Den Euro retten?

Als gäbe es keine dringenderen Probleme…

Eine Polemik von Florian Hauschild

Über den Euro wird dieser Tage umfangreich berichtet – über seine „Rettung“ allerorten diskutiert. Kein Wunder. Geht es ums Geld, wird der Deutsche hellhörig; Geht es ums eigene Geld, allemal.

Eine Verschärfung der wirtschaftlichen und politischen Probleme in Europa lässt sich bereits seit 2008 erkennen. Doch was als Internetkampagne Democracia real ya! etwa 3 Jahre danach begann, wurde in den späten Maiwochen auf die Straßen getragen und somit einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Anders als von einigen vermutet, handelt es sich bei der Protestbewegung mitnichten um ein Volksbegehren gegen etablierte Parteien oder einzelne Systemfehler. Movimiento 15-M und Democracia real ya! sind längst zum Symbol für einen grundlegenden Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geworden.

Am 19. Juni wird der Protestgedanke – der in einer höchstprofessionell organisierten Socialweb-Kampagne – durch ganz Europa zieht wieder auf zentralen Plätzen und Straßen auch für den eher gemäßigten Nachrichtenkonsumenten sichtbar werden.

All dies ist schon seit Wochen bekannt. Doch lautet die Reaktion vieler Deutscher: „Interessiert mich nicht!“ oder auch „Was hat das mit mir zu tun?“. An diesen Reaktionen zeigt sich in ihrer ganzen Hässlichkeit die soziale Ignoranz und die verwelkte Empathiefähigkeit, die unsere Gesellschaft zu weiten Teilen bestimmt. Probleme der Anderen sind die Probleme der Anderen. Dass das Schicksal dieser Anderen aber mit unserem verknüpft ist, und in einer globalisierten Welt per definitionem alles geteilt wird, dieser Gedankenschritt scheint vielerorts nicht vollzogen werden zu können.

Nun, da die Dynamik der globalen Systemkrise „unser Geld“ gefährdet, wird er aber aufmerksam, der deutsche Michel, und zeigt, dass er sich doch sehr wortgewaltig – bisweilen aggressiv – echauffieren kann. Und die gleichen Mitbürger, die noch vor Wochen glaubten, sie hätten es nicht nötig, sich über die Entwicklungen in Europa und der Welt umfangreich zu informieren, sind es nun, die die Schuld für die Misere bei anderen suchen. Ein chauvinistischer Irrtum, der fatale Folgen haben kann.

Andernorts ist man bereits weiter: In Spanien, in Griechenland, in Portugal, in Italien und in Frankreich hat man längst begonnen, sich zu solidarisieren. Breite Gesellschaftsschichten haben erkannt, dass nur zusammen die bestehenden Mängel des jetzigen, scheiternden Systems in Zukunft überwunden werden können. Unsere Nachbarn haben in großen Teilen den Irrsinn eines Finanzsystems erkannt, in dem Gläubiger angeblich ihre Schuldner „retten“, nur damit diese die Rettungsgelder sofort wieder an die selben Gläubiger zurückzahlen können – zuzüglich Zins.

Andernorts hat man erkannt, dass in einem solchen System notgedrungen immer mehr Menschen Hab und Gut verlieren, dass breite Bevölkerungsschichten enteignet werden, während sich Kapital und Besitz in den Händen einer immer kleiner werdenden Oberschicht ansammeln. Es ist die Renaissance feudalistischer Zustände.

Doch ist dies nur bedingt die Schuld der Oberschicht oder anderer Eliten. Diese Menschen sind nur die Nutznießer in einem System, das aufgrund zahlreicher Konstruktionsfehler zu einer immer stärkeren Konzentration von Macht, Besitz, Kapital und Information führen muss.

