Tod von König Abdullah
Der Führer des IS ist tot

Der Führer des Islamischen Staates ist tot und der Westen trauert. Über die Bigotterie im Umgang mit islamistischem Terror.

König Abdullah

Foto: Tribes of the world / flickr.com / CC-BY-SA 2.0

Von Dominique Schmidt

Der Führer des Islamischen Staates ist tot und die westlichen Medien überschlagen sich in ihren Nachrufen mit Lobeshymnen. Eine Vaterfigur sei er für sein Volk gewesen, ein sanfter Reformer, ein Garant für Stabilität. Manch einer mag sich wundern, kämpft die westliche Wertegemeinschaft doch gerade in der Koalition der Willigen gegen die islamistische Bedrohung, die der Welt mit Hinrichtung, Folter und restriktiver Strafandrohung die Scharia aufzwingen will. Was also hat es mit den Lobeshymnen auf sich?

In der Tat ist es nicht Abu Bakr al-Baghdadi, der grausame Anführer islamistischer Terroristen im Namen eines islamischen Staates, dem die wohlwollenden Nachrufe aus Politik und Medien gelten. Schließlich hat der Führer des IS in Syrien und im Irak bislang auch keineswegs sein Ziel erreicht – nämlich die Errichtung eines Gottesstaats nach den Gesetzen der Scharia. Wer auf der Suche nach einem funktionierenden islamischen Staat ist, der muss den Blick wohl weiter gen Süden richten.

Hier, mitten auf der Arabischen Halbinsel,  angrenzend an den Irak, liegt das Staatsgebiet von Saudi-Arabien. Hier befinden sich Mekka und Medina, die heiligsten Stätten des Islam. Und hier finden die Anhänger eines radikalen Islam genau die Ziele verwirklicht, für die Al-Baghdadi und der IS so grausam wie medienwirksam kämpfen. Saudi-Arabien ist ein islamischer Gottesstaat, in dem das Gesetz der Scharia herrscht.

Politisch ist das Land eine autoritär geführte, absolutistische Monarchie – eine der letzten der Welt. Sein König ist nicht nur Staats- und Regierungschef, sondern auch geistliches Oberhaupt und der Durchsetzung der Scharia verpflichtet. Dass es sich dabei keineswegs um symbolische Gesetze handelt, zeigen Jahr für Jahr die Berichte von Menschenrechtsorganisationen. Für Freedom House ist Saudi-Arabien eines der autoritärsten Regime der Welt, im Demokratie-Rating des Economist rangiert das Land auf Platz 161 von 167. Amnesty International hat Saudi-Arabien wiederholt schwerste Menschenrechtsverstöße vorgeworfen, darunter die Inhaftierung gewaltloser politischer Oppositioneller, die Unterdrückung der Meinungs- und Religionsfreiheit, Haft ohne Anklage und Gerichtsverfahren, Auspeitschungen und die Anwendung der Todesstrafe etwa für Koranschändung, Gotteslästerung oder Verderbtheit. Was Hinrichtungen betrifft, rangiert Saudi-Arabien laut der Menschenrechtsorganisation auf Platz vier – allein zehn Verurteilte wurden dort seit Jahresbeginn öffentlich enthauptet.

Die Parallelen zu den Terroristen vom IS sind also keineswegs zufällig. Das ist auch der renommierten Washington Post nicht verborgen geblieben. Sie veröffentlichte vergangenen Mittwoch einen Tweet der Website Middle East Eye, der die Strafpraktiken von IS und Saudi-Arabien vergleicht. Das Ergebnis: Nahezu identisch.

Punishments_FINAL-01

Documents show IS & Saudi Arabia prescribe near-identical punishments for crimes http://t.co/ZoVVUqeHMn #ISIS #Saudi pic.twitter.com/kUEXqXCJiv — Middle East Eye (@MiddleEastEye) 20. Januar 2015

Da mag es nicht verwundern, dass Saudi-Arabien immer wieder der Unterstützung für den IS bezichtigt wird. Geradezu zynisch erscheint es, wenn Saudi-Arabien sich nun, wie nach den Anschlägen in Paris, öffentlich als Schutzwall gegen den islamistischen Terror positioniert.

