"Bild"-Studie

Im Kern kein journalistisches Medium

Von Sebastian Müller

Dass die Bild ein egozentristisches Boulevardmedium ist, das sich selbst gezielt inszeniert, dürfte bekannt sein. Die neue Studie “Drucksache Bild – Eine Marke und ihre Mägde″ bestätigt jetzt auch andere gängige Vorwürfe: Journalistische Arbeit, geschweige denn ein journalistischer Ethos, ist bei der Bild weitestgehend nicht vorhanden. Wer Machart und Erfolg der Zeitung verstehen will, darf sie nicht nur anhand journalistischer Kriterien untersuchen. Neu an diesen Vorwürfen ist jedoch das Theorem, auf die sie sich die Autoren der Studie, Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, stützen: Die Bild sei keine Zeitung sondern ein Geschäftsmodell.

An die Stelle des klassischen Journalismus, der mit seiner Arbeit der Information, der Orientierung und Kommentierung von gesellschaftlich Bedeutsamen sein Publikum erreichen will, setzt Bild Methoden der Werbung, der Unterhaltung, der Kampagnenkommunikation und des Marketings – also das, was weitestgehend als Public Relations bezeichnet wird. Das ist das zentrale, wenn auch wenig überraschende Ergebnis der Studie, die von der Otto Brenner Stiftung herausgegeben worden ist. Bereits Hans Magnus Enzensberger warnte 1983, dass jede Aufklärung über diese Zeitung vergeblich sei, “weil es nichts über sie zu sagen gibt, was nicht alle schon wüssten“.

Wie die Studie aber weiter aufzeigt, zielt die Strategie der Bild darauf ab, ein Catch-all-Medium herzustellen, das möglichst viel Publikum fängt und fesselt – allein von diesem Ziel leiten sich Themenwahl und Machart ab. Der Verlag, Herausgeber und die Chefredaktion unter Kai Diekmann verfolgen diese Leitlinie mit aller Konsequenz. Ein niedriger Verkaufspreis, ein ausgefeiltes Vertriebssystem und eine rücksichtslos als Reizwert, Stimulations- und Manipulationsmittel eingesetzte Themen-, Sprach-, Bild- und Layoutwahl garantieren den Erfolg der Strategie.

Am Beispiel der Bild-Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise des Jahres 2010 zeigen die beiden Autoren zudem mit einer empirischen Untersuchung im Detail auf, wie die Bild-Redaktion Themen und Ereignisse als eine “Knetmasse für ihre publizistischen, wirtschaftlichen und politischen Zwecke behandelt“. Vielen Lesern dürften die von Bild hervorgerufenen Stereotypen von den “faulen Griechen” und die Stimmungsmache gegen eine deutsche Finanzhilfe noch im Bewusstsein sein. Die finanztheoretischen Zusammenhänge der Griechenlandkrise und die Konsequenzen eines Staatsbankrottes wurden dabei bewusst verschwiegen.

Stattdessen wurde – während sich die Bild zum vermeintlichen Anwalt der Interessen deutscher Steuerzahler gerierte – mit der Stigmatisierung des “arbeitsunwilligen Griechen” indirekt zum Generalangriff auf die europäischen Sozialsysteme geblasen. “Über Wochen hinweg wurde dieser Grundtenor in verschiedenen Formen (Interviews, Aktionen, Kommentare, Berichte) in inhaltlich und sprachlich vertrauten Variationen wiederholt“, stellen Arlt und Storz fest. Und das sei eindeutig “ein Instrument der Werbung, der werblichen Kampagnenführung und keines des Journalismus“. Auf der Homepage der Studie laden die Autoren zu einem Wechsel auf die Perspektive der Bildzeitung ein.

Interessant bleibt es zudem, wenn Arlt und Storz den oben genannten Ansatz, die Bild nicht nach journalistischen Kritierien zu bewerten, weiter verfolgen. Sie kommen zu dem konsequenten Schluß, dass das Erfolgsgeheimnis von Bild darin liegt, dass sie eben kein journalistisches Produkt ist. Bild sei also gar keine richtige Zeitung, sondern inszeniere sich nur so, um Geschäfte machen zu können. Die “Bild” profitiere davon, “die Grenzen zu überschreiten, die andere einhalten. Wie der Dieb das Eigentum so braucht „Bild“, um sich zu profilieren, andere Medien-Akteure, die das journalistische Handwerk pflegen“, so lautet die fundamentale Kritik der Studie.

Die Grenze zwischen massenmedialer Veröffentlichung und ökonomischem Produkt ist bei dem Blatt ohnehin nicht vorhanden. Veröffentlichung und Handels-Geschäft soll im Hause Bild ein offenes Wechselspiel sein. Die Distanz liegt dabei offensichtlich nahe null: Aus Kampagne, Marketing, PR, Werbung und Zeitungslayout wird nicht nur Umsatz generiert, sondern es entsteht auch ein Produkt zur zentralen Massenbeeinflussung, das nicht zuletzt von wirtschaftlichen Interessensgruppen ausgiebig genutzt wird. Für die Vermarktung soll jedes Unternehmen, je nach Medialeistung, zwischen 600.000 und 1,2 Mio. Euro zahlen, der Verkauf soll inzwischen bei deutlich über 25 Millionen Produkten liegen.

Aufmerksamkeit und Wirksamkeit gewinnt die „Bild“ jedoch nicht nur mit ihrer aufreizenden Machart und ihrer offensiven Selbstvermarktung, sondern auch aufgrund ihrer ständigen Inszenierung als „Volksstimme“, wie zuletzt im Fall Guttenberg deutlich wurde. Doch wie die Causa Guttenberg ebenso zeigte, ist der virtuelle nationale Stammtisch, an den Bild täglich einlädt, eine Selbstinszenierung, die eben nur solange existieren kann, wie ihr bereitwillig Glauben geschenkt wird. Einer seriösen Berichterstattung setzt Bild daher die Ausschöpfung sämtlicher Konflikt- und Empörungspotenziale in der Massenkommunikation bis zur Neige entgegen. Dabei avanciert das Revolverblatt zum vermeintlichen Katalysator eines negativ definierten “Wutbürgertums”, steht aber in Wirklichkeit für das Gegenteil dessen, was das Bildungsbürgertum im Jahr des Protestes auf die Strassen getrieben hat.

Der Versuch der „Bild“-Zeitung, sich selbst an die Stelle der öffentlichen Meinung zu setzen und als Sprachrohr des politischen Mainstreams aufzutreten, ist in den letzten Jahren ungenierter geworden. Der Selbstverständlichkeit, mit der „Bild“ in Deutschland die Rolle des massenmedialen Platzhirsches einnimmt, muss widersprochen werden“, so lautet das Credo der Otto Brenner Stiftung. Der nun auch empirisch vorliegende Befund, dass es sich bei Bild im Kern mitnichten um ein journalistisches Produkt handelt, mag neues Wasser auf die Mühlen der Bild-Kritiker schütten. Doch die Studie sollte auch zu einer Debatte mit dem Ziel führen, jene Grenzen neu zu ziehen, die in der gegenwärtigen Krise des Journalismus auch jenseits der Bild immer mehr verschwimmen: wo hört Journalismus auf, wo fangen andere Gattungen öffentlicher Kommunikation an. Journalismus darf nicht zum Geschäftsmodell werden.

“Drucksache Bild – Eine Marke und ihre Mägde. Die Bild-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010″ erscheint als Arbeitsheft 67 der Otto-Brenner-Stiftung.

Zum Thema:

– Interview mit Wallraff über die „Bild“: „Ich hoffe, dass in den Verlusten auch ein Zeichen von Abwendung steckt“

– Zusammenfassung der Studie als PDF

– Homepage der Bild-Studie

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Ein Kommentar zu ""Bild"-Studie"

  1. Ganz Blöd sagt:

    Früher gab es da mal den Stürmer. Heute gibt es dafür den Springer.

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