Neomarxismus
Kollaps des Kaputtalismus

Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty, Paul Krugman & Co. wollen den Kapitalismus vor sich selbst retten. Doch auch die Stimmen linker Ökonomen werden lauter, die daran zweifeln, dass das überhaupt noch möglich ist.

Foto: waltjabsco/ flickr.com/ CC BY-NC-ND 2.0

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Von Robert Misik

Wenn ein Buch so einschlägt wie Thomas Pikettys monumentales “Capital in the 21st Century”, dann liegt das meist nicht allein an seiner Qualität, sondern daran, dass “die Welt” offenbar darauf gewartet hat, was präziser formuliert heißt: dass das diskursive Feld bereitet ist, ohne dem es seine Wirkung nicht entfalten könnte. Dieses Buch, so pries Nobelpreisträger Paul Krugman, werde “die Wirtschaftswissenschaft verändern”. Und der linksliberale Essayist Will Hutton sekundiert im Guardian: “Man muss in die 1970er zu Milton Friedman zurückgehen, um einen Wirtschaftswissenschaftler zu finden, der einen solchen Einfluss ausübte.”

Dass möglichst ungeregelte Märkte und ein Staat, der sich aus dem Wirtschaftsleben weitgehend heraushält, zu immerwährender Prosperität führen würden, das glauben heute nur mehr weltfremde Ideologen. Die Politik folgt trotzdem, und sei es nur aus Gewohnheit, den Rezepten dieser Ideologie, was alles nur noch schlimmer macht. Gerade eben rutscht die Eurozone das dritte Mal in den vergangenen sechs Jahren in eine Rezession – sogar Krisengewinnler Deutschland ist vergangenes Quartal wieder auf Wachstum Null abgestürzt. “Erholungsphasen” waren ohnehin nur statistische Erscheinungen und dauerten stets nur wenige Monate.

Vor allem auf grundsätzlicherer, intellektueller Ebene hat der Wirtschaftsliberalismus über Krisenphasen schlicht gar nichts zu sagen, erklärt die gesamte neoklassische Ökonomie doch mit tausenden Modellen, warum Märkte stets zum Gleichgewicht tendieren, ohne sagen zu können, warum sie je aus dem Gleichgewicht geraten könnten.

Der Keynesianismus – und der Neokeynesianismus à la Krugman und Piketty – erklärt genau das, oder exakter: er erklärt, warum manche Märkte justament aus dem Gleichgewicht geraten, wenn man sie auf sich alleine gestellt lässt (vor allem Märkte, die eigentlich keine Märkte sind, wie Kapital”märkte” und Arbeits”märkte”). Und er hat auch ein paar Rezepte parat, wie man kapitalistische Marktwirtschaften krisenfester machen könnte.

Aber was tut sich eigentlich jenseits und links von diesem halben keynesianischen Mainstream?

In dessen Windschatten gewinnen auch radikalere Kritiker an Boden, die die berechtigte Frage aufwerfen, ob die keynesianische Option heute überhaupt noch funktionieren würde. Und es mag verwundern oder nicht – die lebendigste und klügste neomarxistische Szene gibt es derzeit in den USA. Wobei diese Szene in zwei Gruppen zerfällt: In ältere marxistische Wissenschaftler wie den Wirtschaftsgeographen David Harvey, dessen aktualisierte Marx-Lektüre beispielsweise auf Youtube schon mehr als eine Viertelmillion Zuseher fand und der allein in den vergangenen sechs Jahren sechs Bücher herausgebracht hat; und in junge, hippe Linke um die linke Zeitschrift “Jacobin” und Kulturjournale wie “n+1”, ein Kreis, deren prominentester Vertreter etwa der Starliterat Benjamin Kunkel ist, der vor zehn Jahren mit seinem Roman “Unentschlossen” beinahe über Nacht zur literarischen Sensation wurde. Danach hat er sich zehn Jahre lang ein akkurates Fachwissen in politischer Philosophie und Wirtschaftswissenschaften zusammenstudiert. Vor allem Kunkel und Freunden ist zu verdanken, dass in den USA jetzt bereits vom “Comeback von Marx” (salon.com) geredet wird.

In ein paar wesentlichen Grundzügen sind sich die neokeynesianische und die “marxoide” Deutung (die Protagonisten nennen sich absichtlich “marxisch” und nicht “marxistisch”, was sich von orthodoxer Buchstabengläubigkeit absetzt) einig: Im Grunde ist der globale Kapitalismus seit drei Jahrzehnten in einer Spirale chronischer Krisenhaftigkeit. Wachstum gibt es nur mehr in geringfügigen Dosen, selbst in Phasen künstlicher, schuldengetriebener Booms werden die Wachstumsraten der Vergangenheit nicht mehr erreicht. Möglicherweise gibt es Wachstum de fakto längst schon nicht, sondern nur als verzerrte, minimale statistische Messgröße. Weil die Profitraten aus der Vergangenheit im Industriekapitalismus Vergangenheit sind, schlug die Stunde der Finanzbranche, die spekulative Hochrenditen verspricht, die in der Realwirtschaft nicht mehr erreicht werden können. Mit allgemeiner Kreditaufnahme wird künstliche Nachfrage geschaffen, sodass die Schuldenberge immer weiter ansteigen. Heute haben die meisten Volkswirtschaften des Westens – zählt man Schulden der Staaten, der privaten Haushalte, der Finanzunternehmen und aller anderen Firmen zusammen -, schon einen Verschuldungsgrad von durchschnittlich 300 Prozent des BIP aufgetürmt, drei bis viermal soviel als noch vor wenigen Jahrzehnten. Dem Exzess der Schulden steht notgedrungen ein Exzess von Vermögen gegenüber, da Zahlungsversprechen von Schuldnern logischerweise Finanzguthaben von Gläubigern sind. Neben der Vermögensungleichheit explodiert auch noch die Einkommensungleichheit, was wiederum Nachfrage reduziert und das Wachstum bremst.

In dieser Grundanalyse sind sich beide Schulen einig. Die Frage ist nur: Sind schwächelnde Nachfrage und dümpelndes Wachstum – und in der Folge: der Schuldenexzess – eine Folge des neoliberalen Arrangements, oder ist der Neoliberalismus nur die Antwort darauf gewesen, dass der Kapitalismus unserer Tage einfach nicht mehr richtig funktioniert? Ist ersteres der Fall, dann kann mit neokeynesianischer Umverteilung der “permanente Verfall” (Paul Krugman) noch gestoppt werden, wenn aber zweiteres der Fall ist, dann ist damit eher nicht zu rechnen.

In der Sprache der “marxischen” Schule ist “Überakkumulation und Unterkonsumtion” eines der Schlüsselprobleme. Ein “Grundwiderspruch”, wie das David Harvey in seinem jüngsten Buch (“Seventeen Contradictons and the End of Capitalism”) nennt. Widersprüche dieser Art zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie nicht einfache “Fehlentwicklungen” sind, die man leicht (oder auch schwerer) korrigieren kann, sondern im Grunde Sackgassen ohne Ausweg. In der Logik Harveys, der sich die Welt keineswegs zusammenphantasiert (wie das manchmal unter Linksradikalen schlechte Usance ist), sondern hart an den Fakten bleibt, liest sich das so: Die Produktionskapazitäten sind so sehr entwickelt, Fabriken hochtechnisiert, sodass im Grunde alles produziert werden kann. Große Wachstumskapazitäten gibt es nicht mehr. Gleichzeitig ist moderne Produktion so kapitalintensiv, dass außerordentliche Profite kaum mehr realisiert werden können. Darauf wird mit Kostenreduktion reagiert, also etwa mit Lohndumping, was aber erst recht erschwert, große Profite einzufahren – weil dann die Leute immer weniger Geld haben, um die vielen Güter kaufen zu können.

Benjamin Kunkel bläst in seinen jüngsten Essays (von denen einige gerade gesammelt unter dem Titel “Utopia or Bust” erschienen sind) in ein ähnliches Horn. Zwar erklärt er, “globale Prosperität wird erst wieder zurückkehren (…) mit der Entwicklung von Gesellschaften, in denen die Menschen in der Lage sind, zu konsumieren, was sie produzieren, und in der sie mit ihrer Arbeitskraft mehr produzieren” – oder anders gesagt, in einem Zustand der “Vollbeschäftigung”; ein Postulat, das freilich pur keynesianisch ist. Thomas Piketty hätte er damit durchaus auf seiner Seite: Eine Mischung aus globalen Schuldenschnitten, massiver Umverteilung, signifikanten Lohnwachstum und öffentlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Vollbeschäftigung herstellen, könnte den kapitalistischen Wirtschaftsmotor, kurz vor dem Kolbenreiber, vielleicht doch wieder Schwung verleihen, wer weiß?

Die Frage ist freilich nicht allein, ob das ökonomisch noch möglich wäre, sondern auch, ob das politisch irgendwie realistisch ist. Piketty beispielsweise schwebt ein globale Vermögensbesteuerung vor, die die krasse Ungleichverteilung der letzten Jahrzehnte wieder zurückführt, wofür quasi konfiskatorische Steuersätze nötig wären; seinen Mitstreitern wie Gabriel Zucman ein gemeinsamer globaler Kampf gegen Steuerbetrug und harte Maßnahmen zum Austrocknen von Steueroasen. Krugman eine expansive staatliche Wirtschaftspolitik finanziert durch Reichensteuern. Wenn das aber die notwendigen Maßnahmen dafür sind, die ächzende Maschine wieder flott zu bekommen, ist es dann nicht blauäugig, damit zu rechnen? Wer soll das denn durchsetzen: Ein Bündnis von Hillary Clinton, Sigmar Gabriel, Attac und ÖGB? Kunkel schreibt nicht zu Unrecht: “Wie soll es möglich sein, dass die geschäftsführenden Organe der herrschenden Klasse in allen Ländern quer über dem Globus gemeinsam beschließen, Pikettys massive Besteuerung genau dieser Klasse einzuführen?” Sarkastisch fügt er hinzu: “Ehrlich, da ist ja noch die sozialistische Revolution realistischer.”

Womöglich ist die Annahme wirklichkeitsnäher, dass er einfach kaputt geht, der Kapitalismus – also endgültig zum Kaputtalismus wird. Aus der Perspektive eines Marxismus, der den Kapitalismus immer schon auf dem Müllhaufen der Geschichte sehen wollte, ist so etwas gewiss nicht nur eine Befürchtung, sondern vielleicht sogar eine Art von Hoffnung – auch wenn nicht recht klar ist, was danach käme. Doch auch jenseits marxoider Milieus greift die Überlegung um sich, ob wir es bei der chronischen Krise nicht mit einer Art letzten “Todeskampf” zu tun haben – allerdings hier nicht unbedingt als Hoffnung, sondern eher als Sorge.

So hat der deutsche Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler Wolfgang Streeck (ein Sozialdemokrat und Direktor des Max-Plank-Instituts für Gesellschaftsforschung) eine solche düstere Überlegung gerade in einem Aufsatz für das legendäre New Left Review geäußert. Beredter Titel von Streecks Großessay: “How will Capitalism End?”

Der Kapitalismus ist eine stete Flucht nach vorne, der nur funktionieren kann, wenn alle Erlöse morgen höher sind als alle Erlöse heute. Denn alle Einkommen in der Periode X reichen gerade aus, um die Produkte, die in der Periode X hergestellt werden, verkaufen zu können. Woher soll sich dann aber Wirtschaftswachstum finanzieren? Damit das möglich, also in der Periode X+1 mehr Geld im System ist, braucht es Geldausweitung durch Kredit, Kredite wiederum, die mit den künftigen gewachsenen Einkommen bezahlt werden. Nur solange es ordentliches Wachstum gibt, lassen sich die Schulden bedienen. Der Kredit schafft die Ausweitung der Produktion und die zusätzliche Nachfrage für dieselbe.

Nun funktioniert das alles schon seit Jahrzehnten nicht mehr wirklich. Mehrere “Krisensymptome”, schreibt Streeck, seien die Folge: “Das erste ist der anhaltende und dauerhafte Niedergang der Wachstumsraten, das zweite der stetige Anstieg der Verschuldung der führenden kapitalistischen Volkswirtschaften.” Symptom Nummer Drei: “Die wachsende Ungleichheit.”

Immer geringeres Wachstum, immer höhere Ungleichheit und andauernd steigende Verschuldung “sind aber nicht unendlich tragfähig”, formuliert Streeck und fragt: “Schlägt also jetzt die Todesstunde des Kapitalismus?”

Die Eliten hätten im Grunde keinen Plan, wie man aus diesem Schlamassel herauskommen kann. “Das Bild, das ich vom Ende des Kapitalismus habe – ein Ende, von dem ich glaube, dass wir mitten drin stecken -, ist das von einem Gesellschaftssystem im chronischen Verfall”. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade sein Triumph den Kapitalismus möglicherweise in diese Lage gebracht hat. Der siegreiche Kapitalismus “wurde sein eigener schlimmster Feind”. Sozialistische Bewegungen, sozialdemokratische Reform und Keynesianismus hatten wenigstens einen gewissen sozialen Ausgleich erzwungen, somit Vermögenswachstum gebremst, für stetig wachsende Nachfrage und damit für die nötigen Wachstumsraten gesorgt. Erst mit dem Zusammenbruch der Opposition zum Kapitalismus ist dieses Erfolgsarrangement verblichen, weshalb der Kapitalismus jetzt auch sterbe – gewissermaßen “an einer Überdosis seiner selbst”.

Siechtumssymptome: Eine permanente Quasi-Stagnation mit allenfalls Mini-Wachstumsraten, explodierende Ungleichheit, Privatisierung von allem, endemische Korruption und Plünderei, da normale realwirtschaftliche Profitmöglichkeiten immer geringer werden, ein daraus folgender moralischer Niedergang (Kapitalismus wird mehr und mehr mit Betrug, Diebstahl und schmutzigen Tricks verbunden), ein schwächer werdender, ja, taumelnder Westen, was Desintegrationsprozesse an der Peripherie, Krisen und Brandherde schürt (man denke nur an die dramatischen Krisen alleine dieses Sommers!).

Folgt man Streeck, dann sind wir gerade Zeitgenossen, beteiligte Zuschauer eines Zusammenbruchs. Wobei wir vielleicht unser Bild von “Zusammenbruch” korrigieren müssen, malen wir uns einen solchen vor unserem inneren Auge üblicherweise als Ereignis, als krachenden Kollaps aus, und nicht als Prozess des chronischen Niedergangs, der aus vielen Ereignissen besteht. Wobei natürlich auch die chronische Katastrophe in einem finalen Ereignis kulminieren kann, etwa, dem Zusammenbruch eines systemrelevanten Finanzinstituts, Schockwellen und Dominoeffekten, bis am Ende nirgendwo mehr Kohle aus dem Geldautomaten kommt.

All das schrammt natürlich hart an einer “Zusammenbruchstheorie”, also an Kollapsprophezeiungen, die den Kapitalismus seit mindestens eineinhalb Jahrhunderten begleiten. Marx sagte dem Kapitalismus voraus, von seinen inneren Widersprüchen an eine Grenze getrieben zu werden, Keynes schrieb in einem legendären Aufsatz “Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder”, das gegenwärtige Wirtschaftssystem würde überholt sein, wenn allgemeine Überflussproduktion einmal möglich sei und auch der große prokapitalistische Ökonom Joseph Schumpeter stellte in seinem populärsten Werk die Frage auf: “Kann der Kapitalismus überleben?” Seine Antwort: “Nein. Ich glaube nicht, dass er es kann.”

Insofern sind die gegenwärtigen Denker des Kollaps, selbst wenn sie ähnlich falsch liegen mögen, in allerbester Gesellschaft.

Der Artikel erschien ursprünglich auf misik.at und steht unter einer CC-Lizenz

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9 Kommentare zu "Neomarxismus
Kollaps des Kaputtalismus"

  1. anonym sagt:

    Die These der Stagnation trifft doch nur auf die westlichen Industrieländer zu, vor allem auf die EU (wo Merkel auch noch jedes Wachstum systematisch abwürgt). Weltweit sieht es doch ganz anders aus, siehe etwa China. Allerdings handelt es dort um einen weitgehend gelenkten Staatskapitalismus. Es gibt aber auch keine Wohlstandssättigung wie hier, also noch “viel Luft” nach oben zum Wachsen. Wir erleben eher den Niedergang des Westens?

  2. Darwing sagt:

    Ich schließe mich meinem Vorredner an, der Kapitalismus ist noch lange nicht in der Endphase – dieses Ende kommt erst, wenn der Kapitalismus sich bis in die letzten Winkel der Erde erstreckt hat und es auch keine Wachstumsmöglichkeiten in den unterentwickelten Ländern mehr gibt und so die Widersprüche des Systems offen zu Tage treten. Das werden wir wohl nicht mehr erleben. Trotzdem sehr informativer Artikel.

  3. André sagt:

    Rettung ist möglich.

    Ich glaube nicht an die technische und damit prinzipielle Unmöglichkeit der Rettung des Kapitalismus, vielmehr an die Unmöglichkeit der Umsetzung der dafür notwendigen Maßnahmen. Unsere Elitwen werden sich nicht selbst entmachten, obwohl das ihre einizige Cahnce sein wird, selbst zu überleben.

    Es ist schön zu sehen, wie Thomas Piketty akribisch alle Informationen zusammenträgt und am Ende auch zum einzig richtigen Schluß kommt. Er hat empirisch den Nachweis erbracht, dass gewisse Modelle, die die Verteilung von Reichtum und deren zeitliche Entwicklung beschreiben, sehr zutreffend sind. zBsp das hier: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0020728
    Das Modell ist einfach und treffen. Ich habe es selbst für Deutschland selbst einmal nachvollzogen. Es enthält aber auch eine ganze Reihe Implikationen:

    1.) Man kann also die Folgen einer aktiven Akkumulationsgrenze (Vermögenssteuer) berechnen! Sie quasi vorwegnehmen.

    Was sind die Ergebnisse des Modells?

    1.) Ohne Begrenzung der Akkumulation durch Vermögenssteuern, wird es eine Winner-takes-all-Welt geben. Dies ist der Pfad auf dem wir uns befinden. (Mathematisch gesehen, besteht das Problem darin, dass die Varianz der Verteilung monoton steigend ist und gegen Unendlich strebt.)
    Das reichste Zehntel der Bevölkerung kannibalisiert sich dabei binnen der nächsten 10 Jahre. Die Mittelschicht steckt schon mittendrin.

    2.) Eine Vermögenssteuer führt dazu, dass er relative Anteil jedes Wirtschaftsteilnehmers am Gesamtvermögen, gegen einen Grenzwert strebt. Grenzenlose Akkumulation ist also mitnichten ein naturgegebenes Problem!!!
    (Mathematisch strebt nun die Varianz gg. einen Grenzwert).
    Damit wäre also das Akkumulationsproblem des Kapputalismus rein technisch gelöst.

    3.) Die Höhe der Vermögenssteuern und die Breite der Bemessungsgrundlage der Vermögenssteuern steuern dabei direkt die Verteilung der Volksvermögens.
    Es liese sich also ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs darüber führen, in welchem Verhältnis zueinander die Anteile am Gesamtvermögen jeder Bevölkerungsgruppe stehen sollten. zBsp.: das reichste Zehntel max. 20%, (statt wie heute 45%)

    4.)

    Was sind die Konsequenzen dieser Erkenntnisse?

    1.) Es lohnt sich ab einer gewissen Menge an akkumulierten Reichtum nicht mehr, noch mehr zusammenzuraffen. Man kann (relativ) nicht noch reicher werden. Absolut wird man dennoch jedes Jahr reicher, wg. des Wachstums.

    2.) Begrenzung von Geldmacht. Alle Player werden auf eine für demokratische Verhältnisse erträglichen Größe gehalten.

    3.) Stationarität: Die Verteilung bewegt sich auf einen Endzustand hin. Das heisst aber nicht, dass immer die gleichen Individuen, die Vermögen besitzen. Es geht hier nur um die summarische Zusammenfassung. Kurz: Die Größe des Kuchenstückes für jedes Zentel der Bevölkerung steht fest.

    Welche Auswirkungen hatte das? Vermögenssteuern gab es ja mal in fast allen Ländern mit nicht unbeachtlicher Höhe.
    Die Eliten wusstem, m. Meinung nach intuitiv, um diese Beschränkung, denn als Folge davon, war der Reichtum gut verteilt, die sozialen Sicherungssnetze intakt und Gewerkschaften konnten den Verteilungsspielraum voll auschöpfen. In Folge dessen forderten die Menschen kürzere Arbeitszeiten und die Quote der Arbeitnehmer am Volkseinkommen stieg.
    Wenn man das weiterspinnt, bedarf es keines großen Genies, um zu erkennen, dass sich der Kapitalsimus, unter den richtigen Randbedingungen, automatisch in eine quasi sozialistisch/demokratische Richtung entwickelt. Das System entwickelt sich langsam auf die nächsthöhere Stufe. Und das ohne Revolution. Dumm nur, dass unsere Eliten davor offenbar soviel Angst hatten und dies verhinderten. Beim nächsten mal wird es wohl eine radikale Änderung sein…

    • Sehr schön zusammengefasst. Im Grunde gibt es dem nichts mehr hinzuzufügen. Das ganze beinhaltet auch für mich eine simple aber tragfähige Definition für die Frage, was denn Sozialismus sei: Nämlich die umfassende Verteilung des materiellen und geistigen Reichtums unter demokratischen Bedingungen.

    • fakeraol sagt:

      André, Du hast sehr schön zusammengefaßt, warum es vernünftig wäre, nicht noch “reicher” zu werden *.

      Was Du übersiehst ist, daß Kapitalismus nach einem Prinzip funktioniert, das nur die Wahl lässt zwischen Wachstum und Stillstand=Tod.

      Die Einzel(wirtschafts)subjekte im Kapitalismus verhalten sich nicht “vernünftig”, d.h. sie beenden ihr Wachstum nicht, wenn sie die Überlegenheit über die Mitbewerber erreicht haben, sondern erst, wenn es keine Konkurrenten mehr zu “fressen” gibt. Das ist deswegen so, weil es keine koordinierende Instanz für alle Subjekte gibt, die diesen sinnvollen Moment feststellen und (verbindlich) verkünden könnte.

      Kapitalismus verhält sich, wie Krebs: vernünftig wäre es für die Krebszellen, ihr Wachstum zu beenden, wenn sie die Überlegenheit über das körpereigene Abwehrsystem erlangt haben. Sie hören aber nicht ehr auf, zu wachsen, bis sie ihren Wirt “zu tode besiegt” haben und sich damit selber die Grundlage für ihr Schmarotzertum zerstört haben. Sie sterben erst mit ihrem Wirt.

      “Das Leben” funktioniert, weil in der Natur nichts “vererbt” wird, weil jedes Individuum seine Kraft, seinen “Reichtum” mit ins Grab nimmt, Guthaben und Schulden erlöschen mit dem Tod, keine Spezies erwirbt ein ewiges Anrecht auf ein einmal eingenommenes Territorium, wie es die Menschen mit Geld und Eigentum machen, keine Population wächst immer weiter und weiter. weil sich Raub- und Beutetiere in einem permanenten gegenseitigen Ausgleich befinden.

      Kapitalismus ist nicht “vernünftig”, die Menschheit handelt nicht “vernünftig”, im Reich der wilden Tiere geht es weit unblutiger zu, als bei den Menschen, und weit vernünftiger.

  4. Dr.Monetarist sagt:

    Kapitalismus steht vor dem Kollaps

    Die USA wollen für sich für die Zeit nach dem Reset des Systems eine perfekte Startposition schaffen.
    Warum druckt denn wohl die FED Geld wie verrückt?
    http://marktorakel.blogspot.de/2014/05/bekommen-us-konzerne-frisch-gedrucktes.html

    Erst die 16 Billionen US$ an geheimen Bankenbailouts durch die FED und US Regierung
    http://www.businessinsider.com/feds-16-trillion-dollar-secret-slush-fund-props-up-our-way-of-life-2011-7
    http://de.scribd.com/doc/60553686/GAO-Fed-Investigation#outer_page_144
    http://www.sott.net/article/250592-Audit-of-the-Federal-Reserve-Reveals-16-Trillion-in-Secret-Bailouts

    Und nun die astronomischen Unsummen für Firmenübernahmen….
    Das ist eigentlich Betrug
    Und nun auch noch die ungeheuerlichen Manipulationen am Aktienmarkt durch Zentralbanken um die Börsenkurse vor dem Absturz zu bewahren und den Börsenspekulanten ihre astronomische Renditen und Kursgewinne zu sichern. Ein System dass eher an Neofeudalismus und Neokorporatismus erinnert aber viel weniger Ähnlichkeit mit der freien Marktwirtschaft hat!!!
    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/06/22/wahnsinn-und-verzweiflung-zentralbanken-kaufen-in-grossem-stil-aktien/
    http://blog.markusgaertner.com/2014/06/18/jetzt-ist-es-amtlich-notenbanken-haben-wie-entfesselt-aktien-gekauft/
    http://omfif.createsend1.com/t/ViewEmail/j/AD679A12EEB1FB26

  5. @propagare sagt:

    Was ein Schrott. Wenn ein Artikel bereits am Anfang von einer falschen Prämisse ausgeht kann der Rest nur Schrott sein. Garbage in, garbage out.

    “Ungeregelte Märkte”? HALLLLLLOOO!!!!

    1. Zentralbankgeld (siehe derweil sogar Andreas Voßkuhle, Michael Köhler: Kreditgeldschöpfung als Vermögensrechtdelikt)
    2. Wir haben weder eine freie Marktwirtschaft noch Kapitalismus (übrigens eine Wort extra von den Leftisten kreiert.)

    Aber schöne Sachen aus dem kommunistischen Manifest wie staatl Zwangs Krankenversicherung (regelt hervorragend das Verhalten über die Drohung ja das “Kollektiv zu schaden”), progressive Einkommenssteuer und, ach ja ich sagte es bereits, Zentralbankgeld.

    Jungs, haltet doch einfach die Klappe, die Neue Welt Ordnung ist doch schon eine sozialistische Zwangskollektive!

    Glück auf. Uns allen.

    • Koennen Sie ihr Kommentar bitte nochmals sachlich in strukturierten und verstaendlichen Zusammenhaengen niederschreiben?

    • Propagare ist wohl einer von den Adam-Smith-Anhängern, die jegliche sinnvolle oder unsinnvolle Regulierung des Marktes geißeln bzw. glauben, die Märkte seien schon genug reguliert. Dabei meint unsereins ja nur, daß die Regulierung noch zu schwach ist und daher ständig neue Krisen, Blasen, Risiken, Exzesse etc. produziert werden.

      Freiheit ist eben relativ. Und unsere Märkte sind noch zu frei. Es bedarf einer starken Einschränkung der extrem risikoreichen Profitmaximierungsprozesse in der Finanzindustrie. Das Gebaren der Finanzwirtschaft muß viel stärker an reales Geld und die reale Wirtschaft gekoppelt werden.

      Dies führt leider zu einer geringeren sogenannten “Konkurrenzfähigkeit” unserer Ökonomie, sodaß uns Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika gnadenlos überrollen und vernichten werden. Ganz einfach, weil wir das Richtige tun. Sollten wir also doch lieber das Falsche tun und diese Suchtökonomie weiter fördern?

      Ein bißchen Vertrauen in die Menschen kann da weiterhelfen. Auch der Rest der Welt wird irgendwann genug haben von dieser Ökonomie und soziale Standards erhöhen wollen.

      Mal ohne Ironie: Das Denken von Konservativen und Liberalen ist leider von einem unsäglichen Zynismus und einer gnadenlos Ist-Logik geprägt. In dieser Logik haben sie durchaus nicht Unrecht. Daß es sich aber um eine falsche, zu überwindende Logik handelt, geht diesen Leuten nicht auf. Niemand hat etwas gegen Marktwirtschaft und Gewinnstreben. Die Grenzen hierfür sollten aber deutlich humaner und sozialer gezogen werden.

      Ein halbwegs emotional gesunder Mensch braucht solche reichlich intellektuellen Überlegungen überhaupt nicht. Der muß sich nur anschauen, was so in der Finanzwirtschaft und in den Konzernen abläuft und was da für Leute rumlaufen, um seine Schlüsse ziehen zu können.

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