Wie auch immer, der Mann, der für all das die Verantwortung trägt, ist nun tot. König Abdullah ibn Abd al-Aziz von Saudi-Arabien erlag vergangenen Freitag einem Lungenleiden. Die Reaktionen der westlichen Wertegemeinschaft sind angesichts der Realitäten an Doppelbödigkeit nicht zu überbieten. Die Staats- und Regierungschefs reisten, angeführt von Barack Obama, nahezu geschlossen zur Beileidsbekundung an. Angela Merkel, die sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos eine Erkältung eingehandelt hatte, ließ sich zur Beerdigung des absolutistischen Führers des Gottesstaates von Christian Wulff vertreten. Er stand in Riad Seite an Seite mit François Hollande und David Cameron. Und Bundespräsident Gauck ließ es sich nicht nehmen, in einem Beileidstelegramm den verstorbenen König für seine Bemühungen um Stabilität im arabischen Raum zu würdigen und den Wunsch nach einer weiteren Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen beider Länder auszudrücken. Schließlich war Deutschland schon in der Vergangenheit nicht zurückhaltend, wenn es um gute Kontakte zu Saudi-Arabien ging. So empfing Angela Merkel 2007 König Abdullah in Berlin, wo er sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug. Der damalige Außenminister Westerwelle ließ 2010 bei seiner Reise mit führenden Wirtschaftsvertretern nach Saudi-Arabien verlauten: „Saudi-Arabien ist ein ganz wichtiger Partner Deutschlands“. Und auch die massive Kritik von Menschenrechtsorganisationen brachte die Regierung Merkel nicht davon ab, 2013 die Lieferung von 200 Leopardpanzer an das saudische Regime zu genehmigen.

In unseren Medien bleibt all das allerdings unbeachtet. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, mit König Abdullah sei ein Heilsbringer vom Format eines Mahatma Gandhi verblichen. So beschreibt die ARD in einem herzerwärmenden Artikel König Abdullah als eine Vaterfigur, der für Stabilität steht, ein ehrlicher Mann, der Respekt verdient hat. Die BILD erklärt, „König Abdullah gehört zu den beliebtesten Monarchen in der Geschichte des islamischen Königreichs Saudi-Arabien.“ Und das ZDF unterbrach sein Programm gar für eine Sondersendung, in der der autokratische Führer des Gottesstaates, der „Menschenrechte anders interpretiert“, als eine integrative Persönlichkeit gelobt wurde. Eine Ehre, die bislang nicht vielen verstorbenen Führern islamischer Staaten zuteil wurde.

Wie sehr Politik und Medien hier die selbst propagierten Werte verbiegen müssen, um dem Volk den saudischen Partner als Gutmenschen zu verkaufen, wird umso deutlicher angesichts der Reaktionen auf die Anschläge von Paris. Während hier die Meinungsfreiheit zum höchsten Gut der westlichen Wertegemeinschaft hochstilisiert wird, kondoliert man mit König Abdullah ibn Abd al-Aziz einem Mann, in dessen Staat zur gleichen Zeit der Journalist Raif Badawi einen grausamen Tod auf Raten erleidet. Er wurde zu 1000 Peitschenhieben verurteilt, weil er sich über die saudische Scharia-Polizei lustig gemacht hatte. Natürlich ist das kein Einzelfall, weshalb die „Reporter ohne Grenzen“ Saudi-Arabiens verstorbenen König Abdullah ibn Abd al-Aziz in einer Reihe mit Muammar Gaddafi oder Kim Jong-il sahen. Aber wahrscheinlich sollten wir bei unseren Freunden in Saudi-Arabien nicht so genau hinschauen. Die eigentliche Gefahr für unsere westlichen Werte lauert schließlich weiter im Norden. Bei den Kämpfern des IS im Irak.

