Die Postmoderne ist tot

Der universale Anspruch der Postmoderne, nicht bloß Ende, sondern Kulminationspunkt aller Erzählungen, allen Handelns, Wissens und Denkens zu sein, ist widerlegt worden durch Kräfte, die sie selbst stets negiert hat.

Theoretiker der Postmoderne: Jean-Francois Lyotard. Bild: Bracha L. Ettinger (CC-BY-SA)

Theoretiker der Postmoderne: Jean-Francois Lyotard. Bild: Bracha L. Ettinger (CC-BY-SA)

Von Max Heine

Die Postmoderne ist widerlegt durch die Geschichte, durch den Fortschritt, durch die Eindeutigkeit und Originalität von Ideen. Widerlegt durch das Stiftende einer neuen Epoche, die sich nicht als Ende, sondern als Anfang versteht, die nicht verharrt in einer überkommenen Weltanschauung, in einem überkommenen Weltverständnis, sondern den Aufbruch will.

Kriege, Revolutionen, Umwälzungen prägen den Beginn der neuen Epoche, welche die Feder der Geschichte, welche die Postmoderne zu führen sich weigerte, wieder aufgenommen hat. Die neue Epoche bricht mit der Postmoderne, denn sie schreibt neue Erzählungen. Erzählungen, die von der Originalität ihrer Zeit inspiriert sind. Erzählungen, die die Welt zu verändern imstande sind.

Schwäche der Postmoderne

Das die Postmoderne prägende Denkgebäude ist zusammengebrochen unter den weltgeschichtlichen Veränderungen der neuen Epoche. Nie ist deutlicher geworden, wie sehr die Postmoderne für ihr eigenes Überleben, für die Bekräftigung ihrer Postulate, das Fortbestehen der historischen Einmaligkeit ihrer Entstehung nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte, die sie ideologisch zu konservieren versuchte.

Denn niemals zuvor und niemals danach hat ein Ereignis solchen Anlass gegeben, sich von der Vergangenheit so radikal ab- und der Zukunft zuzuwenden: Die Postmoderne vollzog den Bruch mit Traditionen, den Bruch mit gesellschaftlichen Werten, gar den Bruch mit der eigenen Geschichte. Daraus leitet die Postmoderne ihre Überlegenheit ab: Sie hat keine eigene Vergangenheit, die sie angreifbar machen würde. Gleichzeitig ruft sie das Ende der Geschichte aus, um sich den Herausforderungen der Zukunft nicht stellen und klare Standpunkte in dieser Auseinandersetzung nicht vertreten zu müssen.

Es ist die ungute Erfahrung mit totalitären Systemen: mit der politischen Macht wie den überspannenden Meta-Erzählungen, aus der heraus die Postmoderne sich selbst für berechtigt hält, die „radikale Pluralität“ der Ideen auszurufen und Absolutheiten zu verwerfen. Dieser Verzicht der Postmoderne auf Kategorien wie Wahrheit und Vernunft ist es jedoch, der eine Suche nach eindeutigen Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit nicht zulässt und ihre Theorie kraftlos macht. So kennt die Postmoderne nur ein Nebeneinander von Ideen und Weltanschauungen, eines, das jedoch keineswegs als das Ergebnis eines umfassenden Denkprozesses gelten kann, als das viele es verstehen.

Denn es ist nicht die inhaltliche Auseinandersetzung gewesen, die zu der Akzeptanz dieser oder jener Idee durch die Postmoderne geführt hat, sondern allein die Absicht, sich durch Beliebigkeit und Opportunismus unangreifbar zu machen und aus dieser Position heraus wertende Urteile über andere Epochen zu fällen. Die „radikale Pluralität“ kann daher nicht als Zeichen einer intellektuellen Stärke gelten. Sie ist ein Zeichen der Schwäche und der Mutlosigkeit postmodernen Denkens.

