Sterbehilfe
Moralinsaure Selbstüberschätzung

Vor drei Tagen wurde sie im Bundestag debattiert. Der Legalisierung aktiver Sterbehilfe wird das aufgrund der Ignoranz ihrer Gegner dennoch nicht zum Durchbruch verhelfen, meint Florian Sander.

Sterbehilfe

Foto: Joachim Schlosser/ flickr.com / CC BY-SA 2.0

Von Florian Sander

Sowohl in Deutschland wie auch anderswo braucht es immer wieder prominente, mutige Menschen, die mit ihrem Anliegen, aufgrund einer schweren Erkrankung selbstbestimmt ihrem Leben ein Ende setzen zu dürfen, an die Öffentlichkeit gehen, um das Thema Sterbehilfe zurück in den politischen Diskurs zu holen (jüngster Fall: die Amerikanerin Brittany Maynard, die an einem unheilbaren Hirntumor litt und kürzlich Suizid beging).

Nachdem dieses wichtige da prinzipielle Thema lange stiefmütterlich behandelt wurde, kam es in der jüngsten Zeit wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Zuerst durch das aktuell in den deutschen Kinos laufende Drama “Hin und weg”, danach durch eine emotionale und kontroverse Debatte im Bundestag. Lange wurde nicht mehr so ausgiebig über die Sterbehilfe diskutiert.

Dennoch muss man attestieren, dass die sich stets nach dem gleichen Muster wiederholenden Debatten dazu bislang ohne wirklich positiven Effekt geblieben sind. Das ist zumeist das Resultat dreister Ignoranz. Ignoranz, die entweder aus irrationaler und im Kern doppelmoralischer christlicher Dogmatik herrührt, oder aber aus dem unter Medizinern gelegentlich verbreiteten Selbstbild – um nicht zu sagen: der Größenwahnvorstellung – des Halbgottes in Weiß, dessen (palliative) Schulmedizin alle Probleme, mit denen Schwerkranke konfrontiert sind, zu lösen vermag.

Doch zunächst zur ersteren Gruppe. So musste man kurze Zeit nach Maynards Tod tatsächlich eine „Kritik“ des Vatikans lesen, im Zuge derer ein sicherlich mitten im Leben stehender kirchlicher Hirte äußerte, die todkranke Amerikanerin habe damit einen Fehler begangen. Einen Vorgang, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Ein weltabgewandter, vermutlich recht gesunder, im vatikanischen Mikrokosmos lebender Priester äußert sich gegenüber der Weltöffentlichkeit mit negativen moralischen Urteilsbegründungen über eine Frau, die in ihrer Verzweiflung über ein nicht selbst gewähltes Schicksal eine mutige Entscheidung traf, um sich weiteres, noch schlimmeres Leid zu ersparen. Ein Vorgang von so epochaler, universaler Dreistigkeit, dass er so manche Doppelmoralismen aus der hiesigen Tagespolitik locker in den Schatten stellt. Und ein Vorgang, der zeigt, dass die Katholische Kirche letztlich nichts eingebüßt hat von ihrer historisch, ja weltgeschichtlich belegten Rolle einer globalen Organisation, die eher zum Schaden von Menschen agiert als zu ihrem Wohle.

Denn: Die deutschen Kollegen des vatikanischen Hirten machen derweil hierzulande weiter. In öffentlichen Diskursen, aber auch hinter verschlossenen Türen, in Ethikkommissionen und ähnlichen Gremien, wirken die stets – unverständlicherweise – als Moralbotschafter berufenen Priester kontinuierlich darauf hin, das Leiden schwerkranker Menschen über das Maß hinaus zu verlängern, das die Betroffenen selbst zu akzeptieren bereit sind. Jeden Tag erleiden nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt Menschen unerträgliche Schmerzen und teilweise, wie unten noch zu zeigen sein wird, auch Leid anderer Art, weil Kirchenvertreter in mächtige, politische und (schein-)ethische Gremien berufen werden und dort ihr unheilvolles Wirken weiter treiben, das die Katholische Kirche in hunderten von Jahren zu praktizieren gelernt hat.

Doch auch die Evangelische Kirche ist hier kein größerer Hoffnungsträger: Deren frühere Bischöfin und heute noch immer umtriebige Lautsprecherin Margot Käßmann etwa – zuletzt mit lebensnahen Vorschlägen wie „Sitzstreik gegen den IS“ aufgefallen – lehnt die Legalisierung aktiver Sterbehilfe ebenso entschieden ab wie die katholischen Kollegen. Gleiches gilt für die anderen beiden großen monotheistischen Glaubensrichtungen Islam und Judentum. Wer eine organisierte weltanschauliche Vertretung für das Anliegen der aktiven Sterbehilfe sucht, muss sich an engagierte Vorfeld-Organisationen wie etwa den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) wenden.

Doch die Auseinandersetzung mit religiösen Dogmatikern bildet hierbei nur eine von mehreren „Fronten“ der Debatte. Eine andere, vielleicht noch problematischere, da in einer zunehmend areligiösen Gesellschaft einflussreichere Konfliktlinie ist die, die sich zwischen Sterbehilfe-Befürwortern einerseits und Medizinern andererseits befindet. So ist nicht zuletzt von Palliativmedizinern häufig zu hören, es müssten nur die Palliativforschung und die palliativmedizinischen Strukturen ausgebaut werden, um dem Leid verzweifelter Betroffener entgegentreten zu können.

Nun soll denjenigen Medizinern, die sich gegen die Legalisierung aktiver Sterbehilfe aussprechen, an dieser Stelle nicht pauschal der gute Wille abgesprochen werden, zumal vermutlich viele Deutsche auch Beispiele etwa von verstorbenen Verwandten oder nahen Bekannten kennen, die mit hochwertiger Palliativmedizin einerseits und zudem hervorragender Hospizarbeit andererseits ein Lebensende erlebt haben, das von Würde geprägt war und ohne unerträgliche Schmerzen und Einsamkeit auskam. Derartige, wichtige Strukturen unseres Gesundheitssystems sollen und dürfen nicht angetastet werden. Ein Ausbau ist hier ganz ohne Zweifel wünschenswert.

Dennoch ist dies nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn einerseits hat die Forderung von Palliativmedizinern, seien sie nun behandelnde Ärzte oder Forscher, palliativmedizinische Forschung und Strukturen auszubauen, immer auch ein „Geschmäckle“: So bedeutet eine Erfüllung dieser Forderung schließlich auch ein Mehr an Forschungsgeldern, an betreffenden Arbeitsplätzen, ggf. an Einkommen, an gesellschaftlicher Anerkennung und Prestige. Es gibt also vielfältige Interessen seitens vieler Mediziner, hier für einen Ausbau einzutreten, die mit altruistischen Motiven und dem Wohl schwerkranker Patienten mitunter herzlich wenig zu tun haben. Dieses Faktum gilt es im kritischen Blick zu behalten.

Gleiches gilt in diesem Kontext auch für eine weitaus einfachere und wohl noch verbreitere Erscheinung: Der Selbstüberschätzung in Verbindung mit einem – in so gut wie jeder Berufsgruppe auftretendem – Fachidiotentum, im Zuge dessen Ärzte glauben, mit den Mitteln der Naturwissenschaft jegliches Problem, das sterbewillige Schwerkranke beschäftigt, beseitigen zu können. Ein Glaube, der in seiner Weltfremdheit und Weltabgewandtheit demjenigen der religiösen Dogmatiker in nichts nachsteht, der jedoch stets unter dem Bonus des rational-professionellen Backgrounds firmiert und dadurch für das Anliegen aktiver Sterbehilfe weitaus gefährlicher ist als das jahrtausendealte, aber weitläufig entzauberte Moralin-Gift der Kirchenvertreter.

Und so gefährlich die Überzeugung, mit Palliativmedizin alle Bedenken zerstreuen zu können, ist, so falsch ist sie auch. Denn nicht nur gibt es Erkrankungen, für die es – auch und gerade im Endstadium – nach wie vor keine genügend wirksame Schmerzbehandlung gibt (hier würde das Argument, man müsse nur die Forschung vorantreiben, ja noch halbwegs greifen!).

Viele Erkrankungen sind auch aufgrund ganz anderer Aspekte als nur der Schmerzen für die Betroffenen unerträglich: Man denke etwa an äußere Entstellungen oder auch gravierende Behinderungen (hohe Lähmungen, Locked-In-Syndrom, gravierende Sinneseinschränkungen, Kommunikationsunfähigkeit etc.), die zu teils extremer sozialer Isolation und / oder Hilflosigkeit, massiver Pflegebedürftigkeit und zumindest seitens der Betroffenen empfundener Entwürdigung beitragen und den Erkrankten das Leben weniger in körperlicher, sondern in psychosozialer Hinsicht unerträglich machen. Hier können psychotherapeutische Maßnahmen zwar mitunter helfen – und man sollte auch hier keinen entsprechenden Versuch auslassen – aber sie tun es nicht zwingend.

Nicht selten wird die Situation von Betroffenen – gerade, wenn sie zuvor ein anderes Leben kannten, also womöglich den direkten Kontrast dazu erlebt haben – als schlicht aussichtslos erlebt. Und dies eben nicht zwingend aus physischen Gründen, sondern aufgrund sozialer Folgeerscheinungen, im Zuge derer sich aus Isolation und Einsamkeit heraus der Wunsch entwickelt, einem solchen Dasein, in dem von Selbstbestimmung, Würde und – für Menschen lebensnotwendiger! – Interaktion kaum noch die Rede sein kann, zu entkommen.

Die Skizzierung derartiger Szenarien soll nicht die Aussage mit sich bringen, dass schwere und / oder stark einschränkende Erkrankungen oder Behinderungen in jedem Falle und immer derartige Folgen mit sich bringen. Oft genug finden betroffene Menschen durchaus Wege, sich mit ihrem Schicksal zu arrangieren. Der Respekt gegenüber dieser Stärke und diesem Resultat selbstbestimmten Entscheidens sollte für die ganze Gesellschaft ebenso selbstverständlich und klar sein.

Doch: Es gibt eben auch die andere Seite. Eine Seite, die weit über verengte Debatten, die sich bloß um schmerzstillende Medikamente drehen, hinausgeht. Und eine Seite, bezüglich derer man sich hüten sollte, sich ein vorschnelles, allzu moralingetränktes Urteil anzumaßen – sei es nun geboren aus medizinischer Selbstüberschätzung oder aus der Weltfremdheit monotheistisch-religiöser Dogmatik.

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8 Kommentare zu "Sterbehilfe
Moralinsaure Selbstüberschätzung"

  1. Weshalb sprechen Sie von aktiver Sterbehilfe? Das wird von keinem gefordert.

    Gewünscht wird, dass die derzeitige rechtliche Situation beibehalten wird: sprich: das Beihilfe zum Suizid straffrei bleibt.

  2. Infoliner sagt:

    Florian Sander, hier zeigst Du zwar ganz bestimmte Richtungen, die nicht zu Lösungen führen, aber die grundlegenden Fragen liegen doch ganz woanders:

    Welcher Sinn liegt im Schmerz? Welche Verantwortung trägt der Einzelne für sein Leben? Wozu dient der Tod und was ist der Sinn des Lebens? Wenn ich mal zusammenfasse, steht immer dahinter: Was ist der Mensch?

    Auf dieser Ebene muß geschaut werden und keinesfalls auf nachgeordneten juristischen oder moralischen Ebenen, die ja nur Antworten auf die obigen Fragen spiegeln können. Deine Ausführungen zeigen, wie weit viele Menschen heute von sich selbst entfernt sind und als Gefangene irgendwelcher Vorstellungen oder Glaubenssätze dahinleben.

    • Dieser Artikel ist ein politischer Artikel. Ich bin kein Priester und auch kein religiöser Prophet. Ich habe nicht den Anspruch, hier philosophische, theologische oder esoterische Erörterungen über den Sinn des Lebens anzustellen. Das ist auch nicht meine Aufgabe, da diesen m. E. jeder für sich selbst entdecken sollte.

