Zum Medienkrieg um Gaza

Die „Alexandra-Thein-Kontroverse“ ist ein anschauliches Beispiel für die Systematik, mit der die Kritiker des Gaza-Krieges in die Antisemitismus Ecke gerückt und Mundtot gemacht werden sollen.

Gaza

Foto: Kashfi Halford / CC BY-NC 2.0

Von Florian Sander

Der aktuelle Gaza-Konflikt führt – wieder einmal – vor Augen, mit welchen Methoden vermeintlich „israelsolidarische“ deutsche Linke, Neokonservative und Libertäre, die de facto nur mit der Netanjahu-Regierung solidarisch sind, vorgehen, um Kritiker der Politik der israelischen Regierung via direktem oder subtilem Antisemitismus-Vorwurf mundtot zu machen. An dieser Stelle soll ein nicht mehr ganz neues, jedoch sehr illustratives Beispiel für einen solchen Fall beleuchtet werden.

Anfang des Jahres wurde auf dem neoliberalen, mal libertär, mal neokonservativ anmutenden Blog „Antibürokratieteam“ ein Artikel veröffentlicht, der die Haltung der damaligen FDP-Europaabgeordneten Alexandra Thein zum Nahostkonflikt thematisierte und – ohne direkte Wortwahl – versuchte, diese in einem mindestens latent antisemitischen und Hamas-freundlichen Licht erscheinen zu lassen. Betrachten wir zunächst einige Formulierungen im Detail.

Bereits der Beginn des Artikels enthält – verpackt in eine vermeintlich „zurückhaltende“ Formulierung, wie der Autor selbst behauptet – einen rhetorischen Vorschlaghammer. Er unterstellt der „liberalen Partei seit Friedrich Naumanns Zeiten (…) die unselige Traditionslinie einer (…) kritischen Reserviertheit gegenüber Juden – die sich heutzutage vor allem im Eintreten für die “Sache der Palästinenser” und gegen das als “Apartheidsstaat” denunzierte Israel, die einzige rechtsstaatliche Demokratie in der Region,” manifestieren würde.

Sehen wir hier mal von der seltsamen Formulierung von der „liberalen Partei“ ab (zwischen dem Tod Naumanns und der Gründung der FDP lagen immerhin 29 Jahre – welche der liberalen Parteien seit 1919 ist nun also gemeint?): Hier wird – bekräftigt auch durch den nachfolgenden Satz – mal eben behauptet, in der FDP gäbe es einen latenten Antisemitismus. Festgemacht wird dies sodann allein daran, dass es FDP-Politiker gab und gibt, die neben dem israelischen auch das palästinensische Recht auf politische Selbstbestimmung artikuliert haben. Es erfolgt also kein empirischer Beleg der vorher aufgestellten These, sondern das Engagement für Frieden in Nahost muss als Anlass für einen politisch und gesellschaftlich zutiefst vernichtenden Vorwurf herhalten.

Weiter im Text: Als nächstes muss die Möllemann-Kontroverse als Nachweis herhalten, versehen mit einem Zitat des verstorbenen wirtschaftsliberalen Vordenkers, FDP-Ehrenvorsitzenden und langjährigen innerparteilichen Möllemann-Gegners Otto Graf Lambsdorff, mit Hilfe dessen der vermeintliche Antisemitismus Möllemanns belegt werden soll. Nun geht es an dieser Stelle aber nicht um Möllemann, sondern um Thein – also weiter.

Jürgen Möllemann war mit Unterbrechungen von 1981 bis zu seinem Tod 2003 Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG); ein Amt, das heute Prof. Dr. Peter Scholl-Latour innehat. Der Hinweis auf Möllemann sowie auf seinen langjährigen Freund, den heutigen stellv. FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Kubicki, der heute Mitglied des Beirates der DAG ist, soll schließlich zu Thein überleiten, die dem besagten Beirat vorsitzt.

Und hier beginnt sie nun, die Diffamierungstaktik, die sonst auch gerne von antideutschen Linken und linksextremen Antifa-Gruppierungen praktiziert wird: „A ist mit B befreundet. B ist Bürokollege von C. C ist Nachbar von D. D ist in einem Verein mit E. E ist ein Nazi. Also ist A ein Nazi oder zumindest unter Nazi-Verdacht. Die anderen natürlich auch alle.“

Thein ist in der DAG aktiv. Dort ist auch der Freund von Möllemann. Möllemann war auch in der DAG. Ihm wurde Antisemitismus vorgeworfen. – Die negative Assoziation ist hergestellt. Der erste Dreck ist geworfen.

Darunter geht es weiter, die A-B-C-usw.-Connection wird länger und länger. So wird hervorgehoben, Thein sei Mitglied des Kuratoriums des in Israel verbotenen „Council for European Palestinian Relations“ (CEPR). In einer „genaueren Betrachtung“ im semi-seriösen grauen Kästchen mit ebenso semi-seriöser Grafik darunter wird berichtet, dass der CEPR ja eine Nachfolgeorganisation der mittlerweile inaktiven „European Campaign to End the Siege on Gaza“ (ECESG) zu sein „scheint“, welche 2007 von den europäischen Muslimbrüdern ins Leben gerufen worden war. Man beachte an diesem Punkt das Wort „scheint“, welches übersetzt nichts anderes bedeutet als: Der Autor weiß es nicht und spekuliert daher wild herum.

Darunter wird beklagt, dass CEPR-Delegationen sich mit solchen der Hamas träfen. Dass mit Gesprächen nun wahrlich noch keine gemeinsame Weltanschauung einhergehen muss, wird unterschlagen (wäre dies so, müsste mittlerweile etwa auch der ehem. US-Präsident Jimmy Carter unter Islamismus-Verdacht stehen).