Für die Postmoderne selbst birgt das Postulat der „radikalen Pluralität“ sogar eine Bedrohung, denn indem sie den Relativismus zum obersten Prinzip erhöht, ihn absolut und totalitär macht, relativiert sie ihre eigenen Ideen. Dieser in Wahrheit „verneinende Totalitarismus“, denn nichts anderes ist die „radikale Pluralität“, die den Menschen das Denken abnehmen soll, lässt die Postmoderne mit ihren eigenen Grundsätzen brechen, die nicht Absolutes, nichts Totalitäres kennen.

Aus der „radikalen Pluralität“ der Postmoderne erwachsen weitere Gefahren: Beispielsweise die der Ablehnung demokratischer Systeme, denn der für die Ausübung staatlicher Gewalt maßgebende Konsens zwischen politischen Parteien findet nicht statt. Wird die Demokratie ihres Kerns jedoch beraubt, so ist sie zum Scheitern verurteilt – und jede andere Regierungsform ist es ebenfalls.

Auch für das gesellschaftliche Zusammenleben stellt die „radikale Pluralität“ der Postmoderne eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar, denn wenn alles wahr und nichts falsch ist, wenn die Idee einer ordnenden moralischen Instanz (die Existenz eines Gottes oder des eigenen Gewissens oder gesellschaftlicher Normen) verworfen wird, erlaubt die Theorie der Postmoderne Gewalt, Terror und Mord und befindet sich damit in einem „ethischen Dilemma“, aus dem es keinen Ausweg gibt.

Es ist bemerkenswert, dass die Postmoderne, die sich als Antwort auf die Schrecken der Moderne, auf die Verbrechen des politischen Totalitarismus versteht, durch die von ihr propagierte „radikale Pluralität“ und den Verzicht auf moralische Werte selbst so totalitär und kraftlos wird, dass die Wiederholung des größten Verbrechens der vorangegangenen Epochen, Auschwitz, möglich und denkbar würde.

Unangreifbar scheint die Postmoderne des Weiteren durch den Namen zu werden, den sie sich selbst gegeben hat, erklingt aus ihm doch der Anspruch, etwas Neueres und Besseres darzustellen als die vorangegangenen Epochen, der Anspruch, stets aktuell zu sein, den Forderungen einer jeden Gegenwart zu entsprechen. Wie überheblich dieser Anspruch doch ist, sind schließlich alle Epochen, die auf die Moderne folgen, postmodern. Sie alle jedoch in einer einzigen, letzten Epoche zusammenfassen zu wollen, der auch noch die konservierend-ideologischen Zügel der „radikalen Pluralität“ angelegt sind, ist falsch, unklar und mutlos.

Eine neue Epoche

In kürzester Zeit erschütterten weltgeschichtliche Ereignisse die Säulen der Postmoderne und veränderten Denken und Gesellschaft, Kunst und Philosophie, Politik und Ökonomie vor allem des westlichen Kulturkreises: Die Terroranschläge in New York und Washington. Der Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan. Der Krieg gegen die Diktatur Saddam Husseins im Irak. Die Finanzkrise, die sogenannte „Große Rezession“. Die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem. Soziale Unruhen in Griechenland. Die Arabische Revolution.

Angst war das stärkste Gefühl der Menschen, die sich diesen Veränderungen gegenüber sahen. Angst ist das vorherrschende Gefühl der neuen Epoche: Wie soll die Gesellschaft mit diesen geschichtlichen Zäsuren umgehen? Kann die Gesellschaft die durch die Veränderungen hervorgerufenen Gefühle der Menschen in sich aufnehmen, ohne selbst zu zerbrechen?

Die neue Epoche wird darauf Antworten geben müssen. Eindeutige Antworten, auch wenn sie damit angreifbar werden. Die neue Epoche will verstehen, warum die Geschichte, warum die Entwicklung der Gesellschaft diesen Verlauf genommen hat. Die neue Epoche will verhindern, dass die „radikale Pluralität“ der Postmoderne, die Gewalt, Terror und Mord nicht verurteilt, die den demokratischen Konsens nicht kennt, zu einer gesellschaftlichen Bedrohung wird. Sie setzt der Beliebigkeit der Postmoderne klare Ideen entgegen: Ernsthaftigkeit der Erinnerung, Moral, Solidarität, Aufbruch. Darum stellt sie eine Zäsur dar, denn diese ihre wichtigsten Postulate sind unvereinbar mit der Theorie der Postmoderne.

Ernsthaftigkeit der Erinnerung

Die neue Epoche wird sich durch die Suche der Menschen nach Halt in einer sich verändernden Welt charakterisieren. Die Bedeutung des Identitätsstiftendem im Rahmen dieser Suche wird dabei  – als Gegenpol zum Individualismus – weiter zunehmen.

In der Architektur findet diese Suche nach Identitätsstiftendem beispielsweise in der Rekonstruktion solcher Gebäude Ausdruck, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden und auf deren Wiederaufbau sowohl die Moderne als auch die Postmoderne aus ideologischen Gründen verzichtet hat. Dies gilt vor allem für die Dresdener Frauenkirche, aber auch für das Potsdamer, das Berliner, das Braunschweiger Stadtschloß.

Repräsentanten der Postmoderne, die solche Architektur als phantastisch und reaktionär bezeichnen, ruft die neue Epoche zu: Die moderne Architektur hat über sechzig Jahre Zeit gehabt, angemessen auf das jeweilige Problem zu reagieren. Wenn aber nach sechzig Jahren noch immer allein das zerstörte Bauwerk über die Kraft der Identitätsstiftung verfügt, dann ist die moderne Architektur zu schwach – dann hat die moderne Architektur versagt. Dann ist eine Rekonstruktion gerechtfertigt.

Diese junge architektonische Strömung, diejenige der beabsichtigten Identitätsstiftung durch exponierte Bauwerke, ist ein internationales Phänomen. Dies drückt sich nicht nur im Wiederaufbau zerstörter Objekte aus, sondern auch in klaren Neubauten, beispielsweise des One World Trade Centers in New York, das im Besonderen die Postulate der neuen Epoche der „Ernsthaftigkeit der Erinnerung“ und „Aufbruch“ verkörpert, oder des Buri Khalifa in Dubai. Weil diese Architektur eine gesellschaftliche, geschichtliche, gar politische Funktion übernimmt, weil sie eine Botschaft darstellt, kann sie als „neuer Symbolismus“ bezeichnet werden.

Moral

In der neuen Epoche wird die „radikale Pluralität“ der Postmoderne zurückgewiesen, werden klare normative Instanzen anerkannt. Nicht zuletzt wird dabei auf die Instrumente der Aufklärung zurück gegriffen und in der Vernunft die wichtigste Entscheidungsgrundlage gesehen. Der Anspruch, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden, auch, wenn man sich damit angreifbar macht, kehrt als sinnkonstituierendes Merkmal wieder. Die neue Epoche steht für ihre Grundsätze ein und scheut die Auseinandersetzung nicht.

Aufbruch

Die neue Epoche ist geprägt durch den Ausbruch aus dem unerträglichen Stillstand der Postmoderne. Der Aufbruch ist unabdingbar, wenn der Westen auf die großen Veränderungen reagieren und angemessene Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit finden möchte. Antworten, die sich an moralischen und solidarischen Aspekten orientieren.

Drängende soziale Fragen stehen auf der Agenda: Ab wann gilt ein Mensch als arm? Ab wann gilt ein Mensch als reich? Ab wann müssen reiche Menschen arme unterstützen? Welche Rolle kommt dem Staat und der Gemeinschaft in diesem Prozess zu?

Drängende politische Fragen: Welche Gründe rechtfertigen einen Krieg? Völkermord oder doch eher Seltene Erden? Wann haben fremde Mächte die Pflicht in einen Krieg einzugreifen, den ein autoritäres Regime gegen sein Volk führt? Sind fremde Mächte überhaupt dazu verpflichtet? Welche Veränderungen erwartet die Demokratie?

