Staatsrecht
Zwei Präsidenten, ein Barde und ein Gericht

Wie sich die höchsten Repräsentanten des Gemeinwesens auf formiertem Kreuzzug gegen die Linkspartei begeben.

Wolf Biermann

Foto: Marco Maas / flickr.com / CC BY SA 2.0

Von Rüdiger Grothues

Anfangs erschien es wie ein Traum, dieses Bild und der Klang eines Saiteninstruments, gezupft im Hohen Hause des Bundestages, als ob der leibhaftige François Villon das Plenum gestürmt, seine Laute aus dem dreckigen Sack gezogen habe und nun in der Volksvertretung der Bevölkerung zu ihrem Recht verhelfen wolle, indem er zum Klang der Laute seine Klage gegen die Volksvertreter vorbringt, ein Rundumschlag, was sonst.

Aber es sollte nicht sein, es handelte sich um Wolf Biermann, und dieser hatte nicht das Plenum gestürmt, sondern legte auf Einladung des Hausherrn Norbert Lammert einen von äußerster Larmoyanz, Hybris, aber auch wirrer Rede geprägten Auftritt hin. Der selbsternannte Drachentöter beschimpfte die Bundestagsfraktion der Linken als “elenden Rest der Drachenbrut” und stellte, als Titan, den Kampf gegen die Brut nochmals gönnerhaft ein mit dem Zuruf “Natürlich, ihr wollt lieber zersungen werden; ich habe euch zersungen mit den Liedern, als ihr noch an der Macht wart.” Nicht nur an dieser Stelle wurde recht munter applaudiert. Später drückten Kanzlerin und Vizekanzler als Spitzen der Großen Koalition durch wohlwollenden Kontakt mit dem Volksvertretungsbespaßer ihre Zustimmung zu dessen Performance aus.

Der Auftritt von Biermann wird noch viele Kommentierungen nach sich ziehen, und es ist ungewiss, ob seiner unsäglichen Inszenierung tatsächlich Raum gegeben oder diese vielleicht eher ignoriert werden sollte.

Nicht ignoriert werden sollte aber, neben dem Verhalten des Parlaments, die Rolle von Norbert Lammert. Der Bundestagspräsident hat den Liedermacher entgegen üblichen Gepflogenheiten zur Gedenkfeier eingeladen, er hat ihn entgegen der Geschäftsordnung gewähren lassen, und dies als zweiter Repräsentant des Staates, also unseres Gemeinwesens.

Damit wiederum begeben wir uns, Walther von der Vogelweide und François Villon mögen es verzeihen, auf das Gebiet des Staatsrechts. Und dort findet sich, etwas überkommen auch als Staatsoberhaupt tituliert, der Bundespräsident als Verfassungs- und oberstes Bundesorgan, protokollarisch der erste Repräsentant des Staates. Dieser nun hat kürzlich sein Unbehagen darüber ausgesprochen, einen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow als Mitglied der Linkspartei in Thüringen zu akzeptieren.

Ermutigt haben dürfte ihn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni dieses Jahres zu der Frage, ob ihm die Titulierung von Fans und Mitgliedern der NPD als “Spinner” gestattet sei. Die NPD als Antragstellerin in dem Organstreitverfahren machte geltend, als Partei in ihren Rechten aus Art. 21 und 38 GG verletzt zu sein. Dem Bundespräsident stehe es als “pouvoir neutre” des Grundgesetzes nicht zu, Warnungen gegen Parteien auszusprechen.

Das Gericht hat dem Verfassungsorgan Bundespräsident jedoch einen weiten Gestaltungsraum eingeräumt, auf von ihm ausgemachte Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen. Eine Grenze sieht das Gericht für die “Äußerungsbefugnis” dort, wo der Bundespräsident willkürlich, unter Vernachlässigung seiner Integrationsaufgabe (das erinnert an Johannes Rau: Versöhnen statt spalten) willkürlich Partei ergreift. Im Falle der NPD-Mitglieder scheint es nachvollziehbar, auf der Grundlage furchtbarer geschichtlicher Erfahrungen die vom äußeren rechten Rand ausgehenden Gefahren zu benennen, und sei es auch salopp.

Was die Attacke von Gauck gegen die Linke als Partei in Verbindung mit der Wahl in Thüringen angeht, hätte es geholfen, eine weitere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nämlich seinen Beschluss vom vorigen Jahr auf die Beschwerde des designierten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow hin zu berücksichtigen, der, mit anderen Parteimitgliedern, unter Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz stand: Dort wird dem Abgeordneten nicht nur Demokratiefähigkeit bescheinigt, sondern in dieser Eigenschaft auch positiver Einfluss auf seine Partei, die nicht als starres Gebilde, sondern als, eigentlich logisch, Organisation mit verschiedenen Strömungen und Einflüssen bewertet wird. Die Einschätzung des Abgeordneten Ramelow trifft sich mit der häufig geäußerten Einschätzung, dieser bewege sich mit seinen Mitstreitern im Bereich der linken Sozialdemokratie. Im Gegensatz dazu stellt Gauck, schon durch die Formulierung gekennzeichnet, eine ganz eigene Wahrnehmung in den Vordergrund, ein Unbehagen, das von den Erwägungen des Gerichts wegführt, denn er spricht ja Ramelow in Verbindung mit der Partei die Demokratiefähigkeit ab.

Da die Stoßrichtung aber stimmt, nämlich die gegen links, fehlt es nicht an Beifall: In der aktuellen Zeit attestiert Bernd Ulrich auf der Titelseite dem Staatsoberhaupt aus Rostock, positiv gestimmt, er sei “krumm und schief, um das Mindeste zu sagen”. Und dies muss ja mal gesagt werden dürfen gegen die, so heißt es wenig später, “Politspießer”, die vielleicht an so etwas wie “parteipolitische[n] Neutralität” dächten – so schreiben sie, die journalistischen Freaks, Outlaws und Spießerfeinde, zumindest, wenn die altbekannte Stoßrichtung stimmt.

Und hier, protokollarisch befinden wir uns weiterhin auf höchster Ebene, kommt nun die Stunde des Bundestagspräsidenten, also des noch vor der Bundeskanzlerin zweithöchsten Repräsentanten dieses Staates, um zu übernehmen –  Hauptsache, die Stoßrichtung ist deckungsgleich. Der Bundestagspräsident also nutzte die Planung der Feierstunde zum Jubiläum des Mauerfalls, um als in der Sache für das Musikrahmenprogramm Zuständiger Wolfgang Biermann einzuladen, beiläufig, spät durchsickernd, von der Presse dann erwartungsvoll betrachtet, denn alle wissen, was von Biermann zu erwarten ist in Bezug auf die Linkspartei: “Kommt es zum Eklat?” (SPON).

Der Sänger tat dann bei seinem Auftritt dem, der ihn eingeladen hat, zunächst keinen Gefallen, denn er selbst legte die Karten auf den Tisch: er wisse, dass der Einladende als “Ironiker” hoffe, “dass ich den Linken ein paar Ohrfeigen verpasse”, fügte aber scheinheilig hinzu, dass er das nicht “liefern” könne, um genau das im Anschluss zu tun.

Der Hausherr des Plenums wiederum wies den Liedermacher unter Hinweis auf die Geschäftsordnung mit einem Lächeln und unter Gelächter und Applaus vieler Abgeordneter darauf hin, dass er kein Rederecht habe und nur “zum Singen eingeladen” sei, auch dies scheinheilig, denn er ließ den von ihm Eingeladenen dann ungehindert das Erwartungsgemäße “liefern”.

Norbert Lammert ist nun aber nicht der Moderator einer Abendshow, der mit launigen Kommentaren versucht, einen obskuren Auftritt schönzureden. Vielmehr hat er als Hausherr des Parlaments die Aufgabe, so auch die Formulierung der hauseigenen, der Bundestag-Website, “die Würde des Hauses und die Rechte seiner Mitglieder” zu wahren, und das gilt natürlich für alle Abgeordneten gleichermaßen. In gewisser Weise kann der Bundestagspräsident, wie der des Bundesrats, in seiner Amtsstellung und als möglicher Vertreter des Bundespräsidenten auch als Verfassungsorgan angesehen werden. Als Conferencier kommt er nicht in Betracht.

François Villon würde zum allgemeinen Rundumschlag ansetzen und etwas von “Lästerzungen” murmeln, ansonsten gilt: Das jeweilige Staats- und Verfassungsrecht und die Einschätzungen des für die Verfassungsbelange zuständigen obersten Gerichts sind einen ersten und auch zweiten und dritten Blick wert. Umso schlimmer ist es, wenn oberste Repräsentanten, die nicht müde werden, sich in hohem Ton darauf zu berufen, diese Grundsätze buchstäblich mit Füßen treten.

Am Ende des Biermann-Auftritts bemerkte der Kommentator des übertragenden Senders Phoenix, dass dem Liedermacher der angestammte Sitz des Wehrbeauftragten zugewiesen worden sei und fragte sich, ob das “wohl eine glückliche Stuhl-Wahl” gewesen sei. Daran lässt sich die weitergehende Frage anschließen, was in dem ganzen Theaterstück überhaupt als glückliche Wahl angesehen werden kann.

Der Artikel erschien auch auf der Freitag

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