Im Anschluss wird beklagt, dass der CEPR „Terminologie der Hamas“ übernähme. Dass die besagten Beispiele längst nicht nur Terminologie der Hamas, sondern auch anderer, nicht als terroristisch eingestufter Akteure sind, wird ebenfalls (bewusst) ausgeblendet.

Nun folgt wieder das A-B-C-Spiel: Einzelne Vertreter des CEPR seien auch aktiv in Netzwerken, die wiederum über die eine oder andere Weise mit der Hamas verbunden seien. Nun weiß mindestens jeder soziologisch einigermaßen kundige Beobachter, dass Netzwerke eben gerade – im Unterschied zu Organisationssystemen – für lose Bindungen stehen, über die viel kommuniziert wird, die aber wiederum noch lange keine weltanschauliche Gemeinsamkeit bis ins kleinste Detail aufweisen müssen. Anders gesagt: Neben der A-B-C-Connection wird hier bewusst mit Assoziationen gearbeitet, die im Leser über terminologisch ausgelöste, innere Abwehrreflexe ein politisches Zurückschrecken bewirken sollen.

Und nicht nur das: In einem später erschienenen Tagesspiegel-Artikel wurde berichtet, dass Thein den CEPR und sein Kuratorium bereits nach dem israelischen Verbot im Dezember 2013 verlassen habe. Eine Information, die zu berichten dem „Antibürokratieteam“ wohl zu wenig in das eigene politische Konzept gepasst hätte.

Auf der Basis dieser unterschlagenen Information folgt eine abermals bewusst diffuse Formulierung: Da Israel ein Einreiseverbot gegen CEPR-Aktivisten erlassen habe, gebe es auch eines gegen „Pro-Hamas-Aktivisten wie Alexandra Thein“. Dass dieses angesichts ihres Austritts aus dem CEPR kaum gegen sie gerichtet sein kann, was dadurch verdeutlicht wird, dass sie laut Tagesspiegel selbst nichts von einem derartigen Verbot wusste, wird ebenfalls verschwiegen. Stattdessen wird wahrheitswidrig mit der gezielt Skandalisierungspotenzial bergenden Assoziation gespielt, es gebe ein israelisches Einreiseverbot gegen eine deutsche EU-Parlamentarierin.

Schließlich wird – versehen mit einem standpaukenhaft-zeigefingerschwenkenden, aber orthografisch unkorrekten „Ich bin noch nicht ganz fertig (mit Ihnen Alexandra Thein)“ – der damaligen Abgeordneten vorgeworfen, sie setze sich für die ihr wichtige Gleichberechtigung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender nur selektiv ein und spare dabei etwa die arabische Welt aus. Hier müsste die Rückfrage gelten: Hat der Autor sie eigentlich mal direkt danach befragt? Oder war die Vorab-Recherche hier womöglich mal wieder ähnlich (bewusst) unsauber und selbst, vornehm ausgedrückt, „selektiv“ wie im Falle der CEPR-Mitgliedschaft?

Fassen wir zusammen: Bewusst diffuse, auf Vermutungen und gewagten Fremdbeschuldigungen basierende Terminologie wird verwendet, um beim Leser oder Zuhörer mittels politisch abschreckender Wirkung Abwehrreflexe und Assoziationen à la „Person X -> Antisemitismus“ auszulösen und die besagte Person damit politisch oder gar gesellschaftlich zu diskreditieren. Unterstützend begleitet wird diese Manipulationstechnologie sodann mit der besagten A-B-C-Connection-Diagnose, die über zahlreiche Nebenpersonen und Nebenschauplätze hinweg versucht, die besagte Person X in Kollektivhaftung für die Vergehen anderer, X womöglich nicht einmal persönlich bekannter Akteure zu nehmen.

Person X – in diesem Fall Alexandra Thein, die nicht ein einziges Mal auch nur irgendwo ein Wort gegen Juden oder das Existenzrecht Israels gesagt hat – soll sich plötzlich vor dem hohen Gericht – in diesem Falle dem „Antibürokratieteam“ – für Dinge rechtfertigen, die sie nie getan hat und sich von Äußerungen distanzieren, die sie nie getätigt hat.

Es bleibt die Beruhigung, dass diese schmutzige Form der politischen Auseinandersetzung scheinbar zunehmend durchschaut wird. Alexandra Thein wurde von der Berliner FDP – sogar im Zuge einer Kampfkandidatur gegen den früheren Bundestags-Fraktionsvize Martin Lindner – vor einigen Monaten zur Landesvorsitzenden der Partei gewählt. Spätestens seitdem sollten sich manche Leute vielleicht fragen, ob eine inhaltliche Auseinandersetzung für die eigenen politischen Ziele nicht ergiebiger und dienlicher wäre als Schmutzkampagnen dieser Art.

Artikelbild: Kashfi Halford / CC BY-NC 2.0

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2 Kommentare zu "Zum Medienkrieg um Gaza"

  1. Achim Hecht sagt:

    In Ihrem Text wird mit Bezug auf einen Tagesspiegel-Artikel, der sich mit meiner Recherche und der folgenden Debatte beschäftigte, behauptet, Frau Thein wäre bereits im Dezember 2013 von ihrer Funktion als CEPR-“Trustee” zurückgetreten. Als ich in der letzten Januarwoche 2014 den Beitrag verfasste, war #gazalexandra noch entsprechend auf der Website des CEPR aufgeführt. Ihr Pressesprecher Thomas P. Reiter, der auf antibuerokratieteam.net kommentierte, hat die Beiratsmitgliedschaft _nicht_ dementiert. Der Tagesspiegel ist also wohl einer nachgelagerten Schutzbehauptung der damaligen Kandidatin für den Berliner Landesvorsitz aufgesessen.

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