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Ein Kommentar zu "Tod von König Abdullah
Der Führer des IS ist tot"

  1. tag heute sagt:

    Hauptsache jemand ist einfach ein Mensch

    Wer die Begriffe beherrscht, beherrscht die Debatte
    *
    Ja, so ist das wohl mit Charlie. Gestern noch sollten wir die Opfer des jüngsten Anschlages betrauern und heute den Tod vom Bandesboss. Irre? Natürlich ist das irre, so irre, wie das Verhalten einer komplett besoffenen Partymeute. Keine Chance, die zur Vernuft zu bringen bis sie wieder nüchtern sind und dann ist ihnen alles peinlich. Aber nüchtern werden müssen die Berauschten zuerst einmal wollen und noch werden die Drogen kiloweise gereicht. Was wollen die später sagen? “Mir hat einer was Glas getan?”
    *
    Was ist der Ku Klux Klan? Richtig, keine schwarzen, sondern weiße Sturmhauben, oben spitz zulaufend. Die größte Terror-Organisation der Welt. Eine Horde christenfeindlicher Fanatiker, deren Zeichen das christliche Kreuz ist und von vermögenden Kreisen bezahlt werden, um von Hasspredigern aufgehetzt, Zivilisten zu terrorisieren.
    *
    Klingt das bekannt?
    *
    Wie würde es uns gefallen, wenn durch eine das Bild des Christentums prägende Medienmaschine der kapitalististischen Drahtzieher einer Art nordafrikanisch-asiatischer NATO permanent der gefälscht christliche Ku Klux Klan-Terrorismus durch Begriffe wie “radikal christlich”, “chistianistisch” oder “das radikale Christentum” mehr oder weniger offen mit uns als “die Christen” gleichgesetzt würde? Wenn der Klan-Terrorismus von einer sich als “östliche Wertegemeinschaft” bezeichnenden verlogenen Bagage als Allzweckwerkzeug weltweit in der Außen- und Innenpolitik eingesetzt würde, während jede Bombardierung wie auch immer westlich christlicher Länder mit der Bekämpfung des “radikalchristianistischen Terrorismus” begründet würde und das seit bereits fast vierzehn Jahren?
    *
    Während Medien vebreiten würden, die “Christianisten” des “politischen Christentums” seien sehr fromm und die kreuztragenden Klan-Terroristen nähmen die Bibel wörtlich, wäre es sicher nicht schwer, besonders das alte Testament der Bibel als Grundlage einer terroristischen Religion des Christentums darzustellen. Dazu noch der historische Verweis auf die dann wohl “radikalchristianistisch” genannten Kreuzfahrerterroristen und die Angst unter den in dieser hypothetischen Umkehrung atomar bewaffneten Muslimen, vor einer angeblichen “Bedrohung durch den christlichen Terroismus” wäre perfekt. Wer würde unseren menschlichen Einwand hören, dass doch fast alle Opfer des angeblich christlichen Klan-Terrorismus Christen wären? Wie im Moment umgekehrt den Einwand der echten Muslime: niemand.
    *
    Diese nordafrikanisch-asiatische NATO und deren oligarchische Drahtzieher würden bei uns alle großen Medien lenken und uns alle zu Verdächtigen erklären, weil wir ja irgendwie alle Christen seien, die von den andauernden Bombardierungen irgendwie zu “Christianisten” radikalisiert sein müssten und damit zu “potenziellen christianistischen Klan-Terroristen”.
    *
    Soweit der Versuch, sich in die Lage der angegriffenen 1700 Millionen echten Muslime hineinzuversetzen und weg mit dem Huntington-Clash of the Civilisations-Quatsch. Allein Syrien ist der seit über zweitausend Jahren bestehende Beweis, dass wirkliches Multikulti funktioniert, wenn erstens “Hauptsache jemand ist einfach ein Mensch” im Vordergrund steht, zweitens nicht Echtes durch Fälschung ersetzt wird und drittens keine geheimdienstlich terroristische Einmischung einer gewissen westlichen Wertegemeinschaft und ihren verbündeten saudisch-wahhabitischen Terror-Diktatoren stattfindet.
