja besichtigen!
      Das ist der Kern der REAL-wirtschaftlichen Krise der Eurozone. Dass die Krisenpolitik unserer Eurokraten ausschließlich darauf gerichtet war, die Banken zu retten – bis heute, ist einer unglaublichen Dummheit und der m.E. totalen Korruption des politischen Systems geschuldet.
      Diese Krise war absolut vermeidbar!!

  6. Traumschau sagt:

    Korrektur:
    GR hatte keine höhere Produktivität, sondern höhere Produktivitätsfortschritte als DE .

    • Mike sagt:

      zum Glück kam dieser Nachtrag. Mir wollte ja gerade alles aus dem Gesicht fallen, als ich Ihren Kommentar gelesen habe.

      Ansonsten habe ich ja nichts Gegenteiliges behauptet. Nur das die Korruption in Griechenland eben kein Märchen ist – wie im Artikel behauptet – sondern Realität.

      Mit den bestehenden Spielregeln des Finanzmarktes war die Krise nicht vermeidbar – und die nächste wird es auch nicht sein. Blasen entstehen auch weiterhin. Aber vielleicht wird es nach der nächsten oder übernächsten Krise einen Lerneffekt in der bisher beratungsresistenten Politik geben. Ich geb die Hoffnung nicht auf…

  7. Hegon sagt:

    Aber es funktioniert doch! Die deutsche Konjunktur brummt. Das gut gebildete Bürgertum der EU Krisenländer wandert nach Deutschland aus. Das europäische Kapital flüchtet nach Deutschland zu Zinsätzen unter 0. Und die Alternative für die Krisenländer, tatsächlich aus der Euroraum auszutreten, wäre für diese Länder noch wesentlich schmerzlicher.
    Die internen Konsequenzen bei einen Euroaustritt müssen doch nur schmerzlicher sein, als die externen Auflagen durch die Troika, um ein Land richtig ausbluten zu lassen.
    Das ist zwar nicht sehr europäisch und solidarisch auch nicht, aber niemand hat Griechenland gezwungen dem Euro beizutreten. Im Gegensatz zu Deutschland, dessen Einführung die Bedingung zur Wiedervereinigung war. Und für diesen Zwang muss jetzt ein Land nach dem anderen bluten, mit Griechenland angefangen, zum Vorteil Deutschlands als größtes europäisches Land. Und wer raus will, wird sich durch die einsetzende Kapitalflucht freikaufen müssen. Deutschland profitiert in jedem Fall. Warum dann die Politik ändern?

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien