Ziercke und die Innenpolitik

BKA und Medien bauschen linksextreme Straftaten auf

Ein Gastbeitrag von Jacob Jung

Jörg Ziercke, Chef des BKA, äußert sich über die angeblich wachsende Anzahl linksextremistischer Straftaten. Ziercke hält den Linksextremismus für ähnlich bedrohlich wie den Rechtsextremismus und fordert einen größeren Fahndungsdruck, die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und den Einsatz verdeckter Ermittler.  Auch die Bürger ruft er zu mehr Wachsamkeit und Anzeigen auf.

Die offiziellen Zahlen aus der Kriminalstatistik und dem Verfassungsschutzbericht sagen etwas anderes. Dennoch wirft der BKA-Chef den Gegenern der Vorratsdatenspeicherung einen unredlichen Umgang mit Argumenten und Statistiken vor.

Die offiziellen Zahlen widersprechen der Auffassung des BKA

Jörg Ziercke spricht in dem Interview von einem wachsenden Bedrohungspotenzial durch Straftaten aus dem linken Spektrum. Die offiziellen Zahlen vom Verfassungsschutz bestätigen dies allerdings nicht. Der Verfassungsschutzbericht 2010 zeigt allgemein einen deutlichen Rückgang politisch motivierter Straftaten.

Der Bericht führt für das Jahr 2010 insgesamt 19.652 politische Taten auf. Im Jahr 2009 zählte der Verfassungsschutz noch 23.484 Taten, so dass sich ein genereller Rückgang um 16,32 Prozent feststellen lässt. Von einem allgemeinen Anstieg politisch motivierter Straftaten kann also nicht die Rede sein. Insgesamt sind in der polizeilichen Kriminalstatistik 5.933.278 Straftaten für das Jahr 2010 erfasst. Der Anteil politischer Taten liegt insofern ohnehin nur bei 0,33 Prozent.

Von den insgesamt 19.652 Taten wurden 15.905, also 80,93 Prozent, dem rechten Spektrum zugeordnet. Auf das linke Spektrum entfallen dagegen lediglich 3.747 Fälle, was 19,07 Prozent entspricht. Obwohl der Anteil der politisch motivierten Straftaten aus dem linken Spektrum weniger als ein Fünftel der erfassten rechtsextremistischen Taten beträgt, sagt der BKA-Chef gegenüber dem Hamburger Abendblatt: „Ich halte den Linksextremismus für ähnlich bedrohlich wie den Rechtsextremismus.“

Die öffentliche Wahrnehmung politisch motivierter Straftaten

Ziercke betont zwar, dass er in Deutschland keine linksterroristischen Bestrebungen erkennen kann und bescheinigt der linken Szene, dass hier Anschläge, die das Ziel verfolgen, Personen zu töten, nicht vermittelbar sind. Dennoch baut er ein nicht faktengestütztes Bedrohungspotenzial durch politisch motivierte Straftaten aus dem linken Spektrum auf und fordert zu dessen Bekämpfung weitreichende Befugnisse der Ermittlungsbehörden.

Der BKA-Chef begründet seine Forderung mit dem Anstieg von Brandstiftungen an Autos in Hamburg und Berlin. Diese Art von Anschlägen wird fast traditionell der linken Szene angelastet. Dabei geht selbst die Berliner Polizei davon aus, dass lediglich ein Drittel der Autobrandstiftungen überhaupt politisch motiviert ist. Bei den übrigen Fällen handelt es sich um schlechte Scherze, Vandalismus, persönliche Racheakte oder Versicherungsbetrug.

Fällen handelt es sich um schlechte Scherze, Vandalismus, persönliche Racheakte oder Versicherungsbetrug. Das kritische BILDblog von Lukas Heinser beobachtet regelmäßig die öffentlichen Medien und macht auf Unstimmigkeiten, falsche Fakten und Manipulationen aufmerksam. Auf der nebenstehenden Abbildung zeigt das Blog, wie das ZDF die Verhältnismäßigkeit zwischen Straftaten aus dem linken und dem rechten Spektrum dokumentiert: Die Balken in dem Diagramm stellen dar, wie sich die politisch motivierte Kriminalität zwischen 2009 und 2010 entwickelt hat.

Obwohl die Straftaten aus dem linken Spektrum im Verhältnis zu den rechten Delikten weniger als ein Fünftel betragen, werden beide Diagrammbalken gleich hoch angezeigt. Das BILDblog hat die Grafik entsprechend korrigiert. Die Abbildung auf der rechten Seite zeigt, wie die Diagrammbalken gezeichnet sein müssten, um das tatsächliche Verhältnis zwischen linken und rechten Straftaten anzuzeigen. Hier wird deutlich, wie die Sorge in der Bevölkerung bewusst geschürt wird, um eine höhere Akzeptanz für die Vorratsdatenspeicherung, für das Einschleusen von verdeckten Ermittlern und für andere umstrittene Ermittlungsmethoden zu erzeugen.

Geschürte Ängste: Sicherheit gegen Freiheit

Jörg Ziercke fordert in dem Interview mit dem Hamburger Abendblatt eine Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung und begründet seine Haltung unter anderem mit der wachsenden Bedrohung durch politisch motivierte Straftaten aus dem linken Spektrum. Das Gesetz zur anlasslosen Speicherung der Kommunikationsdaten unverdächtiger Bürger war am 02. März 2010 durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt und außer Kraft gesetzt worden.

Sowohl das Max-Planck-Institut (2007) als auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags (2011) kommen in jeweiligen Gutachten zu dem Schluss, dass die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland weder eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter entfaltet noch den Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit hilft oder einen signifikanten Einfluss auf die Aufklärungsquote von Straftaten hat.

Obwohl das Verfassungsgericht in seinem Urteil eindeutig sagt, dass Kommunikationsdaten ausschließlich in exakt definierten Fällen schwerster Kriminalität genutzt werden dürfen und dass entsprechende Daten selbst dann nur dezentral gespeichert und in besonderem Umfang geschützt werden müssen, sieht BKA-Chef Ziercke keinen Widerspruch zwischen seiner Forderung und dem Urteil der höchsten Verfassungsrichter: „Das Bundesverfassungsgericht hat ja beschrieben, wie man die Vorratsdatenspeicherung verfassungsgemäß und damit verhältnismäßig umsetzen kann. Die grundsätzliche Frage ist beantwortet.

Wie auch bereits Innenminister Hans-Peter Friedrich greift Jörg Ziercke hier zu einer bewährten Methode: In der Bevölkerung werden irrationale Ängste vor bedrohlich wachsenden politisch und terroristisch motivierten Gefahren geschürt, die sich durch die offiziellen Statistiken und durch die Erkenntnisse unabhängiger Wissenschaftler und Experten nicht bestätigen lassen. Unter den Bürgern soll das Gefühl der diffusen Bedrohung zu einer erhöhten Bereitschaft führen, einer deutlichen Einschränkung von Freiheits- und Grundrechten zugunsten einer vermeintlich höheren Sicherheit zuzustimmen.

Jörg Ziercke wirft den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung in dem Interview mit dem Hamburger Abendblatt einen unredlichen Umgang mit Argumenten und statistischen Daten vor. Ob es allerdings redlicher ist, trotz gegenläufiger Statistiken, sinkender politischer Straftaten, eines deutlichen Urteils des Bundesverfassungsgerichts und verschiedener Studien zur Nutzlosigkeit der Vorratsdatenspeicherung von einer wachsenden Bedrohung zu sprechen und eine Erweiterung der Befugnisse von Ermittlungsbehörden als Lösung darzustellen, ist fraglich.

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8 Kommentare zu "Ziercke und die Innenpolitik"

  1. Ger_Mane sagt:

    Sehr guter Artikel! Dies zeigt einmal mehr wie die Medien versuchen uns mit Grafiken zu manipulieren.
    Auf den ersten Blick sieht die Kriminalitätsrate nämlich sehr gleich aus und die %-Angaben lassen die Linke Seite größer erscheinen.
    Wenn ich meinem Chef so eine Grafik präsentieren würde, dann müßte ich mir einiges an Kritik anhören.
    Medien sind halt “anders” – die arbeiten gegen und und nicht für uns (wie in meinem Fall mit meinem Chef).
    Wie kann man der Manipulation entgegenwirken – ganz einfach…schaut einfach kein TV mehr. Die Bildabfolge mit der beim TV gearbeitet wird ist zum Teil so schnell, dass der menschliche Verstand dem nicht hinterherkommt. D.h. das unser Denken ausgeschaltet wird und die unser Unterbewusstsein atackieren.
    Hingegen beim Lesen von Nachrichten können wir parallel sehr gut denken – deshalb Bevorzuge ich persönlich diese Form der Informationsgewinnung.

    Liebe Grüße
    Ger_Mane

    ps: Geht einmal in der Zeit zwischen 20:00 bis 20:30 Uhr in eurer Stadt spazieren. Ihr werdet feststellen, dass überall die Flimmerkisten leuchten. Am beeindruckensten ist dies in der Winterzeit, da es dann schon sehr dunkel ist. Ich habe mich ganz distanziert und fremd gefühlt – als würde ich unter “Aliens” leben. Denn es ist nicht normal, dass sich so viele Menschen dieser visuellen Verblödung hingeben…

  2. yo sagt:

    Gefällt.