    *
    Die vom Angloimperialismus im 19. Jahrhundert zur Spaltung der islamischen Einheit schon damals in den Regionen überall die Zivilbevölkerung abschlachtende, mit genügend Propaganda, Geld und Waffen aufgebrachte Islamfälschung des saudisch-wahhabitischen Terrorismus, deren Schutzmacht heute die USA sind, hat mit dem Islam ganz offensichtlich soviel zu tun, wie der Terrorismus des Klu Klux Klan mit echtem Christentum oder der Missbrauch der Swastika durch den Terrorismus der Nazifaschisten mit echtem Buddhismus. Das ist der zentrale Punkt und der Schlüssel zum Verständnis. Der von Washingtons Westen als terroristische Islamfälschung aufrechterhaltene Wahhabismus wird von allen vier für die Auslegung des islamischen Koran zuständigen Theologien als islamfeindliche Irrlehre abgelehnt.[1]
    *
    Was demnach jetzt passiert ist keine zutreffende Vorhersage aus einem über zwanzig Jahre alten Buch eines einzelnen Professors, sondern war bereits damals das Verkünden eines Programms, das klarem Weltherrschaftsstreben folgend umgesetzt wird, um Menschen zuerst voneinander zu trennen und dann sich untereinander in Hass ermordend gegeneinanderzuhetzen, aus niedersten Beweggründen der Herrsch- und Habsucht von Angst und Ehrgeiz zerfressener, sehr mächtiger oligarchischer Kreise im Hintergrund.
    *
    Die mit ihren Petrodollars weltweit den angeblich von Washingtons Westen bekämpften, nicht “islamistischen” oder gar “islamischen”, sondern saudisch-wahhabitischen Terrorismus verbreitende Saud-Diktatur, ist in Wahrheit mit Washingtons Westen engstens verbündet, das hat diese die Verbrechen deckende Beschönigungspropaganda zum Saud-Diktatorwechsel erneut deutlich werden lassen. Der offenbar damit von Washingtons NATO-Westen durch seine wahhabitischen Verbündeten selbst verursachte wahhabitische Terrorismus wird als Waffe sowohl zur Machtausweitung gegen die Bevölkerungen islamisch geprägter Länder zur Destabilisierung, als auch gegen die eigenen Völker eingesetzt, die unter ständiger Spannung gehalten, jede Falschdarstellung, jedes Kriegsverbrechen, jede Menschenrechtsverletzung und jedes Verschwinden in Jahrhunderten schwer erkämpfter demokratischer Rechte akzeptieren sollen, wenn dies, so absurd dies auch sei, eine Besserung ihrer Lage auch nur versprechen könnte.
    *
    Vermeintlich christliche Hogesa oder Pegida gegen vermeintlich islamische Wahhabiten oder Salafisten ist hier die ersten Versuche einer ablenkenden gesellschaftspolitischen Brandstiftung. Beide sind, wie von der herrschenden Oligarchie gewünscht, leicht zu lenken, menschenhasserisch, gewalttätig de facto rechtsextrem-demokratiefeindlich und die allem zugrunde liegenden Kapitalverhältnisse werden auch weiterhin nicht hinterfragt.
    *
    Wer die Begriffe beherrscht, beherrscht die Debatte. Wir sollten darin beständig sein, die richtigen Begriffe zu verwenden und keinen der über die NATO-Medien befohlenen Vorgaben folgen. Hauptsache jemand ist einfach ein Mensch.
    *
    [1] https://www.youtube.com/watch?v=x3zEBwqAEPk
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    https://www.youtube.com/watch?v=6s0rIAvQTuY
    *

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