Drängende ökonomische Fragen: Ist der Kapitalismus als Ganzes gescheitert? Oder ist nur eine Form des Kapitalismus gescheitert? Stellt der Sozialismus ein alternatives Wirtschaftssystem dar?

Betrachtung

Die neue Epoche bricht mit der Postmoderne, denn ihre wichtigsten Postulate: Ernsthaftigkeit der Erinnerung, Moral, Solidarität und Aufbruch, sind unvereinbar mit dem Theorem der Postmoderne.

Das Wesen der neuen Epoche zeichnet sich durch Eindeutigkeit und Tradition aus. Sie sieht sich sowohl in der Tradition jener Epochen vor dem Zweiten Weltkrieg, aber auch in der Tradition der Moderne und der Postmoderne, obwohl sie den Bruch vollzieht. Denn dass weiterhin eine Vielzahl an Auffassungen, Ideen und Meinungen vorherrschen wird, dass die Pluralität sich in den nächsten Jahren auch auf der Makroebene: Politik, Gesellschaft, Ökonomie, weiter ausdifferenzieren wird, ist nicht zu leugnen. Diese Auffassungen finden in der neuen Epoche jedoch dort Grenzen, wo normativ-moralische Werte bedroht werden.

Die neue Epoche ist bescheidener als die Postmoderne. Sie weiß um die eigene Vergänglichkeit und um die Vergänglichkeit ihrer Ideen. Die Postmoderne erkennt dieses Faktum nicht an: Obwohl die Zeitspanne, die sie umfasst, nur einen Wimpernschlag in der Geschichte darstellt, obwohl sie weder über Vergangenheit noch Zukunft nachdenkt, erhebt sie durch ihr Postulat der „radikalen Pluralität“ den Anspruch auf Universalität, auf ewige Gültigkeit durch Unangreifbarkeit.

Die neue Epoche wird die letzte, vom westlichen Kulturkreis geprägte Epoche sein, die sich um den Globus spannt. Westlich geprägt aufgrund der noch vorherrschenden hegemonialen Dominanz der Vereinigten Staaten von Amerika und deren Rolle auf der geschichtlichen Bühne der neuen Epoche: Die Terroranschläge in New York, die folgenden Kriege in Afghanistan und Irak sowie die Finanzkrise. Global, denn jeder Staat hat die Auswirkungen dieser Ereignisse gespürt und Veränderungen erfahren. Sie treiben die Suche nach Identitätsstiftendem voran, auf die jeder Staat, jede Kultur nur für sich selbst reagieren kann.

Artikelbild: Bracha L. Ettinger (CC-BY-SA)

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6 Kommentare zu "Die Postmoderne ist tot"

  1. Reyes Carrillo sagt:

    Lieber Herr Heine,
    ich werde aus Ihrem Artikel nicht so ganz schlau. Verstehen tue ich freilich, um was es Ihnen geht, Ihre Aufregung dabei jedoch nicht zwingend. Aber ich finde auch einige wichtige und richtige Fragen und Positionen in Ihrem Text, die ich durchaus mit Ihnen teile. Doch dann wird es etwas kompliziert.
    Zunächst wird mir nicht ganz schlüssig, warum Sie gerade die Postmoderne so zum Popanz aufwerten und dieser “Bewegung” einen solch fulminanten Einfluss auf die Entwicklung dieses Globus zumessen, wie Sie es in Ihrem Artikel suggerieren. Sie mutieren in Ihrer Abrechnung ja geradezu zu einem Prediger US-messianischen-TV-Formats wider das Böse und das Verderben. Wo bitte finden Sie auf dieser Erde postmodernistische Bestrebungen, die einem selbst in unruhigen Vollmondnächten beim Schrei der Eule Sorgen machen müssten? Die wirklich Sorgen machenden Probleme dieser Zeit nennen Sie denn ja auch selbst in Ihrem Aufsatz. Allerdings wird mir der schlüssige Kontext zu deren Lösung in Ihrer Vergleichsstudie mit dem Postmodernismus einfach nicht klar. Ich weiß ja nun nicht, innerhalb welcher sozialen Kontexte Sie leben; in meinem Umfeld jedenfalls hält sich die Zahl radikaler, von sich selbst berauschter, Mord, Totschlag und den Genozid tolerierenden Postmodernisten in geradezu extrem überschaubaren Grenzen. Langer Rede, nochmals kurzer Sinn: Ich halte die vom Postmodernismus ausgehende Gefahr und Bedrohung, wie Sie sie hier nachgerade leidenschaftlich postulieren für, sagen wir: beherrschbar – und genau deshalb Ihren Artikel für eine – wenn auch wirklich sehr interessante – vornehmlich intellektuelle Übung.
    Ich meinerseits habe die Postmoderne in ihrem eigenen Selbstverständnis (das wiederum ja auch dieses stets umstritten ist) bisher als eine intellektuelle, auch eitel-elitäre Nischenveranstaltung wahrgenommen, die in ihrer Grundidee einige faszinierende Fragen aufgeworfen und (etwas weniger) interessante Antworten gefunden hat. Einige dieser aufgeworfenen Fragen scheinen mir jedoch sogar universeller Natur zu sein, wiewohl die Postmoderne nicht das alleinige Copyright darauf besitzt. Und nicht zuletzt die postmodernistische, kontrovers geführte Kapitalismus- und Sozialismus- und Kommunismuskritik halte ich für eines der wirklich interessanten Produkte der Postmoderne. Ich unterschreibe aber trotzdem gern den von Ihnen ausgestellten Totenschein inkl. der von Ihnen diagnostizierten Todesursache, dass auch den Postmodernismus schließlich, um es zusammenzufassen, das Schicksal der Ideologisierung ereilt hat und er in einige unbewusst selbst gestellte Fallen lief.
    Das größte Problem in Ihrem Aufsatz sehe ich aber in Ihrer maßlosen Extension des Begriffs der “radikalen Pluralität”, der es Ihnen offensichtlich ja besonders angetan hat. Folgt man Ihrer Auslegung, ich erwähnte es vorher schon, würde dieser ja locker jede Form von Gewaltausübung, Mord und Totschlag dulden und, ich finde das starken Tobak, sogar eine “Wiederholung von Auschwitz” ermöglichen. Hm. Ich fürchte, Sie meinen das wirklich Ernst. Ich hatte jedenfalls unter der “radikalen Pluralität”, so wie sie mir einmal erklärt wurde, etwas anderes verstanden gehabt, nämlich, dass diese – selbstverständlich innerhalb demokratischer Strukturen – trotz des inhärenten Paradoxons! – für einen radikalen Bruch mit den verinnerlichten Erzählungen der Moderne vor allem hinsichtlich der Kultur- und Kunstrezeptionen stand.