    Fehlt noch selbige art regerge, wahrheitsliebe und aufklärung auch für angelegenheiten und kämpfe außerhalb europas.

  3. Gespensterhoernchens Welt sagt:

    Na klar sind sie mindestens genauso schlimm und bedrohlich wie Rechtsradikale.

    Linke sind ja auch eine Bedrohung für die Demokratie, oder sind sie gerade deswegen eine Bedrohung, weil sie so auf Demokratie aus sind?

    Und was die Rechtsextremität angeht, da sind die Linken ja auch ganz vorne mit dabei. Man kennt das ja, ausländisch anmutende Bürger in die Ecke treiben und hier und da mal den Stock rüberziehen. Da sind sie echt bekannt für.

    Und erst die linken Bürgerrechtsbewegungen der nicht ganz so radikalen Vertreter ihrer Zunft. Immer die Nölereien in Stuttgart und Berlin. Das hält die Demokratie auf, immer irgendwas in die neoliberalen Speichen werfen und so schicke Projekte wie S21 aufhalten. So kommen wir nicht weiter, das muss ein Ende haben.

    Hm! Wenn es im Dritten Reich extreme Linke gegeben hätte, würden wir die heute als Helden feiern?

    Es kommt immer auf den Blockwinkel an!

    Geisterhoernchen

  4. dent sagt:

    Schön, dass hier die Aussagen Zierckes und des Innenministers beleuchtet werden und die dahinter stehenden Absichten (eben Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, etc..) deutlich gemacht werden.

    Dennoch finde ich den Rückschluss an dieser Stelle etwas gewagt,

    “Die Abbildung auf der rechten Seite zeigt, wie die Diagrammbalken gezeichnet sein müssten, um das tatsächliche Verhältnis zwischen linken und rechten Straftaten anzuzeigen. Hier wird deutlich, wie die Sorge in der Bevölkerung bewusst geschürt wird,… ”

    da er hier nur mit einem fehlerhaften Diagrammbalken bewiesen wird.
    Das BILDblog informiert noch über ein weiteres fehlerhaftes Diagramm (wieder beim ZDF) und würde man alle bisherigen Diagramme einmal anschauen, würde man wahrscheinlich noch auf viele weitere Abbildungen stoßen bei denen die Größen nicht korrekt dargestellt wurden.

    Ich würde dann eher von der Inkompetenz der jeweiligen Grafiker reden, als von bewusster Manipulation.

    Abgesehen davon, kann man aber wohl trotzdem sagen, dass die Berichterstattung in den meisten Fällen solchen innenpolitischen Bestrebungen eher zuspielt. Und sei es auch nur das fehlen kritischer Kommentare zu einer solchen Nachrichtenmeldung (“Ziercke fordert …”).

    • Ger_Mane sagt:

      Ich sehe das anders – wenn jemand bei den Nachrichten arbeitet und dort mit Diagrammen und Zahlen hantiert, dann kennt sich dieser Jemand auch damit aus. Denn es ist Bestandteil einer Ausbildung/Studium im Medienbereich Grafiken zu erstellen! Und die wissen genau was sie tun – anderes wäre absurd. Außerdem ist es meistens die Regel, dass weniger qualifizierte Mitarbeiter solche Grafiken herstellen und dann wird das vom Vorgesetzten noch abgesegnet. Wenn solch ein Thema in der Redaktion einen gewissen Stellenwert hat, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass da dann ein “höheres Tier” solche Dinge noch einmal durchsieht/-arbeitet und dann erst freigibt.

  5. rura sagt:

    Vielen Dank für diese Aufklärung. Man sollte dem ZDF diese Manipulation mehrfach und immer wieder um die Ohren hauen und mehrere solcher Fälle sammeln, einen kleinen Film draus machen unter dem Motto ” mit dem Zweiten lügt sichs besser”. Für mich ist das ZDF schon länger gestorben und wird nicht mehr gesehen.
    Seit ich feststellen musste wie sie quotengeil hinter RTL her hecheln und sogar scripted reality machen:Wie sich das ZDF für die Reihe ‘Sommerinterview’ an Scripted Reality versuchte …

  6. Sascha sagt:

    Wenn man die Gefährlichkeit von Links- und Rechtsextremismus vergleicht, sollte man allerdings Zahlen vergleichen, deren Vergleich sinnvoll ist. Also Gewalttaten (944 : 762), Körperverletzungen (541 : 638) oder Sachbeschädigungen (1620: 1335). Und bei diesen Zahlen kann ich an der Aussage „Ich halte den Linksextremismus für ähnlich bedrohlich wie den Rechtsextremismus.“ nichts problematisch finden

    Dass die Rechten mehr Propagandadelikte (11384) begehen als Linke hat schließlich einen einfachen Grund: Hakenkreuze sind verboten, Hammer und Sichel nicht.

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