      Texte, in denen allen Ernstes der Anspruch erhoben wird, den Sinn des Lebens oder gar noch den von Schmerzen herausgefunden zu haben, werden Sie von mir auch in Zukunft nicht lesen. Tut mir leid, Sie da zu enttäuschen. Ich bleibe wohl auf ewig “von mir selbst entfernt” und lebe weiterhin “als Gefangener dahin”. Aber stellen Sie sich vor: Irgendwie geht’s mir damit trotzdem ganz gut.

  3. Habnix sagt:

    Warum auf einmal jetzt über Sterbehilfe debattieren gibt es nicht größere Sorgen ?

    Die Debatte im Bundestag um die Sterbehilfe, eine Scheinheilige Debatte in der es darum geht wie man ein Euthanasie Program durch bekommt, ohne das die Politik die Verantwortung über das Vernichtungslager der BRD übernehmen muss und ein zweites Nürnberg dadurch vermieden wird ?

    Vorher den Rahmen so gesteckt, das man bei den alten Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäuser spart und die sich dann dadurch quälen bis sie um eine Sterbehilfe betteln.

    Diese aus meiner Sicht schaurige und zynische Spiel mit alten und kranken Menschen um scheinbar unnütze Esser los zu werden,wird aufgehen,denn die Masse blickt es nicht.

    • Mein Tipp: Schauen Sie sich die Bundestagsdebatte an und nehmen Sie die dort artikulierten Positionen zur Kenntnis, bevor Sie anonym polemische und völlig unangebrachte und unpassende Nazi-Vergleiche im Internet posten. Danach können Sie dann auch darüber spekulieren, was “die Masse blickt” und was nicht. Ansonsten wirkt das etwas absurd.

  4. Dieter sagt:

    Wer sich umbringen will soll das selber bewerkstelligen. Andere aufzufordern dies zu tun ist moralisch nicht zu rechtfertigen. Besonders dann nicht wenn es auch noch straffrei wäre.
    Menschen streben nicht nach dem Tod, sondern nach einem Leben ohne Leid.
    Wer mehr für sich will muß sich um seinen Tod selbst bemühen dass hat am Ende auch etwas mit Ehre und Stolz zu tun.
    Wer das nicht mehr hinbekommt, dem wird im Leid geholfen aber getötet wird er nicht. Passives Herbeiführen des Todes also das Abstellen von Geräten etc. auf Verlangen ist das Limit alles andere ist aktives Töten. Das darf nur von einem selbst ausgehen. Diese Verantwortung ist unteilbar.

    • Ich habe schon lange keinen Kommentar mehr gelesen, der von soviel Ignoranz gekennzeichnet ist. Angesichts der Tatsache, dass gerade die Menschen, um die es bei der Frage von Sterbehilfe geht, ja eben körperlich gar nicht (mehr) imstande sind, einen Suizid “selber zu bewerkstelligen”, ist Ihr Kommentar nur als zynisch zu bewerten. Er steht Marie Antoinettes “Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen” somit wirklich in nichts nach.

      Dass Sie diese Einstellung dann noch als “moralisch” etikettieren, zeigt zum wiederholten Male, wie willkürlich, beliebig und anmaßend moralistische Argumentation ist und bestätigt mich in der Auffassung, dass privates Moralempfinden niemals zur Grundlage politischer Entscheidung gemacht werden sollte.

      Gleiches gilt für politisch so luftleere Begriffe wie “Stolz” und “Ehre”, die in Bezug auf die hier diskutierten Fälle einfach nicht greifen, da die Betreffenden ja selber keine Möglichkeit haben, ihrem Empfinden nachzukommen. Ich frage mich, ob Sie das selber zur Kenntnis nehmen und übergehen – dann wäre es wie gesagt zutiefst zynisch – oder ob Sie schlicht und einfach nicht verstanden haben, worum es geht. Das wiederum wäre traurig.

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