    Doch auch die Postmoderne taugt natürlich, wie man weiß, ebenso wie Bibel und Koran u.ä.m., für jede noch so schneidige Interpretation, da sie wie ebenjene ein riesiges offenes Einfallstor für ebensolche darstellt. Freilich, wenn man unbedingt WILL, dann kann man durchaus Ihre Interpretation von der großen Bedrohung übernehmen; die Beweise dafür, auch infolge teils deftiger Widersprüche, ließ und lässt die Postmoderne ja an jeder Ecke fallen – siehe unsere verschiedenen Interpretationen desselben Begriffs. Dann muss man sich aber auch, was Ihre Interpretation betrifft, gefallen lassen, natürlich freundlich, als recht einseitig konditionierter Unken-Goliath gegenüber einem kokett blinkenden Spielzeug-David wahrgenommen zu werden.
    Nun, das liest sich alles so, als würde ich die Postmoderne unbedingt verteidigen wollen. Das will ich aber gar nicht, da sie mir – trotz einiger interessanter Aspekte – letztlich ziemlich egal und in ihrer oft sektiererischen Attitüde generell nicht sehr sympathisch ist. Ich will eigentlich nur Ihren, in meinen Augen völlig überzogenen Alarmismus mit Ihrer eigenwilligen Beweisführung und schließlich recht bizarren Schlussfolgerungen aufgreifen. Allerdings stecken in Ihrer Beweisführung, wenn man Ihre gruseligen Antizipationen einmal zur Seite lässt, viele beachtenswerte Gedanken! In der reinen, die Fragen nach einer adäquaten Lösung der geradezu monströsen Fragen dieser Zeit behandelnden Passagen Ihrer Gegenüberstellung der “postmodernen Gedankenwelt” mit der von Ihnen so genannten “neuen Epoche” wird mir das Ganze dann schon wieder – fast! – sympathisch. Und selbstverständlich kann die Postmoderne so gut wie keine einzige zufrieden stellende Antwort darauf geben. Da sind wir uns völlig einig.
    Allerdings gibt es auch noch andere, spannende Lösungsansätze, um hier beispielsweise auf die “Integrale Theorie” nach Ken Wilber hinzuweisen, in der sich sowohl postmodernes Gedankengut wie aber auch alt-neue Kategorien wie Ethik, Moral, Gott usw. wiederfinden und vor allem zu versöhnen scheinen. Und die sich ganz generell zur Beantwortung Ihrer hier aufgeworfenen Fragen geradezu aufdrängt.
    Die politischen Fragen, die Sie stellen kommen, so richtig sie überwiegend sind, allerdings auf sehr laut- und farblosen Pfötchen daher, und die mehr linksorientierten Leser hier hätten sich sicherlich an der einen oder anderen Stelle ein etwas persönlicheres Farbe-Bekennen in selbige Richtung gewünscht. Aber darauf war Ihr Artikel nicht angelegt, ich weiß. Andererseits aber geben manche Ihrer Formulierungen, ob bewusst oder unbewusst, doch schon deutliche Hinweise auf Ihre evtl. persönliche politische Positionierung, die sogar in die entgegen gesetzte Richtung zu weisen scheint. Was ja prinzipiell völlig in Ordnung ist. Wenn Sie z.B. schreiben: “Der Krieg gegen die Diktatur Saddam Husseins im Irak”, ist das freilich Unsinn, da nun wirklich jeder wissen sollte, dass es bei diesem Krieg um alles mögliche, aber am allerwenigsten um die Diktatur von Saddam Hussein ging. Und da kommt in mir, ich bekenne es, dann doch etwas Ärger hoch. Wie auch der “Krieg gegen die Taliban in Afghanistan” natürlich nichts mit den Taliban zu tun hat, sondern mit selbst vom ehemaligen Bundes-Super-Horst (wenn auch unfreiwillig öffentlich) zugegebenen eiskalten, westlichen Interessen. Um dies zu wissen, muss man noch überhaupt nicht links sein, sondern einfach nur unter die westlichen, medialen Nebelkerzen durchtauchen – und nicht deren manipulierenden Formulierungen hier noch übernehmen! Und als überzeugte Pazifistin darf ich zu Ihren weiteren Kriegsfragen hinzufügen, dass kein Krieg zu rechtfertigen ist. Punkt. Allein diese Ihre Reflexionen über das Thema lassen mich mit meinen, äh, im Moment Laufschuhen scharren, denn als Option kommt bei Ihnen die Null-Krieg-Variante ja nicht einmal vor.
    Aber sei’s drum: Alles in allem ein wirklich guter, sehr interessanter, lesenswerter Artikel! Vielen Dank!