Diese stetige Umverteilung von unten nach oben, dieser systemische, zentrifugale Konzentrationsprozess findet genau dann ein Ende, wenn er enttarnt wird und die Akteure ihn nicht mehr durch ihr Handeln stützen. Genau dies geschieht nun. In Spanien organisieren sich die Menschen bereits in Gruppen, um Zwangsräumungen von Wohnraum zu stoppen.

Denn während bei den Iberen fast eine Millionen Wohnungen leer stehen, verlieren immer mehr Menschen ihr Dach über dem Kopf. Welcher Beweise bedarf es noch, um die völlige Idiotie eines kollabierenden Systems zu veranschaulichen?

In vielen anderen Ländern der europäischen Peripherie zeigt sich ein ähnliches Bild. Und während die massenhafte Enteignung breiter Bevölkerungsschichten immer größere Züge annimmt, glaubt man in Deutschland immer noch an die Mär des „Sparens“. Sparen heißt im systemischen Kontext nichts anderes, als einer Volkswirtschaft weiter Kapital und Besitz zu rauben. Denn während die Gelder für die Rückzahlung der Schulden längst von den Gläubigern selbst aufgebracht werden, muss der Zins für die Schulden irgendwo entzogen werden. Über die Kürzung staatlicher Ausgaben (so genanntes „Sparen“) wird diese Last direkt an die Bevölkerung weitergereicht.

Auch Deutschland war die letzten Jahre von dieser Logik betroffen und wird nun immer mehr in diesen Strudel gezogen – als Staat im Zentrum des Systems logischerweise später als andere. Die Systemkrise steht auch uns ins Haus, und als gäbe es hierfür keinen schlechteren Zeitpunkt, versagt der Deutsche Bundestag dieser Tage bei der Verabschiedung eines verfassungskonformen Wahlgesetzes.

Bei politischen Instabilitäten ist somit ab 1. Juli dieses Jahres nicht nur die Regierung gefährdet, sondern gleich unsere gesamte Demokratie. Und Deutschland redet über Geld. Welch Armutszeugnis einer Gesellschaft!

Zum Thema:

– Essay: Europa am Scheideweg (von Jürgen Habermas)

– Das System krankt – Die Mär von der „Griechenland- und Euro-Krise“

– Empört euch!

– 10 Strategien der Manipulation – Gehirnwäsche nach Chomsky

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15 Kommentare zu "Den Euro retten?"

  1. Bernd Henneberg sagt:

    Zu diesem Thema gibt es heute einen Artikel in “Die Press”:http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/671144/Endspiel-um-den-Euro

  2. Knuddelbacke sagt:

    Heutiges politisches Kernargument für den Euro: Zum Erhalt der Weltwirtschaft kann niemand ein Scheitern des Euros verantworten.

    Wie jetzt: Sollte doch zumindest die SPD können!
    2004: Rot-Grün lässt unter Schröder und Fischer Hedge-Fonds und Derivate zu. Die absurden Renditeziele der Finanzwirtschaft werden zur allgemeinen Richtschnur.

    2005: Im CDU-SPD Koalitionsvertrag wird die Förderung des Kreditverkaufs festgeschrieben. Zudem will man nur eine “Finanzaufsicht mit Augenmaß”.

    2008: Auch in diesem Jahr gewährt schwarz-rot Finanzinvestoren weitere Steuergeschenke.

    Genau dieser unkontrollierte Kreditverkauf (alle Landesbanken inbegriffen) gilt heute als Hauptursache der Krise. Die Bundesregierung hat zur Unterstützung dieses Geschäfts sogar eigens eine Initiative auf den Weg gebracht: Die “True Sale International”.

    Jetzt weiß nicht mal die Politik, wer wie viel wo gebunkert hat. (HRE, BayernLB, WestLB usw.)
    http://kaltaquise.blogspot.com/2011/06/die-finale-phase-hat-begonnen-wir.html

  3. matt_us sagt:

    Es gibt ein paar Sachen die helfen wuerden:

    Die Finanzmacher in Ihre Schranken verweisen. Wie wir ausgerauebert werden steht hier, von Schaueble und der Deutschen Bank.

    http://www.weissgarnix.de/2011/06/16/termin-heute-abend-in-hamburg/#comment-117962:

    1) Des Schaeble muss sofort zuruecktreten, nach so einem Skandal.

    2 ) Und Europaweit Vermoegensteuer erheben. eine Notsteuer. 10% auf alle Vermoegen ueber 1 Mio Euro. Da kaemen einige Hundert Milliarden zusammen.

    Und das wuerde auch dem weiteren Ansammeln des Kapitals entgegenwirken.

    3) Dann natuerlich Geld Drucken, umsonst..

    http://www.weissgarnix.de/2011/06/16/termin-heute-abend-in-hamburg/#comment-117872

    Man muss sich die Kapitalasozialen mal vorknoepfen – dagegen mal was unternehmen. Es ist keine Systemkrise, meine ich, osndern es ist schlicht und ergreifend Ausraeuberung durch Hedgefonds und Investment Banksters. Das muss sofort aufhoeren. Diie gehoeren verboten, die Parasiten. Und alles womit die uns Geld aus der Tasche ziehen. Hauptsaechlich Derivate. Sofort verbieten den ganzen Schmuh!

  4. Ein klares Wort gegen die Zinswirtschaft! Jede prozentuale Steigerung an Gewinnen fordert auch ein entsprechenden Rohstoffverbrauch. Das kann auf Dauer nicht funktionieren, da schon die Rohstoffe begrenzt sind.

  5. Martin1 sagt:

    Mach einer ernachlässigt selbständiges Denken und lässt sich vom ständigen Medienkonsum verblenden…
    Natürlich geht es bei der “Eurorettung” bzw. “Hilfe für Griechenland” nicht um die Währung, und auch von dem Geld wird nix bei den griechischen Menschen ankommen, sondern es geht um die Rückzahlung verliehener Kredite insb. von französischen Banken, für die der deutsche (!) Steuerzahler quasi als Bürge aufkommen soll. Aber das ließe sich politisch nicht so gut verkaufen.
    Juncker sekundiert in dieser Frage, und meint ebenfalls, dass die deutschen (!) Steuerzahler für die Kredite der luxemburgischen Banken zahlen sollen.
    Und die Griechen fordern von uns Deutschen, dass wir weiterhin später in die Rente gehen sollen, damit sie früher in Rente gehen, und weiter total über ihre Verhältnisse leben können.
    Merkel muss weg, und das ist ausnahmsweise mal wirklich alternativlos!

    • emm sagt:

      “Und die Griechen fordern von uns Deutschen, dass wir weiterhin später in die Rente gehen sollen, damit sie früher in Rente gehen, und weiter total über ihre Verhältnisse leben können.” Stimmt gar nicht… erst informieren, dann schreiben….

    • Michael Ortmann sagt:

      Es ist ermuedend andauernd die haltlosen Luegengeschichten der BILD-“Zeitung” widerlegen zu muessen, aber es hilft halt nix… Bitte lesen Sie mal das hier:
      http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/110619_RLS_Pleite-Griechen%202011.pdf
      Lassen Sie sich dabei nicht davon abschrecken das dieses Dokument von der Rosa-Luxemburg Stiftung stammt, denn jenseits aller ideologischen Fragen sprechen die Zahlen fuer sich und sind oeffentlich nachpruefbaren Quellen entnommen..

  6. Wie Geld funktioniert: http://www.youtube.com/watch?v=9BrLrwbkQWQ
    Amüsanter und informativer Animationsfilm zum Thema.

    Wie von uns angekündigt fanden und finden heute auch weitere Demonstrationen statt. Vor allem in Spanien und Griechenland war man wieder sehr aktiv.

    Wie el Pais berichtet, richten sich die Demonstrationen klar gegen den Europakt (und somit gegen das System): http://politica.elpais.com/politica/2011/06/19/actualidad/1308483852_093532.html

    Auch dpa meldet um 22:07 die Proteste im Zusammenhang mit Systemkritik. Gar von Aufrufen zur Revolution ist die Rede: http://www.focus.de/politik/schlagzeilen/nid_75182.html

    • Pedro sagt:

      Wir würden nur ein Grundstück benötigen. Aber die Stadtverwaltung hier hat keeenrlii Interesse an so etwas. Pläne sind fertig und wir haben sogar Sponsoren für Material. Aber ohne Baugrund….. keine Chance.

  7. matt_us sagt:

    Revolution – im Eifer des (Wort)gefechts forder ich das auch schon mal, aber man kann auch leicht sehen wie zuviel rhetorische Wortspele in die Hose gehen koennen. Hier was mir heute bei weissgarnix.de passiert ist:

    http://eurogate101.com/
    (Neue Konkurrenz fuer Dich, Florian ;-) )

    Das System, das nur von Bankstern und Hedgefonds dirigiert wird, und der Wall Street, das ist in der Tat kaputt. Schaeuble Ruecktritt sollte genuegen – und hier mal die Frau Wagenknecht zum Aufraeumen angestellt, dann geht es gleich besser weiter.

  8. matt_us sagt:

    Scheuble Ruecktritt – Neuwahlen – und dann Frau Wagenknecht – so rum.

  9. Peppermint sagt:

    Die Franzosen sind bei einer Revolution sofort vorne mit dabei. Hängt den König – es lebe der neue König! So geht das eben in Frankreich. In diesem Falle muß man sagen: Gott sei Dank.
    Denn wenn man warten wollte bis sich der Herr Michel erhebt, dann merkts hier auch erst wieder der Großteil der Bevölkerung, wenn alles zu spät ist.

  10. Ob Griechenland bleiben kann, hängt davon ab wie man die Reichen in ganz Europa mit ins Boot nimmt und neue Reformen schafft.
    Die Reichen dieser Welt haben die Verluste aus der Finanzkrise wieder wettgemacht – auch Deutschlands Millionäre haben ihr Vermögen im vergangenen Jahr kräftig vermehrt.

    Das geht aus dem jährlichen Wohlstandsbericht des Beratungsunternehmens Capgemini in Kooperation mit der US-Bank Merrill Lynch hervor.

    Die Studie berücksichtigt Menschen, die mehr als eine Million Dollar (rund 700.000 Euro) Finanzvermögen haben – Werte wie etwa Immobilien, Luxusautos oder Kunstschätze bleiben außen vor.
    10,9 Millionen Millionäre weltweit

    Auf dieser Basis gab es im vergangenen Jahr weltweit 10,9 Millionen Superreiche – ein Plus von 8,3 Prozent im Vergleich zu 2009. Dabei überflügeln die Millionäre aus Fernost die Europäer inzwischen sowohl bei der Anzahl als auch beim Gesamtvermögen.

    Hierzulande gab es im vergangenen Jahr 924.000 Geld-Millionäre, ein Plus von 7,2 Prozent.
    Liquide Finanzelite: 42,7 Billionen Dollar an verfügbarem Geld

    Schwindelerregend hoch ist die Gesamtsumme an flüssigen Mitteln, über die die Finanzelite laut Statistik verfügt: 42,7 Billionen Dollar – etwa 30 Billionen Euro und damit etwa zwölfmal so viel wie die gesamte Wirtschaftskraft Deutschlands im vergangenen Jahr.

  11. Also weder wurden irgendwelche subastantiellen Fortschritte bei der Grundproblematik gemacht und ein Wahlrecht gibts in Deutschland nun auch nicht mehr. Das System ist murks…Auf zu neuen Ufern!

    Aber wo soll neues nun herkommen? Aus unserem Geist, die Inspirationen nutzend, die andere uns schon hinterlassen haben. Der babyshambler ist ein Projekt, das diese Inspirationen sammelt: http://the-babyshambler.com

    …eines unter vielen!

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