  2. Leonard sagt:

    Lesenswert hierzu ist die folgende Rezension:

    http://www.wsws.org/de/articles/2000/08/post-a15.html

    über:

    Alan Sokal und Jean Bricmont
    Eleganter Unsinn – Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen C.H. Beck Verlag ISBN 3 406 45274 4

  3. Sehr geehrter Herr Heine,
    Sie erwähnen in Ihrem Schlussatz die Suche nach einer spezifischen Identität, die wohl auch lokal, regional verortet wird, als Kriterium für die “neue Eporche”. Für mich hat das, was jetzt auf die Postmoderne folgt, noch keinen Namen.

    In den friedlichen Teilen der Gesellschaften hat es mit dem digitalen Zeitalter zu tun. Bilder sind wichtiger als Begriffe. Die Schriftkultur ist nicht mehr so bedeutsam. Viel Technik, aber auch viel kindliches soziales Netzwerken.

    Welche Philosophie wird sich hierauf aufbauen, nachdem damit auch der Poststrukturalismus vorbei ist? Zu den lokalen Identitäten gehören in jedem Fall die Gefühle. Also das Schöne an der derzeitigen geistigen Strömung ist, dass die emotionale Bezogenheit des Subjektes zu seinem Sujet mehr Anerkennung findet als in den Zeiten der Postmoderne.

    Würdem Sie dem zustimmen?

  4. B. Weber sagt:

    Sehr geehrter Herr Heine,

    der von Ihnen skizzierte, sehr interessante Denk-Weg folgt in vielen Aspekten demjenigen des Neuen Realismus. Betrachtet man aber die impliziten Fragen, auf die die Denk-Wege zu antworten such(t)en, zeigt sich bemerkenswerter Weise eine Begründungsfolie, die sich, wenn auch nur implizit, in vielerlei Hinsicht jeweils ähneln. Die sogenannte Postmoderne verstand sich als Antwort auf die Frage, inwieweit ein Denken, das sich entlang einer möglichen Wahrheit ausrichtet, in sich die Möglichkeit birgt, Totalismen hervorzubringen und wurde wohl am direktesten von Adorno und Horkheimer formuliert. Es wurde damit mithin eine, wenn auch nur gedachte, Verbindung von den totalitären Ereignissen und einer bestimmten Art und Weise zu denken hergestellt, so dass das ursprüngliche Versprechen der Postmoderne eines der Befreiung, der Emanzipation war, das, als Denk-Weg totalitäre Ereignisse zumindest weniger wahrscheinlich machen sollte. Interessanter Weise wird bezüglich des Neuen Realismus eine ganz ähnliche Figur in Anschlag gebracht. Gehen wir davon aus, dass, wie Maurizio Ferraris mit Bezug auf Nietzsche, es nur noch Interpretationen und keine Tatsachen mehr gibt, verschwimmen die Grenzen zwischen Schein und Sein. Diese verschwommene Grenze wird nun, ebenfalls bei Ferraris, in Verbindung gesetzt zu Ereignissen wie dem Irakkrieg und, wenn auch auf paradoxe Weise, zu Phänomenen wie dem IS, den Taliban oder anderen religiösen Fundamentalisten. Das heißt: Auch hier wird eine Verbindung gezogen zwischen einer Denk-Art und geschichtlichen Ereignissen, so dass jeweils eine Art des Denkens zumindest einer tendenziellen Verantwortlichkeit an bestimmten negativen historischen Ereignissen bezichtigt wird.
    Ist es angesichts dieser Begründungsfolie, die sich in beiden Fällen als sehr ähnliche erweist, nicht eigentümlich, von einer Bescheidenheit des Denkens zu sprechen? Erscheint stattdessen nicht die Frage, welche Macht man den Denken zumisst? Ist das Wissen um die Vergänglichkeit ihrer Ideen nicht ebenfalls, da es eine Wissen ist, von einem Anspruch, der zwar vordergründig bescheiden anmutet aber hintergründig nicht weniger anspruchsvoll ist?
    Dies sind nur einige Fragen, die, wie es mir scheint, der Bescheidenheit des neuen Denk-Weges Grenzen setzen, was sich in vielerlei Hinsicht auch in den oftmals polemischen Absetzungen bezüglich der sogenannten Postmoderne